NEUZur Serie: Top-Dealmaker

Newsletter

Abonnements

Bloß kein Neid

Wieder so ein Abend, noch ein Pokal. And the Oscar goes to … Germany. Angela Merkel, CEO von Corporate Germany, kommt nach Hause. Sie ist genervt von dem Getöse, den klingenden Champagnergläsern. Sie legt den Schlüssel weg, tritt ins Wohnzimmer. Ja, sicher, überlegt sie, während sie aus dem Fenster blickt, die vergangenen Jahre sind gut gelaufen für uns. Corporate Germany ist vielen anderen Wettbewerbern aus der entwickelten Welt ein Stück enteilt. Man ist beizeiten dem ohnehin begrenzten und schrumpfenden Heimatmarkt entwachsen und exportiert weit mehr, als man einführen muss. Corporate Germany ist zudem dort aktiv, wo sich am meisten tut. In den Schwellenländern, in die sich die Gewichte unweigerlich verschieben. Wenn nun auch noch die Inlandsnachfrage nach Jahren anspringt – umso besser. Was man sich auf den Märkten als Vorteil erarbeitet, geht dieser Tage in Brüssel wieder per ESM jedoch dahin. Da kann ein wenig Puffer nicht schaden.

Das deutsche Nationalunternehmen ist wieder da, und zwar stärker, als das die meisten erwartet hätten. Die Chefin weiß, dass sie dies ihrem gerissenen Vorgänger verdankt, der die flexiblere Holdingstruktur mit echten Profitcentern aufgestellt hat, der dennoch mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Aber dass diese gestern noch abgeschriebene Company jetzt überall als Star gehandelt wird, widerstrebt ihrer temperierten preußischen Natur. Dafür kennt sie die Schwächen ihres Unternehmens viel zu gut und weiß, welche Herausforderungen warten.

Globale Arbeitsteilung

Im Moment fährt Corporate Germany die Ernte seiner durch jahrelange Lohnzurückhaltung erreichten Konkurrenzfähigkeit ein. Shareholder hatten reichlich Grund zur Freude, viele Stakeholder wie Arbeitnehmer und Gesellschaft erlebten aber eine eher dürre Zeit. Corporate Germany ist ein Mischkonzern, der vor allem Fahrzeuge, Maschinen, Chemie und Elektronik herstellt und im Technologiebereich leicht schwächelt, wie die Chefin mit bedauerndem Achselzucken zugibt. 

Man stellt sich dieses Nationalunternehmen am besten als einen Industriekonzern vor. Großer Mittelstand, Milliardenumsatz, eng eingebunden in ein differenziertes und komplexes Wertschöpfungsnetz – nicht so glamourös wie Kalifornien, aber auch nicht so pleite. Nicht so reich wie die Schweiz, dafür mit echter Arbeit und echter Wertschöpfung. Im Overhead hat es jahrelang Arbeitsplätze abgebaut und ist dadurch schlanker geworden. Dafür sind in Tochterfirmen und auch extern viele Arbeitsplätze neu entstanden, besonders in der Zeitarbeit und der Logistik. Ob die deutsche Branchenaufstellung ein Nachteil ist im weltweiten Wettbewerb, fragt sie sich. Sie beschließt, dies als Teil der globalen Arbeitsteilung hinzunehmen. 

Investorenkommunikation ist nicht ihre Stärke. Sie gibt sich dann zwar diskret und selbstsicher und führt die Stärke ihres Unternehmens regelmäßig auf den engen Verbund von Forschung und Entwicklung zurück. Aber vor kritischen Fragen zu den Fundamentaldaten fürchtet sie sich bei jedem Call. Klar, dass in der Zukunft Standorte und Arbeitsplätze in den Wachstumsmärkten entstehen werden. Nicht nur aus Kostengründen, sondern auch aus Gründen der Währungsabsicherung und schlicht schon wegen der notwendigen Marktnähe.

Und dass so viel Hirnkapazität wie möglich in der deutschen F&E bleibt, ist dem gesamten Vorstand ein Anliegen. Da sind sich von Vertriebschef Westerwelle bis zur Personalchefin von der Leyen ausnahmsweise mal alle einig. Aber genau das ist der Knackpunkt für die gesamte Holding: Sie findet im Heimatland immer weniger geeignete Arbeitskräfte. Das Problem sind die Köpfe. Denn die Zukunft, so ist sie sicher, wird schneller. Das Wissen erneuert sich im Takt der Digitalisierung öfter, seine Halbwertszeit sinkt. Sie konnte sich noch als Physikerin nach oben arbeiten: Ob die Bachelors das draufhaben werden? Sie weiß: Die Balance darf nicht kippen.

"Dass die gestern noch abgeschriebene Company jetzt überall als Star gehandelt wird, widerstrebt ihr."

