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Bayer ächzt unter Glyphosat-Milliardenurteil

Bayer verliert den dritten Prozess um die US-Tochter Monsanto und muss enorme Strafzahlungen leisten.
Bayer

Erneute Niederlage für Bayer: Der Konzern verliert den dritten Prozess um die US-Tochter Monsanto und ihr Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Nach wochenlangen Verhandlungen sprachen die Geschworenen eines Gerichts im kalifornischen Oakland den Klägern, einem an Krebserkrankungen leidenden Ehepaar, mehr als 2 Milliarden Dollar zu (umgerechnet 1,8 Milliarden Euro).

Das Gericht macht den Leverkusener Konzern für die Krankheit beider Ehepartner, die Monsantos glyphosat-haltiges Herbizid „Roundup“ genutzt haben, haftbar. Bayer-Tochter Monsanto habe demnach nicht ausreichend vor den Risiken des Produkts gewarnt, so die Geschworenen.

Bayer soll gigantische Strafzahlungen leisten

Besonders aufsehenerregend ist die Höhe der verhängten Strafe: Mit über 2 Milliarden US-Dollar ist diese wesentlich höher als die vorangegangen Auflagen und eine Schlappe mit Symbolcharakter für die Leverkusener. Bei dem ersten verlorenen Prozess im August 2018 wurden einem krebskranken Kläger 289 Millionen Dollar zugesprochen, später wurde die Summe auf 78 Millionen Dollar reduziert. In einem zweiten verlorenen Prozess wurden dem Kläger 80 Millionen Dollar zugewiesen.

Im aktuellen Urteil spielen auch sogenannte „Punitive Damages“ eine wichtige Rolle, eine im amerikanischen Recht zum Einsatz kommende Strafzahlung, die über den eigentlichen Schaden hinausgeht und abschreckend wirken soll. Somit könnte es sein, dass auch diese Strafsumme noch erheblich nach unten korrigiert wird.

Stimmt Bayer nun doch Vergleichen zu?

Bayer will sich rechtlich gegen das Urteil wehren und ist „enttäuscht“ von der Entscheidung des Gerichts, wie das Unternehmen in einer Stellungnahme bekanntgab. Zwar bekundet der Konzern Mitgefühl für die Kläger, sieht die Ursache für das Krebsrisiko aber in „einer langen Historie von Vorerkrankungen“. Laut Bayer gebe es mehrere Studien, die belegten, dass glyphosat-basierte Unkrautvernichtungsmittel bei sachgerechter Anwendung sicher seien.

Ein Ende der Klagewelle ist nicht abzusehen: Aktuell gibt es noch 13.400 Klagen, deren Zahl auch noch ansteigen könnte. Nach den vorangegangenen drei Urteilen dürfte auf Bayer der Druck steigen, sich mit Klägern auf Vergleiche zu einigen. Dagegen hatte sich der Konzern bisher gesträubt. Nach dem neuerlichen Urteil gab der Konzern bekannt, seine „Rechtsstrategie auf dem Weg in die nächste Phase dieses Verfahrenskomplexes fortlaufend evaluieren und weiterentwickeln“ zu wollen.

FINANCE-Köpfe

Wolfgang Nickl, Bayer AG

Wolfgang Nickl startet seine Laufbahn 1992 als Berater und Controller bei dem deutschen IT-Dienstleister Sercon, bevor er 1995 zur Western Digital Corporation wechselt. Für den US-Festplattenhersteller ist er zunächst als Geschäftsplaner in den Niederlanden tätig, im Anschluss als Director Business Solutions in San José im Silicon Valley.

Im Jahr 2000 wechselt Nickl als Finanzvorstand zum US-amerikanischen IT-Unternehmen Converge, kehrt jedoch wenig später zu Western Digital zurück. Acht Jahre lang durchläuft Nickl dort mehrere Positionen im Finanz- und Strategiebereich. Währenddessen erwirbt Nickl 2005 einen MBA-Abschluss von der University of Southern California’s Marshall School of Business. 2010 wird er zum Finanzchef von Western Digital befördert.

