Es gibt Sachen, mit denen rechnet man auch nach fast 20 Jahren im Job nicht – zum Beispiel, dass man wegen „negativer“ Berichterstattung über einen Dax-Konzern von Detektiven und Ex-Geheimdienstleuten ausgespäht wird. Als Dan McCrum, ein Redakteur der Financial Times (FT), mich darüber informierte und mir ein Dokument zusandte, das verschiedene Möglichkeiten aufzeigt, ihn, mich und einige Hedgefonds-Manager auszuspionieren, war meine Überraschung ziemlich groß.
Die in dem Dokument diskutierte Operation hatte offenbar zum Ziel, das Netzwerk an „Insidern“ zu identifizieren, das Anfang 2016 den bis dato völlig unbekannten Research-Dienst „Zatarra“ mit Informationen aus dem Hause Wirecard versorgt hatte. Diese Informationen hatte Zatarra zu einem gut 100 Seiten schweren Report zusammengeschnürt, der vorgab, unter anderem Betrug und Geldwäsche im Hause Wirecard zu belegen. Der Zatarra-Report ließ Wirecards Aktie um 20 Prozent einbrechen.
Eine Operation mit verschiedenen Stoßrichtungen
Kein Wunder, dass die Wirecard-Führung alarmiert war. Doch die Wahl der Mittel, dagegen anzugehen, ist fragwürdig – ebenso wie der Verdacht. Denn wie das Papier mit dem Titel „Indikatoren zum Insiderprofil“ zeigt, war es die These der beauftragten Detektive, dass das „Täternetzwerk“ aus Shortsellern, Zatarra-Analysten, Wirecard-Insidern und Journalisten bestünde.
Weiter heißt es, dass „bisherige Ansätze“ aus dem Bereich „OSINT“ (Open Source Intelligence) wie etwa „IT-Forensik“ noch nicht gefruchtet hätten. Deshalb schlägt das „Team“ den Auftraggebern vor, „eine neue Perspektive in den Ermittlungen“ einzunehmen. Dazu zählen Maßnahmen wie „das Verifizieren von Konto- und Verbindungsdaten“, „Ermittlungen zum Aufenthaltsort“, „Observationen“, der Einsatz von Hackern sowie das Abgreifen von „Swift-Daten“. Ironischerweise planten die Spione sogar, gegen einen der Verdächtigen einen „legendierten Angriff in Form eines Journalisten“ zu führen.
Und auch einen Beschaffungsantrag enthält das Dokument: Empfohlen wird die Anschaffung eines „WLAN-Rucksacks, um Informationen von den Mobiltelefonen der potentiellen Verdächtigen abzusaugen“. In Deutschland sind solche Praktiken illegal und ausschließlich staatlichen Stellen vorbehalten. Deshalb habe ich in der vergangenen Woche bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt in diesem Zusammenhang Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.
Das Detektivteam schlug den Auftraggebern vor, „eine neue Perspektive in den Ermittlungen“ einzunehmen.
Eine Enttäuschung für Spione
Wenn man in einem solchen Kontext den eigenen Namen als Zielperson widerfindet, ist das beunruhigend. Bizarr ist auch der Grund, warum ich ins Visier geriet: Weil neben meinen „wiederholt negativen“ Artikeln über Wirecard auch „ein Kontext mit FT vorhanden“ sei. Für deren deutsche Ausgabe, die 2012 eingestellte FTD, hatte ich geschrieben, bevor ich zu FINANCE kam. Doch das ist über 15 Jahre her.
Für professionelle Beschatter – so es sie denn gegeben hat – muss mein Privatleben eine einzige Enttäuschung gewesen sein: keine Affären, keine Drogen, nicht einmal klandestine Treffen mit Informanten in irgendwelchen Tiefgaragen. Die auffälligsten Finanztransaktionen? Vermutlich meine regelmäßigen Einkäufe bei einem Anbieter namens „Rewe“. Unter dem Strich dürften die Ermittlungsergebnisse in meinem Fall eher dünn gewesen sein.
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Wirecard hat eine weiße Weste
Nach Erscheinen des FT-Artikels Mitte Dezember gab Wirecard schließlich zu, dass man „2016 eine externe Forensik-Beratung beauftragt hat, die Drahtzieher krimineller Short-Attacken zu identifizieren“. Das Mandat habe jedoch keine Beschattung von Personen umfasst, so das Wirecard-Statement gegenüber dem „Handelsblatt“. „Das von uns beauftragte Unternehmen hat sich dann bedauerlicherweise verselbstständigt.“
In dem FT-Bericht taucht auch der Name der bekannten Großkanzlei Jones Day auf, die demnach einer Zielpersonen der Ausspähoperation persönlich bestätigte, dass das Unternehmen tatsächlich private Ermittler beauftragt habe. Nach der Veröffentlichung nahmen wir Kontakt sowohl zu Wirecard als auch zu Jones Day auf, um mit ihnen auf informeller Ebene über die Enthüllung der Ausspähoperation zu sprechen, doch beide Häuser nahmen das Gesprächsangebot nicht an und meldeten sich nicht zurück.
„Das von uns beauftragte Unternehmen hat sich bedauerlicherweise verselbstständigt.“
Trotzdem sollten wir erst einmal davon ausgehen, dass das harte Dementi eines Dax-Konzerns der Wahrheit entspricht. So ist es gute Sitte. Allerdings zitiert das „Handelsblatt“ auch den Ex-Investmentbanker und heutigen Chef des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität, Volker Brühl, der es für „unrealistisch“ hält, „dass eine nur halbwegs renommierte Kanzlei eine solche Operation eigenmächtig durchführen“ würde. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.