 

Kritische Fundamentaldaten

Wenn die Konzernlenkerin dann an die demographische Entwicklung ihres Stammlandes denkt, kommen ihr Zweifel. Nicht bezüglich der Qualität der Produkte und der Nachfrage danach. Die Megatrends Globalisierung, Urbanisierung und Bevölkerungswachstum spielen Corporate Germany in die Karten. Da ist Merkel selbstbewusst. Wer sonst bietet die industriellen Lösungen an?

Aber ob sie die richtigen Arbeitskräfte finden wird, um den Vorsprung zu verteidigen? Wie groß sind die nachwachsenden Kohorten noch mal?, notiert sie sich auf ihrem Block. Und wie war der Stand beim Ausbildungspakt? Das muss sie die von der Leyen doch mal fragen. Die drängt sich doch auch sonst bei fast jeder Gelegenheit vor.

Hier muss Deutschland den nächsten Sprung nach vorne machen. Die Alternative will sie sich lieber nicht zu bunt ausmalen. Verlagerung von F&E aus Deutschland weg in die Emerging Markets? Das möchte sie nicht verantworten müssen. So viel Patriotismus steckt dann doch noch in ihr bei allem Verständnis für die Leiter der einzelnen Business Units. Manche Abteilungsleiter im Finanzressort liebäugeln schon mit einem Umzug von Frankfurt nach London. Das könnte denen so passen. Der Nationalkonzern muss auf der Wertschöpfungsleiter weiter nach oben klettern, wenn die globale Arbeitsteilung zunimmt. Forschung und Entwicklung müssen im Land bleiben, um den Wohlstand zu sichern. Dazu braucht man internationale Belegschaft. Außerdem muss das Aus- und Fortbildungsprogramm im Unternehmen effektiver werden.

"Die oberen 20 Prozent müssen den Fortschritt und den Wohlstand sichern."

 

Der Druck unten wird steigen

Dass die wertvollen Jobs teurer werden, ist kein Problem. Der Druck wird an die mittleren Arbeitsplätze weitergegeben. Eine Stabsabteilung ihres schwäbischen CFO hat längst Pläne für das nächste Programm „Fit für 2020“ ausgearbeitet. Noch besteht dazu keine Notwendigkeit. Die Anlagen sind ausgelastet, die Gewinne sprudeln. Kein guter Zeitpunkt für ein Outsourcing-Programm. Doch langfristig wird das Unternehmen Teile der einfachen Produktion standardisieren und auslagern. Da steckt Einsparpotential, ebenso wie in der Verwaltung. Ganze Serviceeinheiten stehen auf der geheimen Streichliste. Insgesamt findet sie: Assistenten und Sekretäre kosten oft mehr als sie bringen. Einen Flug im Internet buchen? Bis man alles abgesprochen hat, ist das doch fast schneller selbst erledigt. Laut sagen kann sie das nicht. Das hat sie das Exempel Josef Ackermann gelehrt. Solche Fettnäpfe sind unbedingt zu vermeiden. 
Der öffentliche Diskurs geht ihr ohnehin auf die Nerven. Komplett am Thema vorbei. Immer wird nur über die unteren 20 Prozent gesprochen und wie diese in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Die wirklich zukunftsentscheidende Frage gilt aber den nachwachsenden oberen 20 Prozent.

Diese bürgen für den Fortschritt des Landes. Sie schaffen den Wohlstand für die Gesellschaft. Ihre Ideen bürgen für die Refinanzierung der Sozialsysteme. Insofern muss die Bildung und Ausbildung weit mehr leisten als bisher. Hieran entscheidet sich die Zukunft. Das heißt, so findet Merkel, ob Deutschland in 20 Jahren noch einen veritablen industriellen Kern hat oder nicht. Ob sich das Land also stark tertiärisieren wird – sie drängt das aufkommende Bild der Altenpflegerin lieber schnell wieder weg – oder ob Deutschland einen erheblichen Anteil an verarbeitendem Gewerbe und in dessen Gefolge den industrienahen Dienstleistungen be­haupten kann. 

Sie setzt sich hin, atmet tief durch, verschränkt die Hände. Bewährte Methode. Macht sie immer, wenn sie sich in Rage gedacht hat. Sie versucht, sich zu beruhigen: Noch ist nichts entschieden. Noch bleibt Zeit, die Dinge zu verändern. Neben dem Sessel steht der Korb mit den alten Zeitschriften. Sie blättert, nimmt ein Heft zur Hand und legt es wieder weg, nimmt ein anderes, schenkt sich ein Glas Wein ein. 
Ihr Blick fällt auf eine seit Ewigkeiten bewahrte Ausgabe des „Economist“ von 1992. Die hatte sie damals so beeindruckt, dass sie sie nie weggeworfen hat. „Vorsprung durch Panik“ lautet der Titel der Geschichte in deutscher Sprache. Sie überfliegt die ersten Zeilen. Alle paar Jahre, so heißt es, stellten sich die Deutschen selbst in Frage. Wir sind halt gründliche Menschen, denkt sie sich und muss  schmunzeln. Besser man stellt sich selbst in Frage, als wenn andere das tun.

marc-christian.ollrog(*)finance-magazin(.)de