Eine vorinsolvenzliche Sanierung, bei der Mehrheitsbeschlüsse möglich sind und die nicht öffentlich abläuft: Für Nutzer ist das der große Charme der präventiven Sanierung, die seit Jahresanfang in Deutschland im Einsatz ist. Mitunter entfaltet das Verfahren bereits als Drohkulisse einen Effekt. Marktteilnehmer berichten von Fällen, in denen schon der Hinweis auf eine mögliche präventive Sanierung ausgereicht habe, um die Gläubiger einigungswillig zurück an einen Tisch zu bekommen.
Doch was, wenn das nicht gelingt? Das Amtsgericht Hamburg hatte es kürzlich mit einem präventiven Sanierungsverfahren zu tun, bei dem ein Gläubiger überstimmt werden musste. Laut Jörg Grau von der Kanzlei Johlke Niethammer, der das betroffene Unternehmen beraten hat, und dem Restrukturierungsbeauftragten Justus von Buchwaldt (Kanzlei BBL) ist es das erste Verfahren, für das ein rechtskräftig bestätigter Restrukturierungsplan nach dem neuen Recht erstellt wurde. Eine Erkenntnis aus dem Ablauf: „Die Vorbereitung ist für den Erfolg ganz entscheidend“, sagt von Buchwaldt.
Präventive Sanierung: Widerstand programmiert
Im Hamburger Fall ging es um die Sanierung eines Logistikunternehmens, das gruppenweit in der Regel rund 40 Millionen Euro Jahresumsatz erzielt. Zuletzt hatte sich der Umsatz der norddeutschen Hauptgesellschaft allerdings halbiert, die Coronakrise erschwerte zudem die Perspektive. Namentlich ist das Unternehmen nicht bekannt – im Gegensatz zu Insolvenzverfahren sind präventive Sanierungsverfahren nicht öffentlich.
„Es war absehbar, dass Widerstand kommen würde.“
Problematisch dabei: Einer von zwei Geschäftsführern hatte sich zwar aus der operativen Führung des Unternehmens zurückgezogen, war jedoch über ein Gesellschafterunternehmen noch als Gläubiger involviert, zudem hielt er einen Minderheitsanteil. „Es war absehbar, dass von ihm Widerstand gegen weitere Sanierungsschritte kommen würde“, sagt Grau.
In solchen Fällen bestellt das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten, um das Verfahren zu begleiten. Ein Restrukturierungsbeauftragter ist unter bestimmten Voraussetzungen bei der präventiven Sanierung vorgesehen, beispielsweise wenn absehbar ist, dass die Restrukturierung gegen den Willen einzelner Gläubiger durchgesetzt werden muss. Um die Sanierung mit Mehrheitsentscheid umsetzen zu können, müssen drei Viertel der Gläubiger zustimmen. Zudem muss die Mehrheit der Gläubigergruppen den Weg mitgehen.
Auf Mehrheitssuche bei den Gläubigern
Im Falle des Hamburger Logistikers gab es drei Gläubigergruppen: Gruppe eins umfasste die Tochter- und Schwesterunternehmen, die Forderungen gegen die Mutter hielten. „Mit deren lokalen Managern haben wir schon während der Vorbereitungsphase im Januar über mögliche Beiträge gesprochen“, erinnert sich Ulrich Pohlmann von Johlke Niethammer, der das Unternehmen zusammen mit Jörg Grau beraten hat.
Die beiden weiteren Gruppen umfassten die zerstrittenen Altgesellschafter: Eine Gruppe betraf die Gesellschafterdarlehen, die dritte Gruppe die Unternehmensanteile. Die Dreiviertelmehrheit der Anteilsgruppe war schnell gesichert: Der Gesellschafter, der die präventive Sanierung angestoßen hat, hält dort diese Mehrheit allein.
Strittig war dagegen die Gläubigergruppe, in der sich die beiden Gesellschafter als Darlehensgeber wiederfanden: dort stand es fifty-fifty. Während der amtierende Geschäftsführer die Sanierung unterstützte, rechneten die Juristen mit Widerstand durch den zweiten Darlehensgeber. „Mit ihm gab es zu diesem Zeitpunkt auch keinen Gesprächsfaden, er hat von dem Verfahren erst durch die Einladung zum Abstimmungstermin erfahren“, sagt Grau.
Kommunikation mit Gläubigern ist Kern
Für die Gläubiger, die sich in der Minderheitenposition wiederfinden, könne es hart sein, einfach überstimmt zu werden, räumt Restrukturierungsbeauftragter Justus von Buchwaldt ein. Die Suche nach den erforderlichen Mehrheiten ist für ihn der entscheidende Punkt bei der Vorbereitung – und setzt voraus, dass man die kompromissbereiten Kandidaten richtig identifiziert: „Wenn ich die falschen Gläubiger anspreche und diese Mehrheit nicht bekomme, dann wäre das gesamte Sanierungsverfahren auf Sand gebaut und ich brauche es gar nicht erst zu beginnen“, sagt er. In einem solchen Fall käme dann eher die Neuaufstellung über ein Insolvenzverfahren in Frage.
„Wenn ich die falschen Gläubiger anspreche, wäre das gesamte Verfahren auf Sand gebaut.“
Im Fall des Hamburger Logistikers verzichteten schließlich die Tochterunternehmen auf rund 40 Prozent ihrer Forderungen, die Gesellschafterdarlehen wurden auf null gestellt. Über eine Kapitalerhöhung kam schließlich ein neuer Investor an Bord. Insgesamt beanspruchte das präventive Sanierungsverfahren des Logistikunternehmens rund zweieinhalb Monate.
Für Berater, Gerichte und anzufertigende Planungsrechnungen sollte ein Unternehmen Mindestkosten von 100.000 bis 150.000 Euro einkalkulieren, sagt Jurist Grau.
Präventive Sanierung: Neues Verfahren, größerer Aufwand
Für das Unternehmen selbst war es eine Herausforderung, als einer der ersten Nutzer in Deutschland den Weg der präventiven Sanierung zu gehen: „Uns war bewusst, dass die sehr frühe Anwendung eines neuen, bislang ungeübten Rechtsrahmens einen relativ hohen Einarbeitungsaufwand bei allen Beteiligten nach sich ziehen würde“, erklärt der Gesellschafter gegenüber FINANCE. Trotz der insgesamt hohen Verfahrensgeschwindigkeit habe es Verzögerungen und Beratungsaufwand gegeben.
Dennoch fiel ihm die Entscheidung für das neue Verfahren relativ leicht – insbesondere die Anonymität fand der Gesellschafter hilfreich. Eine öffentliche Diskussion hätte „sowohl einen Teil unserer Kunden als auch unserer Mitarbeiter deutlich verunsichern können“, fürchtet er. Das nicht-öffentliche Verfahren sei daher „ein ganz entscheidender Vorteil“ gewesen.
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