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10 Jahre ESUG: Praktiker ziehen Bilanz

Happy Birthday ESUG: Das Gesetz ist heute vor zehn Jahren in Kraft getreten und hat Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren deutlich vorangebracht.
Happy Birthday ESUG: Das Gesetz ist heute vor zehn Jahren in Kraft getreten und hat Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren deutlich vorangebracht. Foto: BillionPhotos.com - stock.adobe.com

Als das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ – kurz ESUG – am 1. März 2012 in Kraft trat, markierte es für kriselnde Unternehmen einen Paradigmenwechsel. Mit dem Gesetz wurden die Möglichkeiten für selbstbestimmte Sanierungen deutlich erweitert, die Insolvenz in Eigenverwaltung und das damals neu eingeführte Schutzschirmverfahren sind heute fester Bestandteil im Werkzeugkasten der Sanierer. „Schuldnerunternehmen, aber auch die Gläubiger lassen sich bereitwilliger und durchaus auch früher auf eine Sanierung ein, was auch die Intention des ESUG war“, beobachtet Michael Böhner, Rechtsanwalt im Bereich Restrukturierung bei Schultze & Braun. Für Tillmann Peeters von der Restrukturierungsberatung Falkensteg war das ESUG ein Schritt zur „Demokratisierung des Insolvenzrechts“: „Nicht der Staat in Form des Insolvenzverwalters übernimmt die Sanierung, sondern der Unternehmer selbst führt, meist mit Hilfe eines Insolvenzexperten, das Unternehmen wieder in die Wettbewerbsfähigkeit.“

„Das ESUG hat für eine positive Veränderung der Sanierungskultur in Deutschland gesorgt.“

Florian Harig, Anchor

Das ESUG hat auch die Herangehensweise an Neuausrichtungen verändert, findet Oliver Kehren, Vorsitzender des Vorstands der Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland: Er sieht bei Insolvenzverwaltern „eine stärkere Ausrichtung auf die nun notwendige Vorfeldberatung – und auf den entsprechenden Dienstleistungscharakter dieser Beratung“. Zudem suchten Insolvenzgerichte stärker den Dialog mit Beratern und Gläubigern. Verfahren würden dadurch auch für Finanzierer und Kunden der betroffenen Unternehmen transparenter und planbarer.

Florian Harig, Fachanwalt für Insolvenzrecht bei Anchor, hat ebenfalls den Eindruck, dass Insolvenzverfahren sich stärker am Gläubigerinteresse ausrichten als noch vor zehn Jahren. Dies ist seiner Meinung nach auch der Eigenverwaltung als „Konkurrenz“ zur Fremdverwaltung zu verdanken. „Das ESUG hat für eine positive Veränderung der Sanierungskultur in Deutschland gesorgt“, findet er. Sanierungen würden zudem häufiger durch einen Insolvenzplan beendet – während vor dem ESUG „der Asset Deal stets das Mittel der Wahl schien“.

Macht ESUG den Bock zum Gärtner?

Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen sich die Hoffnungen nicht erfüllt haben: So hatte das ESUG auch die Möglichkeiten für einen Debt-Equity-Swap im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens vereinfacht. Dabei werden einvernehmlich Forderungen in Unternehmensanteile getauscht – doch in der Praxis wird diese Option selten genutzt. „Der Debt-Equity-Swap hat sich bislang als wenig relevant erwiesen“, konstatiert Christian Lützenrath, geschäftsführender Partner der TMC Turnaround Management Consult. Er sieht dafür zwei Gründe: Zum einen sei das Sanierungsinstrument relativ kompliziert. Zum anderen sei das Halten an Unternehmensanteilen für Banken „sicherlich auch künftig nicht Teil eines tragfähigen Geschäftsmodells“.

Verteilung der Verfahrensarten auf die 100 größten Insolvenzen pro Jahr
20172018201920202021
Schutzschirmverfahren9252414
Eigenverwaltungsverfahren3833422928
Regelinsolvenzverfahren5365534758
Quelle: Falkensteg

Und auch ein Imageproblem ist nach zehn Jahren noch immer geblieben: Die Sanierung in Eigenregie wirft mitunter die Frage auf, ob da der Bock zum Gärtner gemacht werde, beobachtet Michael Böhner von Schultze & Braun. Bei Eigenverwaltungsverfahren bleibt die Geschäftsführung im Sattel, während ein Restrukturierungsberater die Neuausrichtung begleitet und ein Sachwalter über das Verfahren wacht. „,Wie soll die Geschäftsführung, die den Karren in den Dreck gefahren hat, ihn wieder flott bekommen?‘ Hier müssen Geschäftsführung und Berater immer noch viel Überzeugungsarbeit leisten – auf Seiten der Gläubiger, aber mitunter auch bei Gerichten“, berichtet Böhner.

