Nach vielen Spekulationen ist es nun offiziell: Der Daimler-Vorstand bringt den Ball für eine Holdingstruktur ins Rollen und investiert einen dreistelligen Millionenbetrag für die ersten Schritte der Umwandlung. Neben der bereits jetzt eigenständigen Sparte Daimler Financial Services sollen auch das PkW-Geschäft Mercedes-Benz Cars & Vans sowie die LkW-Sparte Daimler Trucks & Busses in eigenständige Einheiten umgewandelt werden. Der Schritt zu einer Holdingstruktur mit eigenständigen Einheiten gibt dem Konzern theoretisch mehr Freiraum für Teilbörsengänge. Daimler selbst betont allerdings, es sei nicht geplant, sich von einzelnen Sparten zu trennen.
Die PkW- und LkW-Sparte sollen sich zudem auch in der neuen Holdingstruktur weiter über den Mutterkonzern refinanzieren, berichtet die Nachrichtenagentur Dow Jones unter Berufung auf eine Unternehmenssprecherin. Ein eigener Kapitalmarktzugang ist für diese Geschäftsbereiche demnach nicht geplant.
Ob diese Holdingstruktur bei Daimler aber tatsächlich umgesetzt wird, hängt von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab, auch der Vorstand will noch weitere Untersuchungen über Vorteile und Nachteile einer Holding vornehmen. Danach soll die neue Holdingstruktur 2019 der Hauptversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden. „Sollte die Vorlage bereits 2019 erfolgen, so wäre das immer noch ein ambitionierter Zeitplan“, kommentiert Rechtsanwalt Stefan Heutz von der Essener Wirtschaftskanzlei Kümmerlein. Selbst bei weniger komplexen Unternehmen könne die Umwandlung in eine Holdingstruktur schnell ein bis zwei Jahre dauern.
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Grundvoraussetzungen für eine Holdingstruktur
Allerdings kommt eine Umwandlung in eine Holdingstruktur normalerweise erst für Unternehmen mit einem gewissen Grad an Komplexität in Frage. „Je diversifizierter und größer ein Unternehmen ist, umso sinnvoller kann es sein, über diesen Schritt nachzudenken“, so Heutz.
Eine Holdingstruktur bietet sich zum Beispiel an, wenn ein Unternehmen in zwei voneinander weitgehend getrennten Geschäftsfeldern aktiv ist. Dies können unterschiedliche Sparten sein, wie zum Beispiel bei Daimler das PkW- und das LkW-Geschäft, oder auch unterschiedliche Positionierungen in der Wertschöpfungskette. Ein Beispiel dafür wäre der Automobilzulieferer Leoni, der die Draht- und Kabelproduktion und das Geschäftsfeld Bordnetz-Systeme in einer anderen Sparte zusammengefasst hat.
Gerade bei Unternehmen mit historisch gewachsenen Strukturen kann eine Neuordnung unter einer Holding strategisch sinnvoll sein, um die Flexibilität der einzelnen Bereiche zu erhöhen. Das funktioniert aber nur bei der passenden Ausgestaltung der Holdingstruktur. Wie genau diese aussehen sollte, hängt von der Motivation des Vorstands für diesen Schritt ab.
Holdingstruktur kann Haftungsrisiken minimieren
Für die Entscheidung, ein Unternehmen in eine Holdingstruktur zu überführen, kann es verschiedene Auslöser geben. „Prinzipiell gibt es drei Hauptgründe“, erklärt Rechtsanwalt Heutz. Der erste Vorteil einer Holding ist, dass Unternehmen sich damit Optionen für spätere Verkäufe oder Teilbörsengänge eröffnen.
Ein anderer Grund für eine Holdingstruktur ist die Reduzierung von Haftungsrisiken. „Das kann für Unternehmen sinnvoll sein, bei denen ein operativer Teil ein deutlich haftungsrelevanteres Produkt herstellt als die übrigen Konzernbereiche“, so Heutz. Beispiel: Ein Chemieunternehmen stellt einerseits Humanmedikamente und andererseits chemische Vorprodukte für die Industrie her. Sollte in der Pharmasparte ein schwerwiegender Produkthaftungsfall eintreten, dann könnte das gravierende Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen haben und somit auch die an sich unbelasteten Sparte der Industriechemikalien beeinträchtigen. „In so einem Fall kann es sinnvoll sein, die weniger kritische Sparte vor solchen Risiken zu schützen, indem sie rechtzeitig in eine unabhängige Gesellschaft überführt wird“, rät Heutz.
