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Picard schafft mit „Family and Friends“ den Neustart

Nach der Insolvenz des Lederwarenherstellers in Eigenverwaltung blickt Firmenchef Georg Picard hoffnungsvoll in die Zukunft.
Holzamer

Leere Auftragsbücher, Geschäfte geschlossen, und die langjährige Hausbank dreht den Geldhahn zu: Gut ein Jahr ist vergangen, seit Georg Picard in diesen Abgrund geschaut hat. Nach vielen schlaflosen Nächten und einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist sein Familienunternehmen Picard Lederwaren mit Sitz im hessischen Obertshausen bei Frankfurt nun wieder schuldenfrei.

Doch der Preis war hoch, wie Georg Picard rückblickend berichtet: Fünf der zuvor insgesamt 14 eigenen Stores an Flughäfen und Innenstädten musste Picard schließen und rund Drittel seiner rund 150 Angestellten in Deutschland entlassen. Auch das Grundstück am Hauptsitz in Obertshausen musste das Unternehmen verkaufen, um die Forderungen der Gläubiger bedienen zu können.

Wie konnte es so weit kommen? Picard, das im Geschäftsjahr 2018/19 (Geschäftsjahresende September) noch rund 28 Millionen Euro Umsatz und ein ausgeglichenes Ergebnis erzielte, sieht sich als Opfer der Corona-Krise. Die Umsätze brachen während der Shutdowns nahezu komplett ein, vor allem in Deutschland, wo Picard im B2B-Geschäft als Hauptkunden den selbst kriselnden Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof beliefert. Auch die 14 eigenen Shops – elf davon an Flughäfen – musste der Lederwarenhersteller schließen, Bestellungen von internationalen Kunden blieben aus. „Wir hatten zwar noch unser Onlinegeschäft, aber das hat zu diesem Zeitpunkt nur etwa 15 Prozent unseres Umsatzes ausgemacht“, berichtet Georg Picard. Dem Unternehmen drohte, im schlechtesten Falle spätestens im September/Oktober 2020 das Geld auszugehen.

 „Wir waren nicht überschuldet, uns fehlten aber mittelfristig die liquiden Mittel zur Überbrückung der Corona-Situation“, fasst Georg Picard zusammen.

Picards Hausbank stellt sich quer

Doch auf der Suche nach einer neuen Finanzierung lief Picard gegen Wände. „Unsere langjährige Hausbank Unicredit stellte sich quer“, sagt Picard. Ein weiteres Problem: Auch für die Beantragung eines KfW-Hilfskredits wäre der Lederwarenhersteller auf die Unterstützung einer Bank angewiesen gewesen. Die Unicredit wollte Picard zufolge nur nach Vorlage eines Sanierungsgutachtens nach IDW S6 über eine neue Finanzierung sprechen und kündigte zudem an, die laufende Kreditlinie von 4 Millionen Euro bis Ende Juni fällig zu stellen, falls Picard ein solches nicht vorlege. Die Linie war dem Firmenchef zufolge im März zur Hälfte gezogen. Picard sah sich jedoch unter den Corona-Rahmenbedingungen außerstande, das Gutachten innerhalb des Zeitraums von zweieinhalb Monaten vorzulegen.

„Die Unicredit wollte uns schlicht loswerden“, vermutet der Firmenchef. Die Bank wollte sich auf FINANCE-Anfrage zu dem Fall mit Verweis auf die Vertraulichkeit von potenziellen Kundenbeziehungen nicht äußern.

Picard geht ins Schutzschirmverfahren

Für Picard spitzte sich die Situation dadurch dramatisch zu. Ende April 2020 war die Kreditlinie über 4 Millionen Euro gezogen und damit vollständig ausgeschöpft. Anfang Mai 2020 beantragte das Unternehmen ein Schutzschirmverfahren. Die Geschäftsführung bleibt dabei im Amt und wird bei der Restrukturierung beraten. „Uns war es wichtig, dass wir das in Eigenregie durchziehen konnten“, sagt Georg Picard.

