Von einem lauen Lüftchen ist der deutsche Insolvenzmarkt innerhalb von nur drei Monaten in einen regelrechten Sturm geraten: Im dritten Quartal dieses Jahres haben 33 Unternehmen mit einem Umsatz von über 20 Millionen Euro einen Insolvenzantrag gestellt. Das sind fast doppelt so viele Anträge wie im zweiten Quartal 2019 – damals stellen lediglich 18 Unternehmen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
Die Anzahl der Anträge hat aber nicht nur im Vergleich zum Vorquartal deutlich angezogen: Das dritte Quartal 2019 übersteigt sogar das vierte Quartal 2018 mit dem bisherigen Höchststand von 31 Insolvenzanträgen. Diese Zahlen stammen aus dem neuen FINANCE-Insolvenz-Report, den die Restrukturierungsberatung Falkensteg exklusiv für FINANCE anfertigt (und den Sie hier kostenlos herunterladen können).
Prominenteste Großinsolvenz: Thomas Cook
Noch beschränkt sich die Insolvenzwelle auf die kleineren Unternehmen des gehobenen Mittelstands. Sowohl bei Unternehmen mit Umsätzen über 100 Millionen Euro als auch bei jenen mit Erlösen von 50 bis 100 Millionen Euro bewegten sich die Insolvenzzahlen im Rahmen der Vorquartale. Viele Einschläge gab es hingegen bei Unternehmen mit 20 bis 50 Millionen Euro Umsatz. Hier verdoppelte sich die Insolvenzzahl gegenüber dem zweiten Quartal von 10 auf 21.
Die oberste Größenklasse lieferte allerdings die prominenteste Insolvenz des Quartals: Ende September rutschte der britische Reisekonzern Thomas Cook in die Pleite, nachdem die finanzierenden Banken eine Anschlussfinanzierung verweigert hatten. Die deutschen Töchter riss es mit in diesen Strudel. Die Thomas Cook Touristik GmbH ging in die Regelinsolvenz, die Insolvenzverwalter Ottmar Hermann von der Kanzlei Hermann Wienberg Wilhelm begleitet. Davon sind 473 Mitarbeiter betroffen. Die deutsche Thomas Cook, die zuletzt rund 1,7 Milliarden Euro erwirtschaftete, musste kürzlich auch alle Reisen für 2020 abblasen, nachdem dies schon für alle verbliebenen des laufenden Jahres geschehen war. Aktuell sucht die deutsche Unternehmensgruppe nach Käufern für einzelne Geschäftsteile.
Von der Thomas-Cook-Insolvenz betroffen ist auch die deutsche Tochter Condor mit ihren knapp 3700 Mitarbeitern. Sie konnte sich – mit Unterstützung des Bundes – allerdings noch in ein Schutzschirmverfahren retten, was Condor aus dem Sog der untergehenden Konzernmutter befreit. Der Schutzschirm löst Haftungsverbindungen, und so kann Condor versuchen, sich in Eigenregie zu sanieren. Begleitet wird Condor dabei von dem Air-Berlin-Insolvenzverwalter Lucas Flöther von der Kanzlei Flöther & Wissing.
Gemessen am Umsatz lieferte die größte Insolvenz des Quartals jedoch der Potsdamer Energiehändler Natgas. Dieser ging mit 100 Mitarbeitern, aber 4 Milliarden Euro Umsatz in die Regelinsolvenz.
100 Prozent Quote bei ViaSalus
Es gab aber auch Lichtblicke. Für den größten Coup sorgte der Restrukturierungsspezialist Rainer Eckert, Sachwalter des insolventen Klinik- und Pflegeheimbetreibers ViaSalus. Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnete Eckert im April dieses Jahres. Nur wenige Wochen später ist der Klinikbetreiber mitsamt seinen 3200 Mitarbeitern bereits gerettet. Ein Unternehmen des Alexianer-Ordens hat die Gläubiger ausbezahlt und einen Anteil an ViaSalus erworben. Bemerkenswert: Alle Gläubiger erhielten ihre Forderungen zurück, die Insolvenzquote erreichte 100 Prozent.
Der Abschluss der ViaSalus-Sanierung gesellt sich zu einer ganzen Reihe von abgeschlossenen Verfahren in diesem Jahr. So wurden von 97 Verfahren aus dem Vorjahr ganze 81 Fälle inzwischen abgeschlossen. Von den 80 Verfahren aus diesem Jahr sind bereits 33 gelöst.
Zahl der Restrukturierungsfälle zieht deutlich an
Doch die Zahl der Restrukturierungsfälle steigt rasant an, wie das neue FINANCE-Restrukturierungsbarometer zeigt. Den Umfrageergebnissen nach haben fast 60 Prozent der befragten Restrukturierungsexperten in den vergangenen sechs Monaten vollere Auftragsbücher gehabt als zuvor. Die Auslastung der Restrukturierungsexperten gilt als Vorlaufindikator für spätere Insolvenzen, und aktuell haben sie so viele Aufträge wie noch nie seit Beginn der FINANCE-Befragungen im Jahr 2012.
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Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.