Das machten wir aus dem Zatarra-Report
Aber unabhängig davon, wer tatsächlich hinter der Überwachung steckte und wie intensiv sie letztlich gewesen sein mag: Es ist nicht gut, im Kontext mit bekannten Londoner Shortsellern und Hedgefonds-Managern aufzutauchen, von denen manche über einen fragwürdigen Leumund verfügen. Denn weder ich noch irgendein anderes Mitglied der FINANCE-Redaktion kooperiert oder interagiert mit Marktteilnehmern, um mit Hilfe von journalistischen Beiträgen Aktienkurse oder Unternehmensbewertungen zu beeinflussen.
Die Causa Wirecard eignet sich aber gut, um zu zeigen, wie wir mit solchen Fällen umgehen. Auf das Zatarra-Papier wurden wir damals aufmerksam, weil es einen 20-prozentigen Kurssturz von Wirecard auslöste. Da so etwas nicht jeden Tag passiert, begannen wir zu recherchieren. Schnell fanden wir den Zatarra-Report öffentlich im Internet verfügbar und luden ihn herunter.
Der Name des Informanten, der uns auf diese Fährte setzte, fängt mit „G“ an und hört mit „oogle“ auf. Gemeinsam mit einem Kollegen prüfte ich das Papier auf seine Substanz. Wir beide bekamen schnell den Eindruck, dass dort Profis am Werk gewesen sind. Die Struktur des Zatarra-Reports war logisch, die Argumentationskette schlüssig, die Informationen wirkten authentisch. Im Alltag lesen wir unzählige Research-Berichte, und der Zatarra-Report zählte zu den tiefergehenden.
Talk zu Wirecard bei FINANCE-TV
Natürlich heißt das noch lange nicht, dass die dort erhobenen Vorwürfe auch zutreffen. Wie fast immer in solchen Fällen beschlossen wir, auf das Beurteilungsvermögen unserer Leser zu setzen. In Fällen wie diesen ist es ein besonderes Privileg, für eine so professionelle, kritische und gut ausgebildete Leserschaft zu schreiben, wie FINANCE sie hat. Und so beschrieb ich in meinem Artikel die wesentlichen Anschuldigungen Zatarras, verschwieg aber auch nicht den – Zitat – „undurchsichtigen Hintergrund“ dieses Hauses sowie die Tatsache, dass es möglich sei, dass Zatarras Hintermänner finanziell von dem Wirecard-Kurssturz profitiert haben könnten, was wir kurz darauf in einem weiteren Artikel noch einmal gesondert aufgriffen.
Auch das Management kam zu Wort
In den Wochen danach blieben wir am Ball. Unterschiedliche FINANCE-Redakteure schrieben auch noch über Wirecards Reaktion auf die Vorwürfe („verleumderisch und unwahr“) sowie die umfangreichen Aktienkäufe, mit denen sich CEO Markus Braun gegen das Kursdebakel stemmte. Zwei Wochen später legte Zatarra mit einem zweiten Report nach, Wirecard dementierte erneut.
Auch den damaligen CFO Burkhard Ley ließen wir in einem Interview mit unserem Print-Magazin ausführlich zu Wort kommen („Die Zatarra-Vorwürfe sind völlig substanzlos“). Danach versandete das Thema.
2019 folgte eine zweite Überwachungswelle, beauftragt von einem Ex-Geheimdienstmann aus Libyen.
In den Monaten und Jahren danach berichteten wir noch viele Male über Wirecard, online und auch im Magazin. „Wir haben aus den Angriffen gelernt und bei der Erklärung unseres Geschäftsmodelles bereits große Fortschritte gemacht“, beteuerte der aktuelle Wirecard-CFO Alexander von Knoop in der September-Ausgabe 2018, also kurz bevor der Zahlungsdienstleister in den Dax aufstieg und die Commerzbank verdrängte.
Wirecard hinterlässt Fragezeichen
Doch nach dem Aufstiegs in Deutschlands Leitindex rissen die Vorwürfe gegen das Unternehmen nicht ab, Fragezeichen blieben – bis heute. Anlass für uns, auch weiterhin über Zukäufe von Wirecard sowie die Gegenattacken, die Braun gegen die FT und andere Kritiker vortrug, zu berichten. Wir arbeiteten kritisch, neutral, ohne Position zu beziehen. Ich leiste mir den Luxus, keine persönliche Meinung zu Wirecard oder den anderen Unternehmen, über die ich schreibe, zu haben. Dies halte ich für eines der größten Privilegien meiner Arbeit als Finanzjournalist.
Übrigens berichtete die FT auch, dass es im Sommer und Herbst vergangenen Jahres zu einer zweiten Überwachungswelle gekommen sei, diesmal offenbar beauftragt von einem Ex-Agenten des libyschen Geheimdienstes, der angeblich sein eigenes Investment in Wirecard schützen wollte. Dabei ging es dem Überwachungsplan zufolge darum, „das Blut aus den verdächtigen Leuten herauszusaugen“. Wirecard ließ dem „Handelsblatt“ über seine Pressestelle ausrichten, dass der Konzern „auch mit den Vorkommnissen des Jahres 2019 nicht in Verbindung steht“.
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Die Dokumentation
Auf FINANCE-Online haben wir eine Themenseite mit dem Namen „Wirecard“ für Sie eingerichtet. Hier finden Sie unsere komplette Online-Berichterstattung über das Unternehmen.