Seitdem der IT-Riese SAP vor rund zwei Jahren seine neue ERP-Software SAP S/4 Hana vorgestellt hat, ist sie Dauerthema in vielen Unternehmen. Kein Wunder: Schließlich handelt es sich dabei nicht um irgendein Software-Update, sondern um einen großen Eingriff in die ERP-Landschaft der Unternehmen, wie er nur alle Jahrzehnte vorkommt.
Die bisherige Anzahl an Meilensteinen ist überschaubar: In den Achtzigerjahren kam das ERP-System SAP R/2 auf den Markt, in den Neunzigern dann SAP R/3. Viele Unternehmen denken noch heute daran, wie langwierig und nervenaufreibend die Umstellung war. „Gerade große Konzerne brauchen für so eine Umstellung bis zu 15 Jahre“, erklärt Jörg Kaschytza, Director Presales & Business Consulting und Experte für SAP S/4 Hana bei der IT-Beratung SNP. Kaum läuft SAP R/3 reibungslos, ist schon wieder eine Umstellung notwendig – das ärgert jetzt manche Unternehmen.
Großkonzerne fangen mit Umstellung auf SAP S/4 Hana an
An S/4 Hana führt trotzdem kein Weg vorbei, immerhin wird SAP die Wartung von R/3 nach heutigen Angaben nur noch bis 2025 anbieten. Davon abgesehen erhoffen sich viele Unternehmen aber auch große Vorteile von der neuen Software, immerhin soll sie es ermöglichen, eine riesige Anzahl von Daten in Echtzeit abzubilden. In einer Zukunft, in der Big Data, Predictive Analytics und Industrie 4.0 die prägenden Begriffe sind, wäre eine solche Software ein Muss.
Da die Umstellung aber so langwierig und komplex ist, sucht man bisher vergeblich nach Case Studies. Auch die erwarteten Kosten schrecken immer noch viele Unternehmen ab, den Wechsel von R/3 auf S/4 Hana anzugehen. Lediglich manche kleinere Unternehmen oder Unternehmenssparten von Konzernen haben die Umstellung schon hinter sich gebracht, so beispielsweise Airbus DS Optronics, die zum Geschäftsbereich DS Electronics and Border Security des Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern Airbus gehört. Die meisten Großkonzerne haben mit der Umstellung aber zumindest schon begonnen, die Implementierung dauert bei ihnen nur länger.
Siemens will weg von SAP-Eigenentwicklungen
So auch Siemens. „Wir haben uns direkt nach dem Release von S/4 Hana im März 2015 damit auseinandergesetzt, um einen Fahrplan für den Konzern zu erstellen“, erinnert sich Andreas de la Camp, Head of Line Europe, Center of Expertise ERP/SAP bei Siemens. Für den Konzern, der in den vergangenen Jahren den Umsatzanteil seines Softwaregeschäfts deutlich ausgebaut hat, ist die Umstellung ein Muss: Um Siemens nach dem Wunsch des Vorstandschefs Joe Kaeser zu einem „führenden Anbieter von Technik für die Industrie 4.0“ zu machen, muss der Konzern auch seine eigenen ERP-Prozesse auf den neusten Stand der Technik bringen.
Die Umstellung will Siemens auch dazu nutzen, die bisherige ERP-Landschaft auf den Prüfstand zu stellen. „Vieles ist historisch gewachsen, möglicherweise kann man die Anzahl der Systeme verringern“, erklärt Andreas de la Camp. Der Konzern will weg von den Eigenentwicklungen, mit denen seit der Einführung von SAP R/3 im Unternehmen gearbeitet wird, und stattdessen wieder mehr auf eine Standard-Software setzen.
Damit ist das Unternehmen nicht alleine: War es früher das Maß aller Dinge, die Systeme möglichst an die Bedürfnisse der einzelnen Unternehmensbereiche anzupassen, sehen das viele Unternehmen inzwischen kritisch, da dadurch der Aufwand steigt, die Daten aus den verschiedenen Bereichen für Reports anzugleichen.
Ein Proof of Concept soll Siemens Orientierung geben
Zu Beginn seines Projekts hat Siemens zunächst einen Proof of Concept (PoC), also eine Machbarkeitsanalyse, für den Bereich Finance durchgeführt, um erste Erfahrungen mit S/4 Hana zu sammeln. Dabei hat Siemens in der Division Mobility die Migration von Altdaten in das neue System getestet. Die Division hatte sich angeboten, weil das dortige ERP-System komplex ist und sehr viele Geschäftsarten enthält. Anhand der Erfahrungen mit dieser Migration glaubt Siemens nun abschätzen zu können, was bei der Finance-Umstellung anderer komplexer Systeme im Konzern zu beachten ist.
Gerade bei großen Konzernen mit vielen verschiedenen Systemen gehört ein PoC im Vorfeld zum Standard, meint auch Jörg Kaschytza von SNP. Dort könnten zum Beispiel wichtige Fragen beantwortet werden, die für das künftige Projektdesign maßgeblich sind: „Starte ich mit einem neuen Prozessdesign auf einem neuen System oder möchte ich mein aktuelles System so weit wie möglich weiter nutzen?“ Vor einer Migration sollten Unternehmen unbedingt prüfen, wie die Übernahme von historischen Daten mit weiteren strukturellen Veränderungen und Bereinigungen möglich ist, rät Kaschytza.
Siemens hat bereits auf Hana umgestellt
Bei der Umstellung auf S/4 Hana kommt Siemens zugute, dass der Konzern schon vor einiger Zeit auf die neue Datenbank Hana umgestellt hat, die die technische Grundlage des neuen ERP-Systems S/4 Hana ist. Obwohl auch die konzernweite Einführung von Hana etwa zwei Jahre in Anspruch genommen hat, war dieser erste Schritt für Siemens immer noch wesentlich einfacher als die Umstellung auf S/4 Hana, da damit keine Änderungen in den Geschäftsprozessen verbunden waren.
Bei der Umstellung des ERP-Systems hingegen wird Change Management eine große Rolle spielen, da die Finanzabteilungen des Riesenkonzerns zum Teil auch ihre Arbeitsweisen ändern müssen, sagt Andreas de la Camp von Siemens. „Wir hatten jetzt 20 Jahre lang ein vertrautes ERP-System, da kann es schwer sein, sich auf etwas Neues einzulassen“, fürchtet er.
Bis alle Konzernteile auf S/4 Hana migriert sind, wird noch viel Zeit vergehen, De la Camp hofft, dass Siemens bis 2025 fertig sein wird. Nachdem der PoC nun abgeschlossen ist, wird laut Plan im April 2018 eine erste Pilot-Gesellschaft die echte Umstellung auf S/4 Hana ausprobieren. Geht alles glatt, folgen dann die anderen Geschäftsbereiche von Siemens.
Info
SAP hat sein neues ERP-System SAP S/4 Hana auf den Markt gebracht – und bewirbt die neuen Möglichkeiten. Für viele Unternehmen ist die erzwungene Umstellung aber erst einmal stressig und teuer. Erfahrungsberichte und Ratgeber finden Sie auf unserer Themenseite zu SAP S/4 Hana.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.