Ein Update der Eigenverwaltung Anfang 2021 hat die Zugangsvoraussetzungen noch einmal verschärft. „Die Eingangshürden dürfen allerdings nicht zu hoch sein, damit das Sanierungstool weiterhin praxistauglich bleibt“, mahnt Falkensteg-Berater Peeters. „Es muss möglich sein, das Verfahren je nach Datenlage innerhalb von ein bis drei Wochen aufzusetzen.“

„Die hohen Erwartungen an das Schutzschirmverfahren haben sich nicht erfüllt.“

Gerd Sievers, Leiter des TMA Facharbeitskreises Restrukturierungsberatung

Und wie lautet das Fazit zum damals neu begründeten Schutzschirmverfahren? „Die hohen Erwartungen an das Schutzschirmverfahren als ,light touch insolvency‘ haben sich nicht erfüllt“, meint Gerd Sievers, Mitglied im Vorstand der TMA Deutschland und Leiter des TMA Facharbeitskreises Restrukturierungsberatung. „Letztendlich handelt es sich um ein Insolvenzverfahren.“ Dass die Anforderungen an eine Eigenverwaltung im vergangenen Jahr noch einmal verschärft wurden, begrüßt er allerdings. Denn in der Vergangenheit kam immer wieder der Kritikpunkt auf, es würden Unternehmen in Eigenverwaltungsverfahren landen, die dort nicht hingehören. Durch die Verschärfung „sollte die Zeit der Gefälligkeitsbescheinigungen beziehungsweise ,einklappenden‘ Schutzschirme beendet sein.“

Regelinsolvenz, ESUG oder StaRUG?

In der Zukunft dürften Eigenverwaltung und Schutzschirm trotz aller Schwächen weiterhin eine wichtige Rolle spielen – zumal sie gegenüber der präventiven Sanierung nach dem Starug, die seit einem Jahr in Deutschland nutzbar ist, manche Vorteile bringen: „Das ESUG schafft im Eröffnungsverfahren durch Unterstützungen wie das Insolvenzgeld, das Sonderkündigungsrecht von Altverbindlichkeiten und steuerliche Vorteile vor allem eines: Liquidität“, erklärt Christian Lützenrath von TMC Turnaround Management Consult.

Die zehn größten Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren nach Umsatz
UnternehmenAntragsjahrVerfahren bei AntragUmsatz in Mio. Euro 
Air Berlin2017Eigenverwaltung4.081
Galeria Karstadt Kaufhof2020Schutzschirm 2.187
Senvion 2019Eigenverwaltung1.243
Pfleiderer Unternehmensgruppe2012Eigenverwaltung 1.100
Gerry Weber2019Eigenverwaltung 880
Esprit2020Schutzschirm 712
Centrotherm Photovoltaics2012Schutzschirm 699
Saurer Spinning Solutions2021Schutzschirm 594
Rickmers Holding2017Eigenverwaltung 587
Alpine Bau Deutschland2013Eigenverwaltung 570
Quelle: Falkensteg

Lützenrath wünscht sich, dass Unternehmensverantwortliche das ESUG noch häufiger als Chance sehen. Oft suchten sie den Dialog mit Beratern und Anwälten zu spät, um noch genügend Handlungsspielraum für die Restrukturierung zu haben – und es bliebe nur der Gang in die Regelinsolvenz. Anchor-Partner Florian Harig sieht für die ESUG-Verfahren viel Potential: „Gerade die aktuellen und künftigen Herausforderungen von Filialisten und die mit der Digitalisierung und Transformation im Verkehrsbereich einhergehenden Herausforderungen können regelmäßig am besten mit den Mitteln der Eigenverwaltung angegangen werden.“

Bei der TMA sähe man dagegen ein erweitertes Verfahren bereits vor der Insolvenz gern: „Für Finanzierer werden Insolvenzverfahren auch weiterhin nur das letzte Mittel zur Sanierung des Unternehmens sein. Hier ist das StaRUG – ergänzt um leistungswirtschaftliche Anpassungsrechte – der geeignete Umsetzungsweg“, sagt TMA-Vorstandsmitglied Frank Grell, der den TMA Facharbeitskreis Restrukturierungsrecht leitet. Er würde sich wünschen, dass die Restrukturierungsmaßnahmen im StaRUG um Optionen wie Vertrags- und Personalanpassungen erweitert werden, um ein tiefgreifenderes vorinsolvenzliches Verfahren zu schaffen.

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ESUG und Steuerrecht: Wunsch nach Harmonie

Und wenn die Praktiker sich für die kommenden zehn Jahre ESUG etwas wünschen dürften? Da fällt ein Punkt regelmäßig: „Insgesamt wäre eine abschließende Abstimmung der Eigenverwaltung mit dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht wünschenswert“, sagt Harig.

Sein Kollege Michael Böhner von Schultze & Braun pflichtet ihm bei: „Es gibt im Zusammenhang mit Steuerforderungen der Finanzämter immer noch viel Erläuterungsbedarf – gerade, da in einer Sanierung die Frage ,Muss ich die Steuerschuld bezahlen?‘ mitunter die Frage ist, die maßgeblich über den Erfolg der Sanierung entscheidet“, berichtet er. In solchen Fällen ließe sich durch eine weitere Harmonisierung von Insolvenzrecht und Steuerrecht viel erreichen.