Wenn große Unternehmen in die Insolvenz rutschen, dann ist die öffentliche Anteilnahme groß. Nicht nur die Wirtschaftsmedien berichten darüber. Häufig gibt es Sondersendungen im Abendprogramm oder – wie etwa bei Wirecard – sogar Verfilmungen. Das ist verständlich, denn alle Zutaten für eine spannende Geschichte sind bei großen Kriminalinsolvenzen vorhanden. Es geht in der Regel um sehr viel Geld, um Status und Macht, um Aufstieg und Fall. Finanzströme in internationale Steueroasen spielen häufig eine Rolle, ebenso wie Kontakte in dubiose Kreise – und natürlich detektivische Ermittlungsarbeit.
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Aber auch jenseits der ganz großen Insolvenzfälle spielen Kriminalität und ihre Aufklärung in der täglichen Praxis von Insolvenzverfahren eine Rolle. Nicht selten hängt die Quote zur Befriedigung der Gläubigeransprüche unmittelbar mit solchen Ermittlungserfolgen zusammen. Softwarelösungen und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) gewinnen vor diesem Hintergrund in der praktischen Aufklärungsarbeit und speziell bei der Auswertung von digitalen Unterlagen und Korrespondenzen zunehmend an Bedeutung.
Wirtschaftskriminalfälle führen oft zu Insolvenzen
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Wirtschaftskriminalität mündet häufig in Insolvenzverfahren, insbesondere wenn ein Geschäftsmodell von vornherein auf einem kriminellen Fundament aufgebaut war. Anlegerbetrug durch Schneeballsysteme oder sogenannte Umsatzkarusselle für Steuerbetrug sind bekannte Beispiele. Mit solchen betrügerischen Systemen werden beträchtliche Schäden verursacht, die im Nachhinein nahezu nie ausgeglichen werden können – beispielsweise weil viel Geld für einen aufwändigen Lebensstil verschwendet wurde oder Unternehmensanteile durch die Aufdeckung des kriminellen Geschäftsmodells drastisch im Wert eingebrochen sind.
Ein Insolvenzverfahren ist dann die natürliche Folge. Von der Insolvenz betroffen sind einerseits die jeweiligen Gesellschaften, andererseits haften auch die Täter unmittelbar mit ihrem Vermögen. Eine Besonderheit dabei: Für Verbindlichkeiten, die auf einem Delikt begründet sind, greift die Restschuldbefreiung, mit der Schuldner sich sonst unter bestimmten Voraussetzungen nach einigen Jahren von verbleibenden Schulden befreien können, nicht.
Kriminalinsolvenzen ziehen oft Folgefälle nach
In der Praxis ziehen Kriminalinsolvenzen regelmäßig weitere Verfahren nach – Kriminalität ist also „insolvenzrechtlich ansteckend“. Besondere Bedeutung kommt an dieser Stelle dem 2017 neu gefassten Recht der „strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ zu, das deutsche Strafverfolgungsbehörden erfolgreich im Kampf gegen Bandenkriminalität einsetzen.
Findet die Staatsanwaltschaft bei mutmaßlichen Tätern oder tatbegünstigten Dritten Vermögen, so muss sie den Ausgang des Strafverfahrens nicht erst abwarten, sondern kann die aufgefundenen Vermögensgegenstände bis auf Weiteres sofort sicherstellen. So wurde etwa einigen Clans aus Berlin auf Grundlage des neuen Vermögensabschöpfungsrechts bereits das Vermögen entzogen.
„Kriminalität ist ‚insolvenzrechtlich ansteckend‘.“
Auch für an der Tat unbeteiligte Dritte kann dies gravierende Folgen haben, denn auch sie können für den Wert der erlangten Beute mit ihrem Vermögen haften. Auf diese Weise können kriminelle Handlungen weitere Insolvenzverfahren von Personen und Gesellschaften nach sich ziehen – selbst von solchen, die an den kriminellen Handlungen selbst gar nicht beteiligt waren.
Strafrechtliche Risiken sind gestiegen
Bemerkenswert ist, dass auch die Staatsanwaltschaften seit 2017 Insolvenzanträge stellen können: Reichen die vorläufig gesicherten Vermögenswerte nicht aus, um angemeldete Ansprüche zu befriedigen, stellt die Staatsanwaltschaft einen eigenen Insolvenzantrag. Die Regelung ist konsequent. Umso erstaunlicher ist es, dass die Staatsanwaltschaften von ihrem Insolvenzantragsrecht scheinbar bislang kaum Gebrauch gemacht haben: Die 2020 angestoßenen Insolvenzverfahren um den mutmaßlichen Windkraftbetrüger Hendrik Holt gehören zu den ersten deutschlandweit bekanntgewordenen Fällen.
Letztlich zeigt die Erfahrung aus vielen Insolvenzverfahren: Viele der Verantwortlichen in den Unternehmen sind sich der besonderen strafrechtlichen Risiken einer Unternehmenskrise nicht bewusst. Die Palette reicht dabei von nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen bis hin zu absichtlicher oder unabsichtlicher Insolvenzverschleppung.
„Viele sind sich der strafrechtlichen Risiken einer Unternehmenskrise nicht bewusst.“
Der letztgenannte Aspekt dürfte während der Corona-Pandemie noch einmal an Relevanz gewonnen haben. Denn die Insolvenzantragspflicht war von März 2020 bis April 2021 keineswegs pauschal ausgesetzt, sondern nur unter ganz besonderen Bedingungen. Diese Differenzierung wird nicht in jedem Fall angekommen sein. Es wird daher voraussichtlich bei der Aufarbeitung der Pandemie auch in alltäglicheren Fällen vermehrt zu strafrechtlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit Insolvenzen kommen.