Newsletter

Abonnements

Präventive Sanierung: Das sagen Experten zur Umsetzung

Das neue Sanierungsverfahren soll vor der Insolvenzreifen ansetzen. Marktbeobachter sind vom Referentenentwurf beeindruckt.
Brian Jackson - stock.adobe.com

Ein neues Sanierungsverfahren, das bereits vor der Insolvenzreife ansetzt – gerade jetzt, wo viele Unternehmen durch die Coronakrise schwer gebeutelt sind und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht schrittweise ausläuft, kommt die präventive Sanierung zur richtigen Zeit. Dabei reicht der Anstoß durch eine EU-Richtlinie bereits länger zurück. Seit wenigen Tagen liegt nun der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium vor, der aufzeigt, wie genau die präventive Sanierung in Deutschland ablaufen soll.

Info

Update
Zum Jahreswechsel 2021 ist die präventive Sanierung in Kraft getreten. Welche Änderungen es gegenüber dem Referentenentwurf noch gegeben hat, lesen Sie hier

Die wichtigste Botschaft: Die präventive Sanierung wird kein bloßes Anhängsel zu bestehenden Regelungen, sondern bekommt eine ganz eigenständige Struktur. Steffen Reusch, Geschäftsführer bei BDO Restructuring, sieht darin einen ersten und gleichzeitig großen Schritt hin zu einem Kulturwandel: „Der Referentenentwurf ebnet den Weg für Sanierungen, die deutlich vor der Insolvenzreife stattfinden. Das Verfahren wird damit zu einer echten Alternative zur Insolvenz in Eigenverwaltung, um zu deutlich besseren Ergebnissen zu kommen“, hofft Reusch. 

„Die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber ist durchaus beeindruckend.“

Jan Groß, Insolvenzrechtler, Ebner Stolz

Das Besondere an der präventiven Sanierung: Sie ermöglicht eine Restrukturierung über Mehrheitsentscheidungen. „Das schließt eine Lücke zwischen außergerichtlichen freien Sanierungen, bei denen sich alle Gläubiger auf die Maßnahmen einigen müssen, sowie den bestehenden gerichtlichen Insolvenzverfahren“, erklärt Jan Groß, Insolvenzrechtler bei Ebner Stolz. Die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber findet er „durchaus beeindruckend“.

Präventive Sanierung setzt auf Mehrheiten

Die präventive Sanierung ist für Fälle gedacht, in denen eine Zahlungsunfähigkeit droht, diese aber noch nicht eingetreten ist. Für Prognosen zur drohenden Zahlungsunfähigkeit wird künftig einheitlich ein Zeitraum von zwei Jahren angesetzt. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hätte sich sogar einen noch breiteren Zugang zu dem neuen Sanierungsverfahren gewünscht: Bei drohender Zahlungsunfähigkeit seien die Sanierungschancen „bereits eingeschränkt“, kritisiert IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann. 

Die präventive Sanierung funktioniert so: Die Unternehmen stellen sich im präventiven Verfahren über einen Restrukturierungsplan neu auf. Die Gläubiger werden dabei in verschiedenen Gruppen zusammengefasst: Innerhalb jeder Gruppe müssen 75 Prozent Zustimmung zum Restrukturierungsplan erreicht werden, zudem muss eine Mehrheit der gebildeten Gläubigergruppen zustimmen. Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. „Damit können Sanierungen nicht mehr am Widerstand einzelner Akkordstörer scheitern“, erklärt Groß.

Mehr zu diesem Thema bei

alternativer_text

Die FINANCE-Plattform für Restrukturierung
und unternehmerischen Wandel

Zum Newsletter anmelden

Innerhalb der präventiven Sanierung können die Unternehmen dann optional verschiedene Instrumente wie etwa eine gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans oder auch einen vorübergehenden Vollstreckungsschutz in Anspruch nehmen. „Damit haben Sanierungsexperten einen flexiblen Rahmen für das präventive Verfahren“, lobt Maximilian Pluta von der auf Restrukturierung und Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei Pluta.

Präventive Sanierung ist kaum öffentlich

Im Gegensatz zu einem Insolvenzverfahren, das durch den Antrag bei Gericht und die Berufung des Verwalters schnell publik wird, kann eine präventive Sanierung auch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. „Für viele Unternehmen ist diese Vertraulichkeit ein großer Mehrwert“, sagt Reusch. Auch das Stigma der Insolvenz, mit dem Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren häufig noch behaftet sind, entfällt bei der präventiven Sanierung.

