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Dieser Artikel ist Teil unserer zehnteiligen Investigativ-Reihe, den „Wirecard-Files“, und ist im Sommer 2021 erstmalig erschienen. Zu Beginn des Wirecard-Prozesses wurde die Serie im Winter 2022/23 erneut ausgespielt.
Kaum ein Künstler war in den sechziger und siebziger Jahren im deutschsprachigen Raum so umstritten wie der Aktionskünstler Hermann Nitsch. Die bevorzugte „Farbe“ des österreichischen Malers: Blut. In seinem „Orgien-Mysterien-Theater“ wurde unter anderem ein Stier geschlachtet und der Kadaver anschließend für Kreuzigungs-, Speerungs- und Ausnehmaktionen verwendet. Nicht nur Tierschützer liefen dagegen Sturm – für seine Aktionen landete der untersetzte Mann mit dem grauen Zauselbart auch mehrmals im Gefängnis.
In den vergangenen zwanzig Jahren bekam Nitsch als Künstler aber zunehmend mehr Anerkennung. 2005 führte er das „Orgien-Mysterien-Theater“ sogar im Wiener Burgtheater auf, im gleichen Jahr wurde ihm der höchste Kunstpreis Österreichs zuerkannt. Mittlerweile haben seine sogenannten Schüttbilder den Weg nicht nur in viele wichtige Kunstsammlungen der Welt gefunden, sondern auch in so manches Privatheim. Einer seiner Fans ist Markus Braun. Wegen Nitschs unverwechselbarem Stil griff der Ex-Wirecard-Boss aber nicht zu, wie FINANCE vorliegende Dokumente zeigen.
Kunstrabatt von über 20 Prozent für Markus Braun
Die Art, wie Braun Kunstwerke von Nitsch und anderen Künstlern erwarb, entspricht nicht gerade dem Bild des Schöngeists, als der sich der Manager mit Zitierungen von Martin Heidegger und Besuchen in der Oper zeitweise inszenierte. Am 15. Juni 2020, nur wenige Tage vor seiner Verhaftung und dem Untergang von Wirecard, schlug er in einer Wiener Galerie gleich bei vier Werken von Hermann Nitsch zu. Das geht aus einer Rechnung hervor, die FINANCE vorliegt. Einen weiteren Nitsch hatte Braun schon zu einem früheren Zeitpunkt erworben.
Insgesamt erwarb Braun an diesem Tag insgesamt neun Werke. Ihre Listenpreise lagen zwischen 29.000 Euro und fast 80.000 Euro pro Stück. Auf die Gesamtsumme von knapp 320.000 Euro bekam Braun einen Rabatt in Höhe von fast 75.000 Euro. Gesamtpreis der Einkaufstour: 246.000 Euro. Als Adresse des Käufers wird die MB Beteiligungsgesellschaft angegeben, eine Art riesige Spardose, aus der Braun auch Immobilien bezahlte und sich privat an Firmen beteiligte.
Galeristin lockte Wirecard-Chef mit Super-Rendite
Für Brauns Einkauf dürfte aber nicht nur Nitschs unverwechselbarer Stil den Ausschlag gegeben haben, sondern – ganz Geschäftsmann und kühler Rechner – auch die zu erwartende Rendite. Dafür sprechen die Details der Abrechnungen, die den wirtschaftlichen Aspekt in den Mittelpunkt stellen.
Die spektakulärste Upside versprach Rodrigo Valenzuela, ein 39-jähriger chilenischen Shootingstar aus der Riege der bildenden Künstler. Für zwei Skulpturen von Valenzuela bezahlte Braun jeweils 7.000 Euro. Doch der Kaufpreis ist das eine. Den „realistischen Wiederverkaufspreis“ taxierte die Galeristin in der Rechnung, die FINANCE vorliegt, auf 20.000 Euro – und nicht nur das. In Klammern ergänzte sie: „Diese Arbeiten haben das Potential, über 100.000 [Euro] verkauft zu werden.“ Eine Rendite, die schon weniger entschlossene Finanzjongleure als Braun schwach werden ließ.
Noch größere Gewinnaussichten boten sich für Braun bei dem Erwerb von Arbeiten des US-Künstlers James English Leary. Bei diesen Werken lockte die Galeristin Braun damit, dass sogar eine Verzwanzigfachung möglich sei.
Nach Wirecard-Kollaps wurden Gemälde gepfändet
So spektakulär sie auch sein mögen: Im Vergleich zum Potential der Werke von Valenzuela und Leary verblassen die Nitsch-Werke ein wenig – zumindest unter Renditegesichtspunkten. Das Werk „Tanja06“ zum Beispiel, das Braun erwarb, trug einen Listenpreis von 79.646 Euro, wurde von der Galeristin aber mit einem „realistischen Wiederverkaufswert“ von „nur“ 150.000 Euro taxiert – eine vergleichsweise magere Upside.
„Nitsch wird die Preise für seine Arbeiten aus den neunziger Jahren bald um 25 Prozent anheben.“
Andererseits: Was nicht ist, kann ja noch werden. Schon im Februar vergangenen Jahres hatte die Galeristin den damaligen Wirecard-Chef damit gelockt, dass Nitsch die Preise für seine Arbeiten aus den neunziger Jahren „ab 1. März um 25 Prozent anheben“ würde. Als der Verkauf an Braun vier Monate später schließlich über die Bühne ging, wählte der Manager dann ausschließlich Nitsch-Bilder aus der Schaffensphase zwischen 2006 und 2019. Es drängt sich die These auf, dass Braun darauf spekulierte, dass Nitsch den Preis von Werken aus dieser Phase als nächstes anheben würde.
Doch die Spekulation mit Kunst platzte nur wenige Wochen, nachdem sie begonnen hatte: Seine Kunstwerke kann Markus Braun bis auf weiteres nicht zu Geld machen, weil gegen seine Vermögenswerte Arresttitel verhängt worden sind, wie es im Juristendeutsch heißt. Alles, was im Rahmen des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG zu Geld gemacht werden kann, kommt in die Insolvenzmasse. Im Rahmen der Pfändung seiner Vermögenswerte wurden bei Braun auch Gemälde sichergestellt. Seine Karriere als Kunstspekulant dürfte damit beendet sein.
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Dies ist ein Teil unserer laufenden Enthüllungsserie. Alle bisher erschienen Artikel finden Sie auf unserer Spezialseite zu den „Wirecard Files“. Mehr News und Hintergründe zum Wirecard-Skandal gibt es auf der FINANCE-Themenseite zu Wirecard, alle aktuellen Entwicklungen in unserem Wirecard-Ticker.