Wie lange braucht die italienische Tochtergesellschaft, um Eingangsrechnungen von Lieferanten ins System einzutragen? Bei wie vielen Transaktionen konnte das Unternehmen Skonto erzielen? In welchem Prozessschritt hakt es zwischen Versand der Ware und Rechnungsstellung? Alle diese Informationen sind wichtig, wenn ein Unternehmen seine Kapitalbindung reduzieren und Liquidität schneller freisetzen möchte.
Antworten auf diese Fragen liefert das sogenannte Process Mining – ein Werkzeug, mit dem große Datenmengen automatisch analysiert werden (Big Data). „Beim Process Mining wird jede einzelne Transaktion erfasst“, erklärt Andreas Warner, Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte. „Dank dieser Detailtiefe lassen sich Schwächen erkennen, die dem Unternehmen sonst verborgen geblieben wären.“
Mit Process Mining kann ein CFO beispielsweise erkennen, ob ein bestimmter Mitarbeiter, Geschäftsbereich oder Standort Grund für die Verzögerungen im Ablauf ist – und dort gezielt Verbesserungen einleiten. Manchmal sind die Erkenntnisse auch erschreckend: So hat die Analyse bei einem Deloitte-Kunden ergeben, dass jede dritte Bestellung ohne Genehmigung das Haus verlassen hat.
„Beim Process Mining wird jede einzelne Transaktion erfasst.“
Fresenius, Siemens und Bayer nutzen Process Mining
Process Mining liegt unter Beratern gerade voll im Trend. Früher haben sie in Workshops mit ihren Kunden Mängel in den Prozessen herausgearbeitet, heute erledigt dies die Software automatisch. Das spart den Beratern nicht nur Zeit und Geld, es erhöht auch die Akzeptanz der Ergebnisse bei den Unternehmen, meint Deloitte-Partner Warner: „Unbequeme Wahrheiten können nicht mehr wegdiskutiert werden, denn sie sind das Resultat aus 100 Prozent analysierten Unternehmensdaten.“
Auch unter CFOs gewinnt die neue Analysemethode an Popularität: „Für eine Vielzahl von Kunden“ hat Deloitte auf Basis von Process Mining schon Working-Capital-Prozesse optimiert. Dafür kooperiert die Beratung unter anderem mit dem 2011 von drei Studenten gegründetem Start-up Celonis, das eine Process-Mining-Lösung entwickelt hat.
Die Münchener gehören zu den Pionieren für diese Big-Data-Anwendung am deutschen Markt: Auch die Deloitte-Konkurrenten EY und PwC arbeiten mit Celonis zusammen. Nach Angaben des Start-ups setzen Großkonzerne wie Siemens, Fresenius und Bayer, aber auch Mittelständler wie Wacker Neuson, Mewa oder Eissmann ihr Tool ein.
Wie wirksam ist Process Mining wirklich?
Das Working-Capital-Management gilt dabei als eine Paradedisziplin für Process Mining, neben der Post-Merger-Integration, dem Risikomanagement und der internen Revision. Bei all diesen Vorgängen fallen viele Daten an, die Prozesse sind komplex und viele Abteilungen sind involviert.
Warner ist überzeugt, dass Process Mining die KPIs im Working-Capital-Management erheblich verbessern kann – sofern Unternehmen die Erkenntnisse nutzen, um Optimierungen anzustoßen: „Process Mining schafft umfassende Transparenz über den Status quo, es müssen dann im Nachgang auch konsequente Maßnahmen folgen“, sagt der Berater. Eine direkte Vergleichbarkeit mit bisherigen Verfahren sei zwar nicht möglich, allerdings seien die Effizienz- und Effektivitätsgewinne im Vergleich zu bisherigen Verfahren enorm. Konkrete Zahlen nennt er allerdings nicht.
Diese Faktoren treiben Kosten und Aufwand
Preiswert ist eine Analyse auf Basis der Big-Data-Anwendung nicht: „Die Lizenzkosten für die Software, die unter anderem von der Anzahl der Nutzer abhängen, sind durchaus signifikant“, räumt Warner ein. Für einige Großkonzerne könne sich das Investment aber lohnen, um die Prozesse fortwährend zu prüfen und zu verbessern. Kleinere Unternehmen, für die die Erfassung des Ist-Status ihrer Prozesse eine einmalige Übung ist, könnten dagegen gegen Gebühr auf die Lizenz der Berater zugreifen.
„Je heterogener die Systemlandschaft ist, umso aufwendiger wird es natürlich.“
Wie aufwendig eine Analyse der Working-Capital-Prozesse mit Process Mining ist, hängt dabei weniger von der Unternehmensgröße, als vielmehr von der Anzahl der Systeme und Schnittstellen ab, auf die die Software für die Datenanalyse zugreifen muss: „Je heterogener die Systemlandschaft ist, umso aufwendiger wird es natürlich“, sagt Warner. Grundsätzlich sei es aber auch möglich, Excel-Sheets mit in die Analyse einzubinden.
Unternehmen mit vielen Systemen rät Warner daher, zunächst nur eine Landesgesellschaft unter die Lupe zu nehmen, und beispielsweise nur den Prozess vom Einkauf bis zur Bezahlung („Procure-to-Pay“). Das dauere dann üblicherweise nur 1 bis 2 Wochen. Im Nachgang könnten die Unternehmen dann mit den gewonnenen Erkenntnissen weitere Systeme anschließen.
Info
Weitere Informationen zur Optimierung des Umlaufvermögens finden Sie auf der Themenseite Working Capital Management.