Der dritte Grund für eine Holdingstruktur ist operativer Natur. „Wenn zwei Unternehmenseinheiten getrennt voneinander am Markt auftreten, dann kann das Vorteile in der öffentlichen Wahrnehmung mit sich bringen“, meint der Anwalt. Jede Sparte könne sich als Fachspezialist in ihrem Segment positionieren. Zudem könnten einzelne Sparten oder auch die Holding sich gegebenenfalls günstiger finanzieren, wenn sie sich von den weniger profitablen Geschäftsbereichen absetzen, so der Experte.
Mögliche Nachteile einer Holdingstruktur
Je nachdem, welcher Grund für die Umwandlung ausschlaggebend ist, so ändert sich auch die Ausgestaltung der Holdingstruktur. Wenn es nur um die Abschirmung von Haftungsrisiken geht, dann können viele grundlegende Funktionen in der Holding erfüllt werden. „Buchhaltung, IT, die Rechtsabteilung oder sogar die Finanzabteilung können zentral in der Holding gebündelt werden“, erklärt Heutz.
„Mitbestimmungsrechte lassen sich auf diesem Weg nicht umgehen.“
Wenn eine deutlichere Abgrenzung gewünscht ist – um eine spätere vollständige Verselbstständigung der Geschäftsbereiche vorzubereiten –, dann müssen deutlich mehr Funktionen in den einzelnen operativen Teilen eigenständig erfüllt werden. „Das führt zu Parallelstrukturen im Unternehmen, was deutlich höhere Kosten verursachen kann“, warnt Heutz vor einem Nachteil einer Holdingstruktur mit eigenständigen Einheiten. Geschäftsführung und die entsprechenden Aufsichtsgremien müsste jede Schwestergesellschaft allerdings stets einzeln vorhalten.
Ebenfalls wichtig: „Mitbestimmungsrechte lassen sich auf diesem Weg nicht umgehen“, stellt Heutz klar. Wenn ein Unternehmen in seiner Gesamtheit die entsprechenden Schwellenwerte überschreitet, die einzelnen Sparten aber darunter liegen, dann muss das Aufsichtsratsgremium der Holding entsprechend mit der vorgeschriebenen Anzahl an Mitarbeitervertretern besetzt werden.
Holdingstruktur kann zu höherer Steuerbelastung führen
Ein weiterer Nachteil einer Holdingstruktur: Bei klar getrennten Geschäftseinheiten lassen sich Gewinne und Verluste nicht mehr ohne Weiteres miteinander verrechnen, was die Steuerlast in die Höhe treiben kann.
Dieses Problem ließe sich zwar beispielsweise über Gewinnabführungsverträge oder eine steuerliche Organschaft lösen. „Dadurch steigt aber wiederum die Komplexität und der bürokratische Aufwand“, schränkt Heutz die Attraktivität solcher Konstruktionen ein.
Info
Update: Wie Daimler in der neuen Holdingstruktur arbeitet
Seit dem 1. November 2019 arbeitet Daimler in der neuen Holdingstruktur. Der Konzern hat ist seitdem mit einer Dachgesellschaft und drei operativen Tochtergesellschaften aufgestellt: Unter dem Dach der Daimler AG sind die drei rechtlich selbstständigen Aktiengesellschaften Mercedes-Benz, Daimler Truck und Daimler Mobility operativ tätig. Auch in der neuen Holdingstruktur bleibt die Daimler AG das einzige börsennotierte Unternehmen. Sie übernimmt als Dachgesellschaft die Strategie- und Steuerungsfunktionen sowie konzernübergreifende Dienstleistungen.
Vorstand und Aufsichtsrat hatten im Juli 2018 ihre Zustimmung zur neuen Holdingstruktur gegeben. Dem Konzern zufolge war der Zustimmung die umfangreichste Due Diligence der Unternehmensgeschichte vorangegangen. Die Aktionären billigten die neue Holdingstruktur auf der Hauptversammlung im Mai 2019 mit einer Mehrheit von 99,75 Prozent.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.