Im Dezember 2013 kehrt Nickl nach Europa zurück und wird CFO des niederländischen Chipherstellers ASML. Im September 2017 beruft der Chemie- und Pharmakonzern Bayer, der seinerzeit inmitten der 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme des Saatgutspezialisten Monsanto steckt, den damals 48-Jährigen zum CFO. Nickl tritt seine neue Position im Juni 2018 an.

zum Profil

Monsanto erntet Entsetzen für PR-Praktiken

Damit gerät der Kauf von Monsanto durch Bayer, der den Konzern rund 63 Milliarden Dollar kostete, weiter in die Kritik. Bayer-Chef Werner Baumann muss sich vor allem den Vorwurf gefallen lassen, die Klagerisiken unterschätzt zu haben – auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten ihm die Aktionäre unter anderem deshalb die Entlastung. Das Urteil kommt außerdem zu einer Unzeit: Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, soll Monsanto PR-Agenturen beauftragt haben, Listen mit Kritikern anzulegen, um diese schließlich zu „überwachen“ und zu „erziehen“. Die Mutter Bayer zeigte sich entsetzt und entschuldigte sich.

Das belastet auch die Aktie weiter: Knickte der Kurs schon nach dem Bekanntwerden der PR-Aktionen von Monsanto ein, rutschte die Aktie nach der Glyphosat-Schlappe um knapp 6 Prozent auf rund 53 Euro ab. Das ist der niedrigste Kurs seit Sommer 2012. Gegen Mittag erholte er sich etwas auf 55 Euro. Seit der Niederlage im ersten Glyphosat-Prozess hat die Bayer-Aktie fast 40 Prozent an Wert verloren.

Bayer verkauft Coppertone an Beiersdorf

Auch die gute Nachricht, die Bayer am gestrigen Montagabend veröffentlichte, konnte daran nichts ändern: Der Konzern hat seine Sonnenschutzmarke Coppertone für 550 Millionen US-Dollar an Beiersdorf verkauft. Der Deal ist Teil einer größeren Portfoliobereinigung, die Bayer Ende 2018 angekündigt hatte.

Um die hohen Schulden aus dem Monsanto-Deal abzutragen (die Nettofinanzverschuldung lag zum Jahresende bei 36 Milliarden Euro), will sich Bayer von vier Unternehmensteilen trennen. Neben den Sonnenschutzprodukten plant Bayer noch einen Verkauf der Fußpflegeprodukte („Dr. Scholl’s“), der 60-prozentigen Beteiligung an dem Chemieparkbetreiber Currenta sowie des gesamten Geschäfts mit Tierarzneien.

„Die positive Nachricht des Verkaufs des Sonnenschutzgeschäfts Coppertone ist von einer weiteren Glyphosat-Gerichtsschlappe überschattet“, so Markus Meyer, Analyst bei der Baader Bank. Inzwischen seien bis zu 80 Milliarden Euro Rechtsrisiken eingepreist, für ein Produkt, das für nur 5 Prozent der Bayer-Gewinne stehe. Einige andere Analysten hingegen schätzen den eingepreisten Schaden auf weniger als die Hälfte. Die Leverkusener könnten zum Zielobjekt eines aktivistischen Investors oder zum Übernahmekandidaten werden, glaubt Analyst Meyer.

Wird Bayer Investmentgrade-Rating verlieren?

Die Einnahmen aus der Portfoliobereinigung spielen für Bayer auch eine wichtige Rolle dabei, das Investmentgrade-Rating nicht zu gefährden. Die Risiken aus den Monsanto-Klagen veranlassten Moody’s Ende April dazu, drei Szenarien durchzurechnen.

Im Worst-Case-Szenario – Bayer muss Strafzahlungen von 20 Milliarden Euro allein in den Jahren 2020 und 2021 leisten und verkauft zugleich nur Assets im Gegenwert von 5,75 Milliarden Euro – würde die Verschuldung im Verhältnis zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) 2021 sogar einen Faktor von 4,0x erreichen – das wäre unvereinbar mit einem Investmentgrade-Rating. Das aktuelle Urteil hat dieses Szenario zumindest wahrscheinlicher gemacht.

sarah.backhaus[at]finance-magazin.de