Ludwig Stern https://www.finance-magazin.de/ueber-uns/gastautor/stern-ludwig/ für kluge Finanzentscheidungen Thu, 06 Nov 2025 07:57:17 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.8.3 Eintrittskarte in den Schutzschirm: Was die Schutzschirmbescheinigung wirklich leisten muss https://www.finance-magazin.de/expertenbeitraege/eintrittskarte-in-den-schutzschirm-was-die-schutzschirmbescheinigung-wirklich-leisten-muss-229905/ Thu, 06 Nov 2025 07:00:00 +0000 https://www.finance-magazin.de/?p=229905 Für das Schutzschirmverfahren gelten deutlich höhere Zugangsbeschränkungen im Vergleich zur „normalen“ Eigenverwaltung. Foto: juliasudnitskaya - adobe.stock.com

Drohende Zahlungsunfähigkeit? Das Schutzschirmverfahren bietet Unternehmen die Chance zur Eigenverwaltung. Was gilt es für die Beantragung der Schutzschirmbescheinigung zwingend zu berücksichtigen?

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Für das Schutzschirmverfahren gelten deutlich höhere Zugangsbeschränkungen im Vergleich zur „normalen“ Eigenverwaltung. Foto: juliasudnitskaya - adobe.stock.com

Drohende Zahlungsunfähigkeit? Das Schutzschirmverfahren bietet Unternehmen die Chance zur Eigenverwaltung. Was gilt es für die Beantragung der Schutzschirmbescheinigung zwingend zu berücksichtigen?

Die aktuelle wirtschaftliche Lage stellt viele Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Mittelständische Unternehmen und auch größere Betriebe müssen frühzeitig handeln und Sanierungsoptionen prüfen. Das Schutzschirmverfahren bietet hierbei die Möglichkeit, die Restrukturierung in Eigenverwaltung durchzuführen.

Es gelten jedoch deutlich höhere Zugangsbeschränkungen im Vergleich zur „normalen“ Eigenverwaltung. Eine zentrale Eintrittsvoraussetzung für dieses Verfahren ist die sogenannte Schutzschirmbescheinigung. Es handelt sich dabei um ein Gutachten, das die Weichen für die Annahme des Antrags stellt.

Höhere Hürden als bei der Eigenverwaltung

Diese Bescheinigung darf ausschließlich von einem erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder einer vergleichbar qualifizierten Person mit Erfahrung in Insolvenzverfahren erstellt werden. Darin muss der Gutachter zweifelsfrei bestätigen, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens vorliegt, aber noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist.

Ohne eine Bescheinigung ist kein Schutzschirmverfahren möglich. Sie erfüllt dabei eine Doppelfunktion. Juristisch dient sie dem Gericht als Nachweis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens vorliegen. Wirtschaftlich zeigt sie Gläubigern und Stakeholdern, dass eine realistische Sanierungschance besteht.

Die drei wesentlichen Punkte für die Schutzschirmbescheinigung

  • Keine Zahlungsunfähigkeit: Zum Zeitpunkt der Antragstellung darf das Unternehmen nicht bereits zahlungsunfähig sein. Zulässig ist hingegen die drohende Zahlungsunfähigkeit oder eine Überschuldung.
  • Sanierungsfähigkeit: Es muss eine ernsthafte Aussicht bestehen, dass die angestrebte Sanierung innerhalb des Schutzschirmverfahrens gelingt. Hierbei spielt die Unternehmensplanung eine zentrale Rolle.
  • Plausibilität der Maßnahmen: Die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen müssen nachvollziehbar und realistisch sein.

Kein Standardformular, sondern individuelles Gutachten

Die Bescheinigung ist kein Standardformular, sondern ein Gutachten in komprimierter Form. Es wird individuell für jedes Unternehmen nach einer umfassenden Analyse erstellt und sollte u. a. folgende Punkte enthalten:

  • Darstellung der aktuellen wirtschaftlichen Lage,
  • Prüfung der Insolvenzgründe,
  • Liquiditätsplanung,
  • Erläuterung der Krise (z. B. Marktveränderungen, Strukturprobleme),
  • Begründung, warum eine Sanierung unter dem Schutzschirm realistisch ist.

