Herr Ketter, Sie sind als CFO von Gea für IT und somit auch für Digitalisierung zuständig. Beim Kapitalmarkttag im vergangenen September haben Sie angekündigt, ein global einheitliches ERP-System einführen zu wollen. Derzeit unterhält Gea 67 verschiedene Systeme. Der Wildwuchs in der IT-Landschaft gilt als ein Grund für die zahlreichen Gewinnwarnungen Ihrer Vorgänger. Wie weit sind Sie seit dem vergangenen Herbst mit dem Projekt gekommen?
Wir haben in den vergangenen Monaten gute Fortschritte erzielt. Als erstes haben wir einen neuen Zentralbereich Business Process Management (BPM) aufgebaut. Sieben Mitarbeiter definieren dort einheitliche Prozesse für die gesamte Organisation. Unterstützt wird der Zentralbereich von über 150 Mitarbeitern in den operativen Einheiten, sie sind Teil einer neu gegründeten BPM-Community. Parallel dazu haben wir eine große Ausschreibung gemacht, um einen Implementierungspartner zu finden. Ein großes IT-Unternehmen hat das Rennen gemacht. Und dank unserer Partnerschaft mit SAP haben wir nun auch die Lizenzen, um mit der Einführung von S/4 Hana zu beginnen.
Warum brauchen Sie dafür eine Partnerschaft mit SAP?
Vor uns liegt ein echter Kraftakt, das IT-Projekt ist riesig: Wir werden 67 ERP-Systeme in 204 Gesellschaften weltweit auf ein einziges System überführen. Deshalb ist es uns wichtig, Zugriff auch auf die internen Ressourcen in der Produktentwicklung bei SAP zu haben. Die Partnerschaft gibt uns die Sicherheit, dass wir dort das notwendige Gehör finden. Deshalb haben wir das Projekt auf Vorstandsebene aufgehängt: Ich bin der Sponsor bei Gea, mein Counterpart bei SAP ist Entwicklungsvorstand Thomas Saueressig.
Gea budgetiert 100 Millionen für ERP-Projekt
Sie helfen SAP im Umkehrschluss dabei, das Produktportfolio für Anlagenbauer und Industrieunternehmen auszubauen. Das dürfte sich auch monetär für Sie auszahlen, oder?
Möglichst wenig zahlen zu müssen, war nicht das primäre Ziel der Kooperation. Wir bezahlen SAP auch künftig für Lizenzen und die Wartung. Aber natürlich gibt uns eine Partnerschaft mehr Möglichkeiten in den Verhandlungen. Ich finde, wir konnten für beide Seiten ein attraktives Gesamtpaket schnüren.
Wie hoch ist Ihr Budget für das ERP-Projekt?
Das Projekt soll bis Ende 2025 laufen. Beim Kapitalmarkttag hatten wir die zu erwartenden Gesamtkosten auf 148 Millionen Euro beziffert. Aus heutiger Sicht sollte es deutlich günstiger werden. Aber über 100 Millionen Euro werden wir wohl liegen.
FINANCE-Köpfe
Das ist eine Menge. Wie wollen Sie diese Kosten wieder reinholen?
Das oberste Ziel des ERP-Projekts ist es, vollständige Transparenz über unsere Unternehmensdaten herzustellen und eine sogenannte „Single Source of Truth“ für unsere Daten aufzubauen. So können wir Geschäftsprozesse deutlich vereinfachen und beschleunigen. Nehmen Sie beispielsweise den Prozess vom Einkauf bis zur Bezahlung („Purchase-to-Pay“), der bei uns bislang in jedem System anders gehandhabt wird. Wenn wir den über alle Tochtergesellschaften harmonisieren, wird sich das auch im Portemonnaie auswirken. Ähnliches gilt für den Logistik- und Produktionsprozess („Order-to-Cash“).
S/4 Hana Rollout bei Gea beginnt 2021
Was heißt das in Zahlen? Mit welchen Einsparungen kalkulieren Sie?