Gemeinsam mit einem Turnaround-Manager und dem Insolvenzberater erarbeitete er die Finanzplanung und einen Restrukturierungsplan. „Das waren Wochen, die wünscht man sich als Unternehmer und insbesondere als Chef eines Familienunternehmens nicht“, beschreibt Georg Picard die wohl härteste Zeit seines bisherigen Berufslebens. Vor allem der Stellenabbau fiel dem Firmenchef schwer. „Das geht nicht spurlos an einem vorbei, diese Gespräche haben weh getan.“

„Uns war es wichtig, dass wir das in Eigenregie durchziehen konnten.“

Firmenchef Georg Picard

Entscheidend war die Frage, wie Picard sich auf Dauer neu ausrichten kann: Woher könnte frische Liquidität kommen? Die Suche nach Investoren für einen möglichen Einstieg bei dem Lederwarenhersteller blieb erfolglos. „Es gab zwar Interessenten, aber das Angebot und die Vorstellungen haben nicht gepasst“, verrät Firmenchef Picard.

Picard erzielt hohe Insolvenzquote

Letztlich haben die Mitglieder der Unternehmerfamilie sowie ein Freund, der als stiller Teilhaber agiert, die Mittel für die Weiterführung des Lederwarenherstellers aufgebracht. Gemeinsam hätten sie „einen einstelligen Millionenbetrag“ bereitgestellt, sagt Picard. Dank „Family and Friends“, wie er die gefundene Lösung nennt, sei die Finanzierung nun mittelfristig gesichert.

Die Forderungen der Gläubiger hat Picard im Zuge des Insolvenzverfahrens zu einem großen Teil befriedigt – in erster Linie gelang dies durch den Verkauf der unternehmenseigenen Immobilien. Die genaue Zahl nennt Georg Picard nicht, die Insolvenzquote soll aber bei mehr als 70 Prozent liegen.

Zeitverzug bei Gericht kostet Kunden

Und wie hat sich das Eigenverwaltungsverfahren auf das Verhältnis zu Kunden und Geschäftspartnern ausgewirkt? Einen Teil davon habe man verloren, so Picards Bilanz. Auch Versand- und Zahlungsdienstleister hätten mit Blick auf die Bonitätsauskunft und den Eintrag im Handelsregister während des Verfahrens die Zusammenarbeit ausgesetzt.

Ein Problem dabei: Auf die offizielle Entlassung aus dem Verfahren durch das Gericht musste Picard nach der Einigung mit den Gläubigern, die auf einer Gläubigerversammlung kurz vor Weihnachten bestätigt wurde, noch lange warten. Die Corona-Pandemie hatte die Prozesse bei Gericht verzögert. Dieser Zeitverzug ärgert den Firmenchef besonders: „Statt der sonst üblichen zwei bis drei Wochen hat die Entlassung aus dem Verfahren bis Ende Februar gedauert, also zwei Monate. In dieser Zeit ist ein weiterer Kunde aus dem Ausland abgesprungen.“

Die kommenden Monate will der Unternehmenschef nun zur weiteren Restrukturierung nutzen und den Traditionsbetrieb vor allem im Online-Geschäft breiter aufstellen. „Wir müssen unser B2C-Geschäft ausbauen, das ist unabdingbar“, sagt Picard vor dem Hintergrund sich reduzierender Einzelhandelsumsätze. Um den eigenen Online-Shop zu stärken und auch das Geschäft auf einem Teil der Online-Marktplätze künftig in die eigene Hand zu nehmen, baut das Unternehmen derzeit ein eigenes E-Commerce-Team auf.

Denn eines ist auch dem Familienunternehmer klar: Solange die Nachfrage nicht wieder anzieht, ist der Lederwarenhersteller noch nicht über den Berg.

thomas.holzamer[at]finance-magazin.de

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Thomas Holzamer ist Redakteur bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Banken-Sektor, speziell das Firmenkundengeschäft. Er hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Thomas Holzamer mehr als 12 Jahre in den Redaktionen der Mediengruppe Offenbach-Post, zunächst als verantwortlicher Redakteur für Sonderpublikationen, später im Lokalen.