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6 Antworten zu Corona-Änderungen beim Insolvenzantrag

Die Insolvenzantragspflicht ist für Unternehmen, die durch das Coronavirus in die Krise gerutscht sind, an einigen Stellen gelockert worden. Dies sind die wichtigsten Änderungen.
MikeLaptev/iStock/Thinkstock/Getty Images

Unternehmen, die durch das Coronavirus in die Krise geraten sind, können von der Insolvenzantragspflicht befreit werden. Welche Rolle spielt der Stichtag 31. Dezember 2019?

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Insolvenz auf die Krise durch das Coronavirus zurückzuführen ist, wenn das Unternehmen zum Stichtag 31. Dezember 2019 noch zahlungsfähig war. „Diese Regelung ist recht weitgehend“, sagt Mathias Eisen, leitender Restrukturierungspartner der Kanzlei Milbank. Als Stichtag wurde mit dem 31. Dezember 2019 ein Datum gewählt, an dem Corona in Deutschland noch keine Rolle gespielt hat. Damit soll den Unternehmen die Unsicherheit darüber genommen werden, ob sich der Bezug zu Corona bei einer Zahlungsunfähigkeit wirklich nachweisen lässt oder nicht – eine Schlüsselfrage für das Management, dem schlimmstenfalls hohe Haftungsrisiken drohen. „Durch den frühen Stichtag ist die Berufung auf eine Corona-bedingte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht einfacher möglich“, sagt Eisen. 

Welchen Unternehmen hilft die Regelung zu Insolvenzanträgen?

Am meisten dürften die Corona-bedingten Änderungen bei Insolvenzanträgen den Unternehmen helfen, bei denen Gesellschafter und Geschäftspartner einvernehmlich an einer Restrukturierung interessiert sind, für eine Lösung aber beispielsweise mehr Zeit brauchen: „In solchen Situationen muss man sonst nach spätestens 21 Tagen den Insolvenzantrag stellen. Die Änderungen geben den Parteien nun mehr Zeit für eine Einigung“, sagt Eisen.

Schwieriger wird es, wenn Unternehmen in der jetzigen Situation eine neue Finanzierung brauchen: „Das Gesetz regelt nicht pauschal, was beim Eingehen neuer Verbindlichkeiten geschehen soll“, sagt Eisen. Das Problem: Geht ein CFO eine neue Finanzierung ein, muss er als Schuldner grundsätzlich die Absicht und auch die finanziellen Mittel in Aussicht haben, die Gelder wie vereinbart wieder zurückzuführen. „Andernfalls wäre dies ein sogenannter Eingehungsbetrug und damit strafbar“, erklärt Eisen. Wer also zahlungsunfähig ist und daher keine Aussicht darauf hat, einen neuen Kredit auch bedienen zu können, muss dies der Bank gegenüber offenlegen und wird im Zweifel kein weiteres Geld bekommen. Dann bliebe der Weg in ein klassisches Insolvenzverfahren. „Das wird für einige Unternehmen weiterhin der bessere Weg sein“, glaubt Eisen.

Bietet die großzügige Stichtagsregelung die Möglichkeit, die Änderungen auszunutzen?

Es lässt sich nicht ausschließen, dass einzelne Unternehmen die großzügige Stichtagsregelung ausnutzen. Allerdings sei dies nur ein kurzfristiger Ausweg, mahnt Eisen: „Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist zeitlich zunächst bis Ende September begrenzt – das Problem wird also nur um einige Monate verlagert“, sagt der Jurist.

Grundsätzlich sei es auch möglich, dass Unternehmen, die im Januar oder Februar einen Insolvenzantrag gestellt haben, diesen zurückziehen, sofern das Verfahren noch nicht eröffnet ist. Allzu viele Manager dürften davon jedoch nicht Gebrauch machen, glaubt Eisen: „Wenn es im Nachgang dann doch noch zu einer Insolvenz käme, würde der Insolvenzverwalter sicherlich sehr genau prüfen, ob die Rücknahme des ersten Antrags nicht einer Insolvenzverschleppung gleichkommt.“ 

Welche weiteren vorübergehenden Änderungen bei Insolvenzanträgen sollten Unternehmen kennen?

Zwei Änderungen sollen dazu beitragen, eine Restrukturierung zu erleichtern: Zum einen können Gesellschafter Darlehen in das Unternehmen geben, ohne dass diese nachrangig gestellt werden. „Das macht es für Gesellschafter einfacher, einen weiteren Beitrag zu leisten“, erklärt Eisen. Die zweite vorübergehende Änderung bei Insolvenzanträgen betrifft die Banken: Sie müssen – etwa bei der Prüfung von Anträgen auf Hilfskredite – nicht mehr darauf warten, dass das Unternehmen ein Sanierungsgutachten nach IDW S6 vorlegt.

„Das ist extrem wichtig, denn ein IDW S6-Gutachten vorzubereiten, dauert häufig ein bis zwei Monate, unter Umständen auch länger. So viel Zeit haben die Unternehmen derzeit nicht“, sagt Eisen. In der Praxis ist allerdings von Fällen zu hören, bei denen Banken sich auch vor dem Hintergrund der Coronakrise damit schwertun, Finanzierungen ohne ein solches Gutachten auszureichen.

Zurzeit ist auch die Möglichkeit von Gläubigerinsolvenzanträgen eingeschränkt. Drohen Gläubiger nun, auf ihren Forderungen sitzenzubleiben?

Für Unternehmen, die am 1. März dieses Jahres nicht insolvent waren, sind Gläubigerinsolvenzanträge für drei Monate ausgeschlossen. Das bedeutet aber nicht, dass die Gläubiger nun völlig wehrlos sind, betont Jurist Eisen. „Der Gläubigerantrag ist an hohe Hürden geknüpft und wird daher in der Praxis ohnehin nur zurückhaltend eingesetzt“, sagt er. Sehr viel häufiger würden Gläubiger versuchen, ihre Forderungen auf anderen Wegen einzutreiben, die ihnen auch während der Corona-bedingten Änderungen am Insolvenzrecht weiter offenstehen. „Das Eintreiben kann zum Beispiel aufgrund einer Besicherung erfolgen, die in eine Vollstreckung beim Schuldner mündet.“ 

Gibt es Erleichterungen, die Unternehmen auch längerfristig helfen würden?

Die Änderungen im Insolvenzrecht sind zunächst bis zum 30. September begrenzt. Doch gerade eine Regelung bei Altverbindlichkeiten, beispielsweise Löhnen und Gehältern, würde Unternehmen in Krisensituationen auch über den September hinaus helfen, meint Eisen: „Die Anforderungen dafür, wann ich diese auch bei Insolvenzreife weiter zahlen darf, sind erheblich erleichtert worden.“

Vereinfacht gesagt gelte nun: Wenn Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb getätigt wurden und dazu beitragen, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten oder wieder aufzunehmen, dann dürfen Unternehmen sie weiter leisten. „Das ist eine enorme Erleichterung“, sagt Eisen. Die kommenden Monate sieht er auch als Gelegenheit, um zu überprüfen, wie sich bestimmte Änderungen des Insolvenzrechts in der Praxis bewähren – und dann zu schauen, ob vielleicht mancher Aspekt auch für die Zeit nach Corona gelockert werden könnte.

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