Das neue Verfahren soll Unternehmen zudem die Möglichkeit geben, die Verhandlungen zum Restrukturierungsplan selbst zu führen. Ein Restrukturierungsbeauftragter kann eingesetzt werden, zwingend ist dies laut dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf aber nicht. „Ein Restrukturierungsbeauftragter wird in erster Linie in strittigen Fällen zum Einsatz kommen, etwa wenn eine Gläubigergruppe überstimmt wird“, vermutet Reusch. Er glaubt jedoch, dass viele Geschäftsführer und Vorstände sich bei einem präventiven Sanierungsverfahren in jedem Fall von Sanierern und Juristen beraten lassen werden. 

Die Unternehmensleiter müssen bei einer präventiven Sanierung den Blickwinkel wechseln: Sie sollen die Gläubigerinteressen in den Fokus rücken, und nicht etwa die Interessen der Anteilseigner. „Die Geschäftsleitung soll verpflichtet werden, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren, wenn das Unternehmen drohend zahlungsunfähig ist“, erklärt Pluta. Die Verantwortung gegenüber den Gläubigern sollten Unternehmenslenker ernst nehmen, mahnt Steffen Reusch: „Bei Pflichtverletzungen drohen große Haftungsrisiken.“

Für viele Unternehmen ist die Vertraulichkeit präventiver Verfahren ein großer Mehrwert.“

Steffen Reusch, Geschäftsführer, BDO Restructuring

Neue Regelungen für die Eigenverwaltung

Der Referentenentwurf macht nicht nur den Weg für das neue Sanierungsverfahren frei, er präzisiert darüber hinaus auch einige Punkte bei den bestehenden Insolvenzverfahren. So wird der Zugang zur Insolvenz in Eigenverwaltung erschwert: „Wer beispielsweise mit Sozialversicherungsbeiträgen im Rückstand ist oder keinen Restrukturierungsplan vorlegt, dem bleibt künftig nur die Regelinsolvenz“, erklärt Groß.

Den Grund für die Verschärfung benennt der Referentenentwurf klar: „Ein signifikanter Anteil der Verfahren, die in vorläufiger Eigenverwaltung eingeleitet werden, erweist sich als ungeeignet für diese Verfahrensart“, heißt es dort. Dies werfe ein schlechtes Licht auf die Eigenverwaltung. 

Ausnahmen für Corona-Betroffene

Eine Ausnahme von den strengen Regelungen gibt es für Unternehmen, die aufgrund des Coronavirus in die Krise geraten sind. Sie sollen befristet für das Jahr 2021 sogar einen leichteren Zugang zur Insolvenz in Eigenverwaltung erhalten. Voraussetzung: Das Unternehmen darf zum 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig gewesen sein, muss im Geschäftsjahr 2019 ein positives Ergebnis erzielt haben, und der Umsatz muss im Kalenderjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 40 Prozent eingebrochen sein. 

„Ein signifikanter Anteil der Verfahren, die in vorläufiger Eigenverwaltung eingeleitet werden, erweist sich als ungeeignet für diese Verfahrensart.“

Aus dem Referentenentwurf

Um zu verhindern, dass diese Unternehmen beispielsweise allein deshalb einen Insolvenzantrag stellen müssen, weil sie aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage nicht klar abschätzen können, wann eine Überschuldung eintritt, wird der Zeitraum für die Fortführungsprognose für diese Unternehmen bis Ende 2021 auf vier Monate begrenzt. Grundsätzlich gilt für Überschuldung künftig ein Prognosezeitraum von einem Jahr. 

Präventive Sanierung soll im Januar kommen

In den kommenden Monaten muss der Referentenentwurf nun vom Gesetzgeber verabschiedet werden, noch bis Ende dieser Woche dürfen Interessenverbände ihr Feedback abgeben. Von 2021 an soll das Verfahren dann nutzbar sein.

Jurist Groß geht davon aus, dass einige Unternehmen in den kommenden Wochen mit den Arbeiten an einem Restrukturierungsplan beginnen werden. „Dann könnten sie im Januar direkt in ein präventives Sanierungsverfahren starten.“

Info

Die wichtigsten Nachrichten aus der Welt der Restrukturierung finden Sie künftig in unserem neuen Themen-Hub Transformation by FINANCE sowie regelmäßig auch im zugehörigen Newsletter.