Als Continental kürzlich ein Geldmarktpapier über die Blockchain an Siemens verkaufte, musste der Automobilzulieferer nach Luxemburg ausweichen. Der Grund: „Nach deutschem Recht wäre eine physische Globalurkunde erforderlich gewesen“, erklärt Johannes Blassl, der die Conti-Transaktion als Rechtsanwalt der Kanzlei GSK Stockmann begleitete. „Daher kann man verbriefte Wertpapiere – anders als beispielsweise in Luxemburg – nicht papierlos schaffen und verwahren.“
Bei der Transaktion des Automobilzulieferers handelte es sich um einen Test: Das drei Tage laufende Commercial Paper hatte lediglich ein Volumen von 100.000 Euro. Langfristig ist es aber durchaus denkbar, dass auch größere Volumina für die kurzfristige Finanzierung über die Blockchain abgewickelt werden – und diese auch von anderen Unternehmen gezeichnet werden. Der Anlagedruck im Niedrigzinsumfeld ist hoch und zwingt Treasurer zur Diversifikation.
Deutsche Unternehmen, die Finanzierungen über die Blockchain aufnehmen wollen, müssen bislang allerdings den Umweg über das Ausland nehmen. Denn in Deutschland ist neben der Ausgabe digitaler Tokens weiterhin der klassische papierbasierte Emissionsprozess notwendig.
So lassen sich die Effizienz- und Zeitgewinne, die der Einsatz der Blockchain-Technologie mit sich bringt, allerdings nicht realisieren. Dabei können diese durchaus erheblich sein: Im Falle der Kurzfristfinanzierung von Continental etwa dauerte der Dokumentations- und Geldaustausch nur wenige Minuten statt zwei Tage. Das klingt unspektakulär, kann aber gerade in Krisenzeiten, in denen Liquidität nicht en masse am Markt verfügbar ist und Kontrahentenrisiken an Bedeutung gewinnen, ein großer Vorteil sein.
Deutschland schafft elektronische Schuldverschreibung
Die Folge: Der deutsche Kapitalmarkt droht aufgrund rechtlicher Hürden in Sachen Digitalisierung abgehängt zu werden. Das hat jetzt auch die Bundesregierung erkannt. Die Ministerien für Finanzen und Justiz wollen das deutsche Recht deshalb „generell für elektronische Wertpapiere“ öffnen, wie es in einem Anfang März veröffentlichten Eckpunktepapier heißt. Die derzeit „zwingende urkundliche Verkörperung von Wertpapieren soll nicht mehr uneingeschränkt gelten“. In einem ersten Schritt soll das für Fremdkapitalinstrumente, später womöglich auch für Aktien gelten.
Rechtsanwälte begrüßen die Ankündigung der beiden Ministerien, das Wertpapierrecht entsprechend zu ändern: „Das geht in die richtige Richtung. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es erforderlich, die Möglichkeiten, die die Digitalisierung im Wertpapierhandel schafft, auch gesetzgeberisch zu begleiten“, sagt Blassl von GSK Stockmann.
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Bislang wurden die Rechte der Gläubiger in der Globalurkunde verbrieft, die bei einem Zentralverwahrer wie etwa Clearstream hinterlegt wurde. „Künftig könnten diese Rechte auch über ein elektronisches Wertpapierregister auf der Blockchain abgebildet werden“, erklärt Franzisca Stuckenberg, Rechtsanwältin bei GSK Stockmann.
Dürfen auch Privatanleger Blockchain-Bonds kaufen?
Allerdings sind vorher noch einige rechtliche Fragen zu klären. Besonders im Fokus steht dabei der Anlegerschutz: Dürfen nur institutionelle Investoren oder auch private Anleger sogenannte Krypto-Wertpapiere zeichnen? Falls Privatpersonen diese Papiere erwerben dürfen, wird es dann die Pflicht geben, einen zugelassenen, überwachten Intermediär – also etwa eine Bank – einzuschalten? Diese Punkte wollen die beiden Ministerien „ergebnisoffen diskutieren“, wie es heißt.
Letzteres ist durchaus ein heikles Thema: Einige Experten sehen in der Blockchain-Technologie das Potential, Banken und Börsenbetreiber als Intermediäre zu ersetzen. Das liegt vor allem an den Eigenschaften der dezentralen Datenbank, die die Transaktionshistorie unveränderbar nachvollzieht und für alle angeschlossenen Teilnehmer transparent macht. Damit übernimmt die Technologie die vertrauensschaffende Funktion, die bisher Banken und Infrastrukturbetreiber inne haben. Für Emittenten hätte das Kostenvorteile.
„Es wird noch Monate – wahrscheinlicher sind Jahre – dauern, bis Deutschland die Schaffung elektronischer Schuldverschreibungen gesetzlich determiniert.“
Auch bei der Commercial-Paper-Transaktion von Continental zeigte sich bereits die veränderte Rolle von Banken: Der Dax-Konzern platzierte das Papier direkt bei Siemens. Die Commerzbank fungierte dabei nicht als Vermittler, sondern als Plattformbetreiber – ein anderes Geschäftsmodell für die Bank.
Unternehmensfinanzierung wird digital
Diese offenen Fragen tangieren diverse Gesetze – vom Schuldverschreibungsgesetz über das Aktienrecht, das Depotgesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch bis hin zu diversen aufsichtsrechtlichen Vorgaben. GSK-Anwalt Blassl glaubt deshalb: „Es wird noch Monate – wahrscheinlicher sind Jahre – dauern, bis Deutschland die Schaffung elektronischer Schuldverschreibungen gesetzlich determiniert.“
Aber auch Blockchain-Skeptiker könnten von der angekündigten Gesetzesänderung profitieren. Deren Stimmen sind zuletzt wieder lauter geworden: Die Technologie sei zu komplex und für viele Anwendungen in der Finanzbranche gar nicht erforderlich, kritisierte jüngst etwa die Strategieberatung McKinsey.
Denn die elektronische Schuldverschreibung wird nicht an den Einsatz dieser speziellen Technologie geknüpft sein. Sollte die Reform tatsächlich kommen, wäre dies generell ein Meilenstein für die Digitalisierung des Kapitalmarktes – mit den entsprechenden Effizienz- und Zeitvorteilen für Banken und Emittenten.
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