Bei dem Modehändler Adler spitzt sich die Lage zu: Das Unternehmen benötigt nach eigenen Angaben eine Finanzierung über rund 10 Millionen Euro, um den anhaltenden Shutdown zu überstehen. Seit Wochen führe man hierzu Gespräche mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) über ein Darlehen, doch die Entscheidung lässt auf sich warten. Man laufe „gegen eine Gummiwand“, schilderte CEO Thomas Freude heute in einem Mediengespräch seinen Eindruck. Immer wieder werde Adler vertröstet. Der Schritt an die Öffentlichkeit soll nun den Druck erhöhen, um zu einer schnellen Entscheidung zu kommen.
Die Zukunft von 3.200 Mitarbeitern stehe auf dem Spiel, betont das Management. Die Adler-Verantwortlichen sprechen von „Widerstand von Regierungsseite“ und werfen den Bundesministern Olaf Scholz und Peter Altmaier eine „Blockadehaltung“ vor.
Verlängerter Lockdown bringt Adler in Bedrängnis
Adler durchläuft seit Januar eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Zunächst sicherte sich das Unternehmen über einen Massekredit über 20 Millionen Euro, erläutert Christian Gerloff (Kanzlei Gerloff Liebler), der das Unternehmen als Generalbevollmächtigter durch die Eigenverwaltung begleitet. Auch Lieferanten und Vermieter hätten in den zurückliegenden Monaten Zugeständnisse gemacht.
Doch durch die Verschärfung des Shutdowns drohe Adler „das Geld auszugehen“, heißt es in einem deutlichen Statement. Seit dem Lockdown im März 2020 hat der Textilhändler nach eigenen Angaben insgesamt bereits Umsatzrückgänge von rund 280 Millionen Euro verzeichnet.
Eigenverwaltung erschwert staatliche Hilfen
Ein Problem in der aktuellen Lage: Durch die Insolvenz in Eigenverwaltung ist Adler von bestimmten Hilfsangeboten ausgenommen. Überbrückungshilfe III beispielsweise wird grundsätzlich nicht bewilligt, wenn das Hilfe suchende Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt hat. Dies soll verhindern, dass nicht lebensfähige Unternehmen durch staatliche Hilfen gerettet werden.
Allerdings monieren Restrukturierer, dass Unternehmen, die im Insolvenzverfahren bereits harte Einschnitte vorgenommen haben, mitunter bessere Überlebenschancen hätten als Wettbewerber, die nur noch als „Zombie-Unternehmen“ am Markt unterwegs sind und keine Schritte zur Neuausrichtung unternommen haben. Eine derart detaillierte Einzelfallprüfung erfolgt bei der Zuteilung der staatlichen Corona-Hilfen allerdings nicht.
Bei Adler würde die Überbrückungshilfe III einen Betrag von rund 9 Millionen Euro ausmachen, erklärte Gerloff heute gegenüber Journalisten. Doch diese 9 Millionen Euro bekäme Adler nicht bewilligt. Und auch an anderer Stelle hakt es: Das Unternehmen hatte in den ersten drei Monaten dieses Jahres Kurzarbeit angemeldet und Kurzarbeitergeld genutzt.
Allerdings erstattet die Agentur für Arbeit bei Unternehmen in Insolvenzverfahren die zugehörigen Sozialversicherungsbeiträge nicht. Hintergrund ist die Sorge, dass diese Beträge im Falle einer späteren Insolvenz angefochten werden könnten. Laut Gerloff geht es bei Adler um einen Betrag von 2,3 Millionen Euro, der Streit beschäftigt inzwischen die Justiz. Das Sozialgericht Würzburg billigte Adler die Zahlungen in einem ersten Urteil zu.
FINANCE-Köpfe
Erfüllt Adler die WSF-Voraussetzungen?
