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Kauft die Premier League den Fußball kaputt?

Der Chelsea FC hat über 600 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Foto: charnsitr – stock.adobe.com
Der Chelsea FC hat über 600 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Foto: charnsitr – stock.adobe.com

Wo lässt sich die finanzielle Stärke eines Fußballvereins anschaulicher dokumentieren als auf dem Transfermarkt? Wer viel Kapital hat, aber mit seiner Mannschaft und der Nachwuchsarbeit unzufrieden ist, stellt seinen erwünschten Kader kurzerhand aus Spielern anderer Vereine zusammen. Aus ökonomischer Sicht sind Ablösesummen eine Größe der Unsicherheit, die mehr vom Verhandlungsgeschick der beteiligten Parteien abhängig sind als von der noch ausstehenden Gehaltssumme, die Spieler und Verein im Arbeitsvertrag vereinbart haben.

Neben dem Sachverstand von Sportexperten gehen dabei weitere Faktoren in die Talenteinschätzung ein, etwa die bisherigen Leistungen eines Spielers, das Alter, die Position, auf der er spielt, seine aktuellen Vertragsbedingungen und nicht zuletzt auch seine „Social Mediability“, also seine Vermarktbarkeit in den Sozialen Netzwerken.

Problematisch an der Schätzung des Spielerwertes ist, dass der übernehmende Verein das Talent eines Spielers erst beurteilen kann, nachdem er diesen über einen längeren Zeitraum beschäftigt hat. Mit der Folge, dass letztlich nur wenige Vereine Glück bei ihren Transferentscheidungen haben und „Schnäppchen“ erwerben. In den meisten Fällen kommt es nach einer Verpflichtung nicht zu einer signifikanten bilanziellen Wertsteigerung des Spielers.

Premier League: Transferdefizit von 2 Milliarden Euro

Das alles hält Vereine jedoch nicht davon ab, immer mehr Geld für ihre Spieler auszugeben. Beinahe jährlich werden neue Rekordwerte aufgestellt, so dass die 15 Millionen Euro, mit denen der FC Barcelona 1996 für die Verpflichtung von Ronaldo (der Brasilianer, nicht Cristiano) einen neuen Höchstwert aufgestellt hatte, heute geradezu niedlich wirken. Dies wird durch einen Blick auf das kürzlich geschlossene Transferfenster der laufenden Saison deutlich. Seit 1994/95 haben sich die kumulierten Transferausgaben der Bundesligavereine laut dem Portal „transfermarkt.de“ von 54,3 Millionen auf 553,9 Millionen Euro in der laufenden Saison 2022/23 mehr als verzehnfacht.

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Entscheidend ist aber weniger der absolute Betrag, den Vereine ausgeben, als die Differenz zu den Transfereinnahmen. In Deutschland stand dabei im Jahr des Bosman-Urteils das intuitiv zu erwartende Transferdefizit von 22,3 Millionen Euro zu Buche, während in der laufenden Bundesligasaison ein Transferüberschuss in Höhe von 48,9 Millionen Euro verzeichnet wurde. Bemerkenswerter aber dürfte sein, dass die Bundesliga damit nicht allein dasteht. Auch in der italienischen Serie A und der französischen League 1 wurden in der laufenden Saison mit 42,8 Millionen beziehungsweise 139,7 Millionen Euro erhebliche Transferüberschüsse erzielt.

Doch nicht überall nehmen Vereine mehr ein, als sie ausgeben. Vor allem in England sind derzeit wahnwitzige Transfermanöver zu beobachten. Das Transfer-Defizit der Klubs der Premier League liegt in der laufenden Spielzeit bei etwas mehr als 2 Milliarden Euro. Nochmal: Hier sind Erlöse aus Spielerverkäufen schon mit eingerechnet.

14 englische Klubs geben mehr aus als Bayern

Bewegt man sich von der Liga- auf die Vereinsebene, haben die Dimensionen bei einzelnen englischen Teams mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen. Nicht weniger als 14 Premier-League-Clubs, darunter eher illustre Namen wie die drei Aufsteiger AFC Bournemouth, FC Fulham oder Nottingham Forest, die international nur den Älteren, den Fußballromantikern oder den Statistikern ein Begriff sind, weisen in der laufenden Saison höhere Nettotransferausgaben auf als der Bundesliga-Krösus FC Bayern München.

