Die Krise fiel vom Himmel, wenn auch nicht aus einem heiteren. Die Gewitterwolken waren für alle sichtbar, doch die Corporate Finance Community hatte sich in der durch reichlich Zentralbankliquidität erkauften Ruhe behaglich eingerichtet. Die Pandemie hat das Arbeitsumfeld nun schlagartig verändert – physisch, aber vor allem auch in den geschäftlichen Herausforderungen. Am Ende verdienen schließlich alle Branchen ihr Geld mit der Realwirtschaft. Wo die Reise hingeht, hat der FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance gemeinsam mit einer Reihe exzellenter Vordenker in einem Whitepaper (Download hier) analysiert.
Die ersten Reaktionen waren ganz konkret: Das Home Office wurde zur Schutzhöhle der Kopfarbeiter; Kurzarbeit und Kündigungen zur Reißleine der Kopflosen. Die Frage, wo eigentlich die Liquidität aus den ganzen guten Jahren geblieben ist und ob man jetzt wirklich die Sozialsysteme belasten musste, darf sich jeder selbst beantworten.
Der Markt sortiert sich in der Coronakrise neu
Die Pandemie rüttelt einmal alles durcheinander – und wie die Teile sich wieder zusammensetzen, ist noch nicht klar. Der M&A-Markt wird von Distressed-Deals geprägt sein. Die Asiaten hoffen, sich endlich gegen die Finanzinvestoren durchsetzen zu können, manch ein Familienunternehmen könnte jetzt den lang ersehnten Zukauf tätigen, und der ganze Markt hofft auf Desinvestitionen der größeren Konzerne. Bei aller Fantasie wird aber ein Hemmnis den Markt prägen: Die schon vorher auseinandergelaufene Schere zwischen Erlöserwartung der Verkäufer und Zahlungsbereitschaft der Erwerber geht immer weiter auf, wenn Multiples und EBITs gleichzeitig sinken.
Auf der Finanzierungsseite dominieren plötzlich die Fördermittel. Das setzen die Banken ordentlich um, aber es führt uns in eine neue Welt mit höheren Schulden und einer staatlichen Unternehmensfinanzierung. Wenn man nicht an einen kompletten volkswirtschaftlichen Nachholeffekt glaubt, dann verschieben die Fördermittel die Finanzierungskrise nur – und die Debt Advisor dürfen auf goldene Zeiten hoffen.
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Der LBO-Markt führt traditionell ein Eigenleben. Bei den wenigen noch finanzierten Deals sind die Margen in die Höhe geschossen und die Leverages nach unten abgestürzt – ein Revival aus der Finanzkrise. Die Analogie wird weitergehen: Wenn die Lage übersichtlicher geworden ist, werden Banken und Debt Funds gern weiter finanzieren, nur ohne die Übertreibungen. Weil der Markt aber eng und die Spieler reichlich sind, werden wir wie in den vergangenen zehn Jahren wieder ein allmähliches Abgleiten in sehr käuferfreundliche Finanzierungsstrukturen erleben.
Private Equity, Private Debt & Co: Es gibt auch Gewinner
Private Debt und Private Equity stehen in dieser Krise unter besonderer Beobachtung. Die Kreditgeber haben hierzulande noch nicht gezeigt, wie konstruktiv sie mit Restrukturierungen umgehen. Und viele PE-Häuser sind eher Schönwetter-Finanzierer.
Wenn beide aber zeigen, dass sie „ihre“ Unternehmen besser durch die Krise führen als der Schnitt und den Investoren damit ordentliche Renditen sichern, dann werden sie die Gewinner der Krise sein – denn die Liquidität und damit der Anlagedruck für institutionelle Investoren wird eher noch zunehmen, und die Unternehmen suchen konstruktive Partner. Auch für Factoring und Sale & Leaseback sind die Aussichten gut: Die Anbieter können ebenso wie die Debt Funds in Lücken stoßen, die von den Banken gerissen werden.
Gewinner sind natürlich auch die Restrukturierungsexperten. Wie in anderen Krisen werden auch dieses Mal wieder zahlreiche Berater ihre vermeintlichen Restrukturierungsqualitäten entdecken und anpreisen. Bei den Big Four und den großen Beratungen werden viele Juniors in die Restrukturierung gehievt, manch ein M&A-Berater wird sein Glück auf diesem Feld wagen, und auch zahlreiche Transformationsbegleiter werden sich zu positionieren versuchen.
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Aber nur wenige werden auf gleichem Niveau Kapazität aufzustocken, denn die vergangenen zehn Jahre haben zu wenigen Marktteilnehmern die Chance eröffnet, echte Restrukturierungsexpertise zu erwerben. Der ungewöhnlich lange, durch Zentralbankgeld künstlich verlängerte Konjunkturzyklus fordert (auch) an dieser Stelle seinen Tribut.
Der Wandel beschleunigt sich durch die Pandemie
Spannend wird die Entwicklung der Banken sein. Sie sind diesmal nicht Auslöser der Krise, spielen aber natürlich eine entscheidende Rolle. Zum einen müssen sie die Fördermittel durchleiten, zum anderen sind sie selbst in vielen Restrukturierungen als Kreditgeber gefragt. Derzeit spricht nichts dafür, dass sich Banken auf breiter Front aus dem Markt zurückziehen – nicht einmal die Auslandsbanken.
Aber viele Häuser werden ihr Kundenportfolio durchsieben – und einige werden durchfallen. Das Gute: Die „Zombies“ werden endlich verschwinden. Aber auch gute Unternehmen werden durch das Raster fallen. Das bietet Einfallstore für andere Finanzierer, aber auch für viele Fintechs mit Speziallösungen, die in Zeiten des Liquiditätsüberflusses bislang nicht zum Zuge kamen.
Makroökonomisch erzeugt die Pandemie keine eigenen Trends. Sie verstärkt aber Entwicklungen, die bereits im Gange sind, und wird bei einigen eine bislang ungekannte Dynamik kreieren. Die Deglobalisierung erhält neue Argumente, die Verschuldung erreicht ganz neue Level, das Finanzsystem wird instabiler – alles nicht schön, aber alles gute Gründe für die These, dass die Corporate Finance Community für die Realwirtschaft noch wichtiger wird.
Info
Die Vordenker*
Dr. Daniel Bartsch, Vorstand, creditshelf
Bastian Frien, Geschäftsführender Gesellschafter, FINANCE Think Tank
Volker Groß, Geschäftsführer, Helbling Business Advisors GmbH
Thomas Haag, Leiter Firmenkunden Region Südwest, Bayerische Landesbank
Dr. Daniel C. Heine, Managing Director Private Debt, Patrimonium Asset Management
Dr. Thomas Lange, Partner, GÖRG
Bernd Renz, Leiter Vertrieb Factoring, Targobank
Dr. Johannes E. Schmittat, Managing Director, GCA Altium
Prof. Robert Simon, Geschäftsführer, R.A.C.H. – Interim GmbH
Thomas Vinnen, Geschäftsführender Gesellschafter, Nord Leasing
Mathias Weidner, Senior Partner Business Development, DPE Deutsche Private Equity
Jürgen Zapf, Managing Director & German Practice Co-Leader, Alvarez & Marsal
* Positionen zum Zeitpunkt der Diskussion