Der Richtungsstreit bei ThyssenKrupp hat eine neuen Dimension erreicht, und mit ihm auch die Führungskrise des Industriekonzerns. Nachdem Anfang Juli bereits überraschend Vorstandschef Heinrich Hiesinger zurückgetreten war, legt nun auch Aufsichtsratschef Ulrich Lehner sein Amt nieder. Geführt wird das Unternehmen aktuell von Finanzchef Guido Kerkhoff.
Lehner gilt als Unterstützer von Hiesinger. Seiner Rücktrittsentscheidung heftet er eine klare Botschaft an: Sein Rücktritt erfolge aufgrund des mangelnden Vertrauens der großen Aktionäre und solle dazu beitragen, „das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von so vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt – weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes“, so Lehner.
Aktivisten Elliott und Cevian pochen auf Zerschlagung
Eine Zerschlagung wäre aber im Sinne der aktivistischen Investoren, die bei ThyssenKrupp immer stärker die Debatte dominieren. Sowohl der Hedgefonds Elliott von US-Investor Paul Singer als auch der schwedische Finanzinvestor Cevian fordern mehr Tempo beim Umbau des früheren Stahlkonzerns.
Dabei wird das Stahlgeschäft gerade in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem indischen Mischkonzern Tata eingebracht. Ex-CEO Hiesinger hatte zudem angekündigt, eine neue Strategie vorzulegen, die vermutlich noch weitere Desinvestments schlecht laufender Geschäfte beinhaltet hätte.
Aber das reicht den Aktivisten nicht. Nach der Krupp-Stiftung (21 Prozent) ist Cevian mit 18 Prozent der zweitgrößte Aktionär bei ThyssenKrupp. Händler vermuten, dass allein die Aufzugssparte wertvoller sei als die aktuelle Marktkapitalisierung von ThyssenKrupp, die vor Lehners Rücktritt bei rund 12,8 Milliarden Euro lag.
Nach dem Ausscheiden von Hiesinger und Lehner ist der allgemeine Tenor unter den Analysten nun, dass die Aktivisten Oberwasser haben. Das führt zu Zerschlagungsphantasien bei den Aktionären von ThyssenKrupp. Die Aktie schoss heute zeitweise um 10 Prozent auf über 22 Euro nach oben.
Neu entfachtes Feuer bei ThyssenKrupp
Welche Position vertritt die Krupp-Stiftung?
Damit rückt die Krupp-Stiftung immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Eigentlich als Garant für die Stabilität und Einheit des Konzerns etabliert, gibt ihre Haltung in dem Strategiestreit Beobachtern zusehends Rätsel auf. So kam vor wenigen Tagen heraus, dass die Stiftung die Chancen für eine Fusion der Aufzugsparte mit dem finnischen Wettbewerber Kone ausgelotet hatte.
Seitdem sich die Stiftung beim Ringen zwischen Hiesinger und Cevian zudem recht neutral verhielt, steht auch die Vermutung im Raum, im Umfeld der Stiftung selbst gebe es zwei Lager – das eine pro Zerschlagung, das andere dagegen.
Dennoch sucht die IG Metall jetzt den Schulterschluss mit der Stiftung, wie die FAZ heute berichtet. „In solchen Zeiten ist die Mitbestimmung unverzichtbar für die Stabilität des Unternehmens. Gemeinsam mit der Krupp-Stiftung werden wir genau dafür einstehen“, sagte Gewerkschaftssekretär Markus Grolms.
Die IG Metall warnt, der Rücktritt des Aufsichtsratschefs müsse jetzt „der allerletzte Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligten disziplinieren“. Die Aufsichtsratsspitze zu übernehmen, hat die Stiftungsvorsitzende Ursula Gather heute Mittag aber bereits abgelehnt.
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Keine leichte Aufgabe: Nach dem Rückzug seines CEOs und Aufsichtsratschefs muss Finanzchef Guido Kerkhoff den kriselnden Industriekonzern ThyssenKrupp aktuell alleine führen.