Deutsche Unternehmen erschütterten dieses Jahr mit Gewinnwarnungen wie seit der Finanzkrise nicht mehr: Gewinnwarnungen von prominenten Namen wie Daimler, Continental, BASF oder Norma waren aber nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt mussten im ersten Halbjahr 54 der 308 im Prime Standard gelisteten Unternehmen ihre Gewinn- oder Umsatzprognosen (oder beides) kassieren, wie eine Auswertung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zeigt.
Die Zahl der Gewinnwarnungen liegt im ersten Halbjahr 38 Prozent über dem Vorjahreswert, als lediglich 39 börsennotierte Unternehmen ihre Erwartungen für das Geschäftsjahr zurückschraubten. Damit beschleunigt sich ein bedenklicher Trend, der schon vor drei Jahren startete: 2016 gab es im ersten Halbjahr 24 Gewinnwarnungen (50 Prozent mehr als im Jahr davor), 2017 und 2018 dann 30 beziehungsweise 39. Der in diesem Jahr verzeichnete Anstieg ist noch einmal deutlich stärker als in den Vorjahren, die Kurve wird exponentiell.
Deutsche CFOs reduzieren Ebit-Prognose um ein Drittel
Wie sehr sich die Unternehmen in diesem Jahr mit ihren Erwartungen verschätzt haben, zeigen die Zahlen von EY ebenfalls: Deutsche Firmen haben ihre Ebit-Erwartungen durchschnittlich um ein Drittel gesenkt, hauptsächlich wegen der schlechter laufenden Konjunktur. Ihre Aktienkurse gaben am Tag der Ankündigung im Schnitt um 5 Prozent nach.
Es gab allerdings auch 51 Unternehmen, die in diesem ersten Halbjahr ihre Erwartungen nach oben geschraubt haben – acht mehr als Vorjahr. Im Schnitt haben diese Unternehmen ihre Ebit-Prognose um 21 Prozent angehoben, die Aktienkurse kletterten durchschnittlich um 2 Prozent. Bei den positiven Prognosekorrekturen zeigt sich ein gegensätzlicher Trend zu den Gewinnwarnungen – deren Zahl nimmt tendenziell ab. Im ersten Halbjahr 2017 schraubten noch 102 CFOs ihre Prognosen herauf.
Automotive und Tech sind Spitzenreiter
Wenig überraschend liegt der Anteil der Gewinnwarnungen in der strauchelnden Automobilbranche am höchsten: Fünf von zwölf im Prime Standard gelisteten Autoherstellern und -zulieferern mussten zurückrudern – eine Quote von 42 Prozent. Dicht dahinter folgen überraschenderweise zwei Branchen, die eigentlich als wenig konjunktursensibel gelten: In der Tech-Branche liegt die Gewinnwarnungsquote bei 30, beim Handel bei 25 Prozent.
Die eigentlich als angeschlagen geltenden Sektoren Chemie und Finanzen glänzen hingegen mit unerwarteter Stabilität: Nur 8 Prozent der Chemiekonzerne warnten, bei den Banken und Finanzdienstleistern waren es sogar nur 4 Prozent. Gänzlich verschont blieben die Investoren der Telekommunikationsbranche, dort gab es keine einzige Gewinnwarnung.
Ist das erste Halbjahr nur ein Vorspiel?
Schlimmes erwarten lässt der Blick auf die weitere Entwicklung im vergangenen Jahr: Auf ein damals schon schwaches erstes Halbjahr folgte ein katastrophales zweites mit ganzen 102 Gewinnwarnungen, ein klarer mehrjähriger Höchstwert.
Extrapoliert man die Zuwächse bei den Gewinnwarnungen im ersten Halbjahr auf die H2-Zahlen von 2018, käme man auf 140 drohende Gewinnwarnungen in der zweiten Jahreshälfte. Dann würden im Gesamtjahr insgesamt über 190 CFOs ihre Prognosen verfehlen. Das wären fast zwei Drittel aller Prime-Standard-Werte. „Der Gegenwind für deutsche Unternehmen nimmt zu“, kommentiert Studienautor und EY-Partner Martin Steinebach.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.