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Wie Peer Steinbrück die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung einschätzt

Illustre Runde auf der Structured FINANCE Digital Week: Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (links) und Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt für die Eurozone (rechts), im Gespräch mit F.A.Z.-Business-Media-Geschäftsbereichsleiter Armin Häberle (Mitte).
F.A.Z. Business Media GmbH/A. Varnhorn

Auch der vierte und letzte Tag der Structured FINANCE E-Paper Week startete mit einem Highlight. Live im Frankfurter Studio begrüßte F.A.Z.-Business-Media-Geschäftsbereichsleiter Armin Häberle den Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Carsten Brzeski, seines Zeichens ING-Chefvolkswirt für die Eurozone.

Gleich zu Beginn lobte Steinbrück mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie die Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung. Diese seien bis auf Kommunikationsdefizite an der ein oder anderen Stelle insgesamt sehr gut ausgefallen, findet Steinbrück. Kritikpunkt war die aus seiner Sicht erkennbar häufig nicht abgestimmte Schulpolitik der Länder. „Der deutsche Bildungsförderalismus hat sich als wenig vorteilhaft in der Krise gezeigt, was zulasten von Kindern und ihren berufstätigen Eltern ging.“ 

ING-Volkswirt Brzeski lobt deutsche Coronapolitik

ING-Experte Carsten Brzeski wies hingegen besonders auf die wirtschaftspolitische Unterstützung hin. Hier war die deutsche Regierung schneller als die Geldpolitik. „Die Fiskalpolitik wird endlich mal eingesetzt, um nicht nur die Krise aufzufangen, sondern auch gleichzeitig die Wirtschaftsstrukturen in Deutschland zu verändern,“ so Brzeski. Während für ihn die Verlängerung der Kurzarbeitregelung als rein politische Entscheidung kein Problem darstelle, sei eher die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht diskussionswürdig.

Während beide Gäste keine Prognose zu einer möglichen Insolvenzwelle geben wollte, wünschte sich Peer Steinbrück angesichts einer tobenden gesellschaftlichen Debatte, dass die Politik die Situation mit der sprichwörtlichen „Bazooka“ stabilisieren möge. „Die größte Sorge machen mir Solo-Selbstständige und die Kulturschaffenden in Deutschland“, so der 73-Jährige, der seit 2016 als Senior Advisor bei der ING Deutschland tätig ist.

Auch über die weitere Steuerpolitik wurde munter spekuliert. Beide Herren waren sich einig, dass mögliche Steuererhöhungen ein Thema der Bundestagswahl im kommenden Jahr werden dürften. Peer Steinbrück geht davon aus, dass sich eine politische Mehrheit gegen Steuererhöhungen aussprechen wird und ähnlich wie im Jahr 2009 eher auf einen Ausgleich durch ein belebtes Wachstum setzen dürfte. Zudem könnte der Ende des Jahres abgeschaffte Solidaritätszuschlag vielleicht als Coronahilfe ein Comeback feiern, orakelte Brzeski mit einem Augenzwinkern.

Steinbrück outete sich als Gegner der kurzfristigen Mehrwertsteuersenkung. Den damit verbundenen bürokratischen Aufwand bezeichnete er als unverhältnismäßig, während er den ökonomischen Nutzen als eher gering erachtete.

Steinbrück kritisiert EZB-Präsidentin Lagarde

Auf die Staatsverschuldung angesprochen, sah der SPD-Politiker eine mögliche Erhöhung um 80 bis 85 Prozent gemessen am Bruttosozialprodukt für Deutschland als wenig problematisch an. „Das Problem ist die internationale Szene, wo viele Länder die magische Grenze von 100 Prozent teilweise deutlich überschreiten.“ Besorgt wies er innerhalb der Eurozone auf Spanien und Italien insbesondere mit Blick auf die faulen Kredite hin. Auch Carsten Brzeski macht sich auf kurze Sicht keine Sorgen – „solange die Europäische Zentralbank am Markt ist und die Zinsen niedrig hält.“ Dies könnte sich ändern, falls die Zinsen irgendwann wieder steigen sollten, womit aber frühestens in der zweiten Hälfte des neuen Jahrzehnts zu rechnen sei, glaubt er.

„Viele Länder in der Eurozone sind abhängig davon, dass die EZB auch in den nächsten Jahren diese Liquidität bereitstellt, was natürlich dazu führt, dass der Reformdruck auf diese Länder deutlich abnimmt“, kritisierte Steinbrück die aktuelle Lage. Er hielt es zudem für problematisch, dass der Zins als Risikoindikator völlig ausgefallen sei. Mit Blick auf Präsidentin Christine Lagarde konnte sich der Finanzexperte einen Seitenhieb auf die neuerliche umweltpolitische Ausrichtung der EZB nicht verkneifen. Auch wenn das Thema wichtig sei, sei es seiner Meinung nach nicht die Aufgabe einer Zentralbank, die Anleihepolitik auch nach Umweltkriterien auszurichten.

„Trump wird Biden das Leben schwer machen“

Auch zur neuen politischen Situation in den USA äußerte sich Peer Steinbrück. Er gehe davon aus, dass sich diese auch nach der Vereidigung von Joe Biden nicht sonderlich ändern werde. „Trump wird von der Außenlinie alles dafür tun, seinem Nachfolger das Leben schwer zu machen.“

An der US-Politik werde sich sowohl was Handels- als auch Steuerthemen angeht nicht viel ändern, glaubt Steinbrück. Gleiches gelte für die Außen- und Sicherheitspolitik, wo sich Deutschland weiterhin darauf einstellen sollte, hier in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen zu müssen. Trumps Ausdruck „America First“ dürfte von Biden durch „Buy American“ ersetzt werden, so der ehemalige Ministerpräsident von NRW. 

Das jüngst geschlossene asia-pazifische Freihandelsabkommen RCEP hielt Steinbrück indes für ein fatales Versagen der noch amtierenden US-Regierung, die aus den Verhandlungen ausgestiegen war und das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) nicht zum Erfolg geführt habe. „China hat einen wahnsinnigen Coup gelandet und hat die Unfähigkeit der Amerikaner unter Trump völlig demaskiert.“ Nun sei es wichtig, eine europäische Lösung zu finden.

martin.barwitzki[at]finance-magazin.de