Von einem Zugang zu WSF-Mitteln ist ein Unternehmen im Insolvenzverfahren nicht pauschal ausgeschlossen, betont Gerloff. Auch etwaige beihilferechtliche Fragen auf EU-Ebene ließen sich regeln, sofern der politische Wille vorhanden sei, ist er sich sicher. Adler-CEO Freude betonte zudem, das Unternehmen wolle keine Geschenke. Adler bemühe sich um ein Darlehen über 10 Millionen Euro, das verzinst zurückgezahlt werden müsse.
Wer Mittel aus dem WSF erhalten möchte, darf sich zum 31. Dezember 2019 – also vor Ausbruch der Corona-Pandemie – nicht in Schwierigkeiten befunden haben. Bei Adler ist das der Fall: Das Modehaus schloss das Geschäftsjahr 2019 noch mit einem Nachsteuergewinn von 5,1 Millionen Euro ab, zudem konnte CFO Karsten Odemann eine „Rekord-Netto-Liquidität“ von 70,1 Millionen Euro ausweisen.
Allerdings muss ein Unternehmen auch eine „klare eigenständige Fortführungsperspektive nach Überwindung der Pandemie“ vorweisen können. Gerloff zufolge sei eine positive Fortführungsprognose dokumentiert und beim WSF hinterlegt worden. Allerdings befindet sich Adler im Zuge der Insolvenz in Eigenverwaltung derzeit auch „in vielversprechenden und fortgeschrittenen Verhandlungen mit mehreren nationalen und internationalen Investorengruppen“. Die längerfristige Perspektive dürfte daher auch vom Ausgang dieser Gespräche abhängen – das könnte zumindest Interpretationsspielraum darüber eröffnen, wie eigenständig Adlers Perspektive ist.
Der WSF
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, mit dem Adler über Hilfen verhandelt, richtet sich in erster Linie an größere Unternehmen mit mindestens 50 Millionen Euro Umsatz und mehr als 249 Beschäftigten. Der WSF stützte zuletzt unter anderem den Stahlkonzern Georgsmarienhütte sowie das Touristikunternehmen FTI. Doch auch Mittelständler wie der Automobilzulieferer Schlote konnten sich bereits WSF-Hilfen sichern.
Der auf Basis von Sicherheiten abgeschlossene Massekredit ließe sich zur weiteren Finanzierung jedenfalls nicht ohne Weiteres aufstocken, sagte Gerloff. Vielmehr würden sich auch potentielle Geldgeber ein „staatliches Commitment“ zu Adler wünschen.
Restrukturierung soll Adler effizienter machen
Das Adler-Management betont, der Filialist habe ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell, um nach einer finanziellen Sanierung wieder auf einen profitablen Wachstumskurs zurückzukehren. Dafür will das Unternehmen, das sich auf weibliche Kundschaft in der Altersgruppe über 50 Jahren spezialisiert hat, eine eigenständige digitale Wertschöpfungskette aufsetzen, Strukturen und Prozesse verschlanken und die Effizienz steigern.
Der Generalbevollmächtigte Gerloff, der Adler durch die Restrukturierung begleitet, hat bereits mehrere Modehäuser neu ausgerichtet. Er war unter anderem Generalbevollmächtigter bei Gerry Weber, war als Insolvenzverwalter bei Escada eingesetzt und war Sachwalter im Schutzschirmverfahren von Hallhuber. Sachwalter des Adler-Verfahrens ist Tobias Wahl (Kanzlei Anchor).
Die Tochtergesellschaften der Adler Modemärkte im Ausland sind von der Insolvenz nicht betroffen. Das Unternehmen unterhält 24 Filialen in Österreich, drei in Luxemburg und zwei in der Schweiz, diese sind größtenteils unter Hygieneauflagen geöffnet.
Info
Die wichtigsten Nachrichten aus der Welt der Restrukturierung finden Sie immer in unserem Themen-Hub TRANSFORMATION by FINANCE sowie regelmäßig auch im zugehörigen Newsletter.
Die Details zur Vita des Adler-CFO Karsten Odemann können Sie in seinem FINANCE-Köpfe-Profil nachlesen.