Teams wie Manchester City, der FC Chelsea oder Newcastle haben mächtige Investoren im Hintergrund, denen hohe Transferpreise offenbar nichts ausmachen. Allein Chelsea hat seit Sommer 611 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Zum Vergleich: Borussia Dortmund, Deutschlands Nummer zwei, hat 2022 einen Umsatz von 352 Millionen Euro erwirtschaftet.

UEFA sieht faires System

Was bedeutet eine derartige Ungleichheit für die kontinentaleuropäischen Fußballvereine und die Bundesliga? Ist eine Wettbewerbsfähigkeit der nicht-englischen Clubs in diesem Umfeld überhaupt noch gegeben?

Die Experten sind sich uneins. Während der frühere Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge, in einem Interview der italienischen Zeitung „Corriere dello Sport“ erklärte, dass in England „astronomische Summen auf eine wenig intelligente, irrationale Weise ausgegeben werden“, sieht UEFA-Präsident Alexander Ceferin den europäischen Fußball „dank finanziellem Fair Play als gesünder denn je“.

Das muss der amtierende UEFA-Präsident aber auch behaupten, denn die UEFA strebt schließlich einen „fairen und ausgewogenen Wettbewerb“ an, in dem alle Teilnehmer die gleichen Gewinnchancen haben und diskriminierungsfrei behandelt werden. Dazu und um gleichzeitig die „finanzielle Gesundheit des europäischen Vereinsfußballs“ zu stärken, wurden von der UEFA die Regeln des Financial Fair Play („FFP“) erlassen, wonach die Vereine nicht mehr ausgeben dürfen, als sie über einen Zeitraum von drei Jahren („Break-even-Regel“) eingenommen haben.

Weil aber während der Covid-19-Pandemie die Einnahmen der Fußballvereine eingebrochen waren, wurde die Break-even-Regel im April 2022 von zwei neuen Ausgabenregelungen abgelöst: dem „UEFA Club Licensing“ und den „Financial Sustainability Regulations“ („FSR“).

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Fußball-Finanzen

Die Finanzen von Fußballvereinen sind ein eigenes kompliziertes Spielfeld, das kaum jemand versteht. FINANCE analysiert regelmäßig die Finanzkapriolen und -manöver diverser Klubs.

Während die UEFA damit ein „Financial Fair Play“ der europäischen Vereine gewährleistet sieht, gibt es von verschiedener Seite die Kritik, dass die FFP-Regelung nach wie vor finanziell starke Vereine begünstige und es für Newcomer nahezu unmöglich sei, sich nachhaltig in der europäischen Elite festzusetzen. Denn: Wer mehr hat, kann auch mehr ausgeben.

Die Kritik wird auch nach der Neufassung der FSR kaum verstummen, zumal die einzige nennenswerte Änderung – die Verdoppelung der „akzeptablen Aufweichung“ von der Break-even-Regel auf 60 Millionen Euro – den Vereinen zwar mehr Spielraum gibt, kurzfristig flexibler auf dem Transfermarkt tätig zu sein, jedoch keinen Systemwechsel einläutet.

FIFA muss eigene Grundsätze beachten

Dass das gegenwärtige Transfersystem allenfalls zu einer vernachlässigbaren Verringerung der Einnahmenungleichheit innerhalb der europäischen Ligen führt, belegen auch die üblicherweise verwendeten Maße zur Einkommensungleichheit wie der Gini-Koeffizient oder die Lorenz-Kurve. Sich einen Wettbewerbsvorteil auf dem Talentmarkt zu verschaffen, ist für den einzelnen Verein nachvollziehbar, aus gesellschaftlicher Sicht jedoch ineffizient.

Die nordamerikanischen Major Leagues haben dieses „Wettrüsten“ durch die Bewahrung der Vereine vor dem Abstieg und die Einführung von Gehaltsobergrenzen („Salary Caps“) abgemildert. Außerdem bekommen die schwächsten Teams durch eine Talentziehung („Draft“) die besten jungen Spieler, die vertraglich dann erst einmal gebunden sind.

Das ist aber keine Lösung für den europäischen Fußball. Weil die Ligen autark organisiert sind und einer solchen Obergrenze zustimmen müssten, aber auch, weil der Abstieg nun mal zu dem Fußball gehört, den wir alle lieben. Will die FIFA aber weiterhin das Ziel verfolgen, die selbstformulierten Grundsätze der „Fairness und Offenheit des Wettbewerbs im sportlichen Sinne“ zu fördern, muss sie neue Wege gehen. Das aktuelle Transfersystem scheint dafür ungeeignet zu sein. Da muss man nur nach England schauen.

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