Auf die CFOs deutscher Großkonzerne könnten zusätzliche Energiekosten in Milliardenhöhe zukommen. Davor hat der EU-Energiekommissar Günther Oettinger deutsche Wirtschaftsvertreter gewarnt. Hintergrund ist ein von der EU-Wettbewerbskommission Anfang März eingeleitetes Verfahren, das die Befreiung energieintensiver Unternehmen von Teilen der mit dem Ökostromausbau verbundenen Netzentgelte behandelt.
Die in Deutschland 2011 eingeführte Ausnahmeregelung, so Oettinger gegenüber Industrievertretern, werde von der Kommission und ihrem Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia als unzulässige Beihilfe gewertet. Im günstigsten Fall, so der Energiekommissar, würden diese Beihilfen von der Kommission in Zukunft verboten. Im ungünstigsten Fall, müssten die Unternehmen die bislang eingesparten Gelder zurückerstatten. Damit könnten auf die deutsche Industrie Nachzahlungen in Milliardenhöhe zukommen.
Oettinger selber plädiert im Kreis der EU-Kollegen dafür, die harten Sanktionen gegen Deutschland aufzuschieben und auf europarechtskonforme Veränderungen nach der Bundestagswahl zu setzen. „Der rückwirkende Wegfall der Stromsubventionen wäre existenzbedrohend für viele Unternehmen“, sagte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel.
Selektiver Wettbewerbsvorteil durch Paragraph-19-Umlage
Seit 2011 sind große Stromverbraucher nach der deutschen Stromnetzentgeltverordnung von Netzentgelten befreit. Im vergangenen Jahr belief sich diese Befreiung laut Bundesnetzagentur auf 440 Millionen Euro; im laufenden Jahr dürfte der Betrag Schätzungen zufolge auf 800 Millionen steigen. Bislang hat die Bundesnetzagentur über 200 Anträge von Unternehmen auf Befreiung von Netzkosten genehmigt.
Finanziert wird diese Befreiung von den privaten Endverbrauchern und kleineren Unternehmen, die seit 2012 die sogenannte Paragraph-19-Umlage zahlen müssen. Seit Dezember 2011 sind bei der Kommission mehrere Beschwerden von Verbraucherverbänden, Energieunternehmen und Bürgern eingegangen, die diese Befreiung als rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe kritisieren.
„Die Kommission ist beim gegenwärtigen Stand der Auffassung, dass es sich bei der Paragraph-19-Umlage um staatliche Mittel handeln könnte, und dass die Befreiung den Begünstigten einen selektiven Vorteil gegenüber Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten zu verschaffen scheint“, heißt es in der Begründung für die Verfahrenseröffnung der Europäischen Wettbewerbskommission Anfang März. Auf diese Weise könnte der Wettbewerb im EU-Binnenmarkt verzerrt werden, argumentiert die Kommission. Geprüft wird ferner, ob die Befreiung bereits 2011, als noch keine Paragraph-19-Umlage erhoben wurde, aus staatlichen Mitteln finanziert wurde.
Neben der EU-Kommission hatte bereits das Oberlandesgericht Düsseldorf die Befreiung energieintensiver Unternehmen von den Netzentgelten als verfassungswidrig und nichtig beschieden. Geklagt hatten fünf regionale und überregionale Netzbetreiber, die die komplette Freistellung von den Netzkosten der Unternehmen mit hohem Strombedarf für rechtswidrig und für einen Verstoß gegen europäisches Recht halten. Eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus.
andreas.knoch[at]finance-magazin.de