Der Essener Industriekonzern ThyssenKrupp hat ein Cashflow-Problem, und es wird immer schlimmer: 1,2 Milliarden Euro hat das MDax-Unternehmen im Geschäftsjahr 2018/19 verbrannt. Damit verzehnfachte sich der Cash-Burn im Vergleich zum Vorjahr. Das ist noch schlimmer als erwartet, in vorherigen Prognosen war Thyssen noch von einem Minus unter 1 Milliarde Euro ausgegangen.
ThyssenKrupps KPIs sprechen eine deutliche Sprache
Als Hauptursache für den auch nach eigener Ansicht „deutlichen Mittelabfluss“ nennt der Konzern die schlechte Performance des Geschäftsbereichs Materials Services, in dem die Essener ihren Werkstoffhandel sowie After-Market-Services zusammenfassen. Dieser setzte mit 13,8 Milliarden Euro eine knappe Milliarde Euro weniger um als im Vorjahr. Materials Services steht für ein Drittel des Gesamtumsatzes.
Die miserable Cashflow-Entwicklung schlägt auch auf die Bilanz durch, die Netto-Finanzschulden der Essener explodieren: Lag die Netto-Finanzschuld Ende 2017/18 noch bei 2,4 Milliarden Euro, wuchs der Schuldenberg in nur einem Geschäftsjahr um 1,3 auf 3,7 Milliarden Euro.
Die Eigenkapitalquote schmilzt dahin
Gleichzeitig schrumpfte das Eigenkapital um 1 Milliarde auf 2,2 Milliarden Euro. Dies allerdings ist nicht allein auf hausgemachte Probleme zurückzuführen: Neben dem Jahresfehlbetrag von 260 Millionen Euro (Vorjahr: minus 12 Millionen Euro) schlagen auch die Zinsrückgänge bei der Berechnung der Pensionslasten zu Buche: Im Zuge der Neubewertung ufern die Pensionsverpflichtungen von 7,8 auf 8,9 Milliarden Euro weiter aus.
Damit ist der neue Finanzchef Johannes Dietsch mit einem Schuldenberg von 12,6 Milliarden Euro konfrontiert. Konsequenz: Die Eigenkapitalquote liegt jetzt nur noch bei 6,1 Prozent (Vorjahr: 9,3 Prozent). Die Streichung der Dividende, die den Markt überrascht hat, wird nicht reichen, um das Blatt zu wenden. Mit diesem Schritt spart CFO Dietsch 93 Millionen Euro – ein Signal nach innen, aber finanziell betrachtet ein Tropfen auf den heißen Stein.
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Was der Lage noch zusätzliche Brisanz verleiht: Für das laufende Geschäftsjahr 2019/20 erwartet der Stahlkonzern keine Besserung. Aufgrund der internationalen Handelskonflikte, einer insgesamt schwächeren Entwicklung der Werkstoffgeschäfte und weiter steigender Sanierungskosten prognostiziert das Unternehmen für 2019/20 einen „deutlich höheren Jahresfehlbetrag“. All diesen Hiobsbotschaften zum Trotz sieht sich ThyssenKrupp jedoch „solide finanziert“. Als Beleg wird auf die freie Liquidität von 7,3 Milliarden Euro sowie eine „ausgewogene“ Finanzierungsstruktur hingewiesen.
Anzahlung für den Aufzugs-Deal?
Diese Antworten hat das ThyssenKrupp-Management unter der Führung der neuen Chefin Martina Merz parat: Die Restrukturierung wird verschärft, vor allem in den Verwaltungsfunktionen. Merz wirft ihren Vorgängern Versäumnisse vor, die Sparanstrengungen seien nicht konsequent genug gewesen. Diese Kritik zielt in erster Linie auf Ex-Chef und Ex-CFO Guido Kerkhoff.
Zudem steht inzwischen – abgesehen vom Stahlgeschäft und dem Stahlhandel – praktisch jede Konzerneinheit zur Disposition. Die geplante Trennung von der Aufzugsparte Elevator Technology – über einen Verkauf oder einen Börsengang – wird zum Rettungsanker für den wankenden Mischkonzern. Medienberichten aus dieser Woche zufolge soll Kaufinteressent Kone sogar mit einer Anzahlung locken, damit ThyssenKrupp auch schon während der zu erwartenden langen Kartellprüfung Zugriff auf einen Teil der frischen Liquidität hätte. Der Wert der Sparte wird auf 15 bis 20 Milliarden Euro geschätzt.
Info
Mehr zur Krise beim Essener Industriekonzern erfahren Sie unserer Themenseite zu ThyssenKrupp.
Alles zum beruflichen Werdegang des ThyssenKrupp-Finanzchefs erfahren Sie auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Johannes Dietsch.