Es ist schwierig, die Effizienzen zu quantifizieren. Hinzu kommt, dass das ERP-Projekt für uns ein strategisches Investment ist und kein kostengetriebenes. Es geht auch darum, Komplexität herauszunehmen, Fehlerquellen zu minimieren und vor allem eine Basis für die digitale Transformation unseres Geschäftsmodells zu schaffen. Klar ist aber, dass das Projekt in unser Ziel einzahlt, bis 2022 eine Ebitda-Marge von 11,5 bis 13,5 Prozent zu erzielen.
Wie sieht nun der Fahrplan für die Einführung von SAP S/4 Hana aus?
In den kommenden Monaten werden wir uns auf die Standardisierung der Prozesse konzentrieren. Dank der Kooperation mit SAP haben wir nun die Möglichkeit, IT-Templates zu definieren. Bis zum Jahresende soll diese Arbeit für sämtliche Finanzabläufe abgeschlossen sein. Im ersten Quartal beginnen wir dann mit dem Rollout. Das ist der erste große Meilenstein für uns.
Wo beginnen Sie mit der Umsetzung?
Wir beginnen mit den Holding-Gesellschaften und kleineren Landesgesellschaften, da Finanzprozesse weniger komplex sind als Prozesse für Produktion, Einkauf und Lagerhaltung. 2021 werden wir daher zwar 20 ERP-Systeme ablösen, diese stehen aber nur für 1 Prozent des Gea-Umsatzes. 2022 beginnen wir dann mit der Umstellung in den operativen Einheiten. In dem Jahr werden wir sechs Einheiten umstellen, die dann bereits für 20 Prozent des Konzernumsatzes stehen werden.
„Das oberste Ziel des ERP-Projekts ist es, vollständige Transparenz über unsere Unternehmensdaten herzustellen.“
Gea will digitale Transformation vorantreiben
Mit dem Projekt wollen Sie die Grundlage für eine Digitalisierung des Kerngeschäfts von Gea bilden. Warum ist eine einheitliche ERP-Landschaft dafür so wichtig?
Digitale Geschäftsmodelle werden im Maschinen- und Anlagenbau immer wichtiger. Deshalb ist es so entscheidend, dass wir unsere Systeme ertüchtigen und eine Single Source auf Truth bauen: Es geht darum, dass sowohl wir als auch unsere Kunden jederzeit auf die gleichen und die richtigen Daten zugreifen. Nur so wird es uns gelingen, den Service-Anteil, der derzeit bei 34 Prozent vom Umsatz liegt, in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen.
Was schwebt Ihnen konkret vor?
Wir sind bereits mit einigen digitalen Services am Markt. So nutzen etwa unsere Servicetechniker bei der Wartung von Maschinen vor Ort Videobrillen. Die dort erfassten Daten werden automatisch in unsere Systeme zurückgespielt und helfen uns, den Wartungsprozess zu verbessern. Solche Angebote rund um IoT wollen wir weiter ausbauen. Im Moment liegt unser Fokus aber erst einmal auf der operativen Transformation des Unternehmens. Bald werden wir das aber zunehmend in Richtung Digitalisierung weiterentwickeln.
FINANCE-TV
Sie haben auch bei Ihrer früheren Station – dem Stahlhändler Klöckner – für die digitale Transformation durchgeführt und E-Commerce-Plattformen eingeführt. Welche Lehren können Sie daraus für Ihre Arbeit bei Gea ziehen?
Das richtige Mindset der Leute ist wichtig. Dazu gehört auch, dass allen klar sein muss, dass der Fokus auf der Digitalisierung und nicht auf IT liegt. Mit anderen Worten: Es geht um die Geschäftsprozesse, die zukünftig digital durchgeführt werden sollen. Dabei muss man sehen, dass viele digitalisierte Geschäftsprozesse heute schon Commodity sind und keine Wettbewerbsvorteile bringen. Deshalb ist es wichtig, immer den zusätzlichen Kundennutzen im Vergleich zum Wettbewerb in den Vordergrund zu stellen.
Info
SAP hat sein neues ERP-System SAP S/4 Hana auf den Markt gebracht – und bewirbt die neuen Möglichkeiten. Für viele Unternehmen ist die erzwungene Umstellung aber erst einmal stressig und teuer. Erfahrungsberichte und Ratgeber finden Sie auf unserer Themenseite zu SAP S/4 Hana.