Mit der Bescheinigung zeigt das Krisenunternehmen dem Gericht, dass eine nachhaltige Sanierung geplant und aussichtsreich umgesetzt werden kann.

Timing ist entscheidend

Bei der Antragstellung ist Folgendes zu berücksichtigen: Die Gerichte achten darauf, dass am Tag der Antragstellung keine Zahlungsunfähigkeit besteht. Das bedeutet: Die Bescheinigung muss auf den Tag der Antragstellung datiert sein und die Finanzlage genau dieses Tages widerspiegeln. In der Finanzplanung ist sicherzustellen, dass unmittelbar nach der Antragstellung (in den darauffolgenden Tagen) keine Zahlungsunfähigkeit eintritt. Andernfalls kann das Gericht bei der ein- bis dreitägigen Prüfung zum Schluss kommen, dass zwar am Tag der Antragstellung keine, inzwischen jedoch eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Info

Aus der Praxis

Ein mittelständischer Dienstleister kann zwar aktuell noch seine Verbindlichkeiten bedienen, die Liquiditätsplanung zeigt aber eine Unterdeckung in den kommenden 24 Monaten. Die Verantwortlichen ziehen daher eine Sanierung im Schutzschirmverfahren in Erwägung. Durch die Zusammenarbeit mit Sanierungsexperten wird ein Restrukturierungsplan erstellt. Er sieht vor, durch den Verkauf einer defizitären Tochtergesellschaft und die Konzentration auf margenstarke Geschäftsfelder Profitabilität zurückzugewinnen und durch neue Lieferantenverträge die Kosten nachhaltig zu senken.

In der Bescheinigung für das Verfahren werden die Voraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO geprüft sowie die notwendigen Kennzahlen berechnet und aufgeführt. Außerdem wird erklärt, dass nach einem 6-Monats-Finanzplan die Fortführung des Geschäftsbetriebes und die Deckung der Verfahrenskosten sichergestellt sind. Zudem werden die Sanierungsmaßnahmen erläutert und ein Ausblick auf die Zeit nach dem Verfahren gegeben. Die durch den Experten erstellte Bescheinigung wird dem Antrag beigefügt.

Schutzschirm: Eintrittskarte für den Start in die Zukunft

Die Schutzschirmbescheinigung ist mehr als eine reine Formalie. Sie bildet die Eintrittskarte in das Schutzschirmverfahren. Für Unternehmen bedeutet das, frühzeitig mit erfahrenen Sanierungsexperten zusammenzuarbeiten, um eine belastbare Planung als Basis für dieses Gutachten vorzulegen. Nur so lässt sich die Chance nutzen, das Schutzschirmverfahren erfolgreich für eine nachhaltige Sanierung einzusetzen.

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Distressed-M&A: Anfechtungsrisiken für Gesellschafter und Erwerber https://www.finance-magazin.de/expertenbeitraege/distressed-ma-anfechtungsrisiken-fuer-gesellschafter-und-erwerber-172163/ Thu, 25 Jan 2024 07:00:00 +0000 https://www.finance-magazin.de/?p=172163 "Im Auge des Sturms" bei einem Distressed M&A Deal bedarf eine Due Diligence Individualität und zeitliche Flexibilität. Foto: alphaspirit – stock.adobe.com

Bei Distressed-M&A-Deals ist Zeit entscheidend. Der Verkauf muss schnell abgeschlossen werden, doch das Anfechtungsrisiko bleibt bestehen. Die "Distressed-Due-Dilligence" kann die Lösung sein.

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"Im Auge des Sturms" bei einem Distressed M&A Deal bedarf eine Due Diligence Individualität und zeitliche Flexibilität. Foto: alphaspirit – stock.adobe.com

Bei Distressed-M&A-Deals ist Zeit entscheidend. Der Verkauf muss schnell abgeschlossen werden, doch das Anfechtungsrisiko bleibt bestehen. Die "Distressed-Due-Dilligence" kann die Lösung sein.

Bei Distressed-M&A-Deals lauern Risiken, die oft unterschätzt werden – insbesondere dann, wenn nach der Transaktion die Insolvenz eines Unternehmens eintritt. Die Erfahrung zeigt, dass insolvenzrechtliche Anfechtungsrisiken bei der Due Diligence viel mehr im Fokus stehen sollten.

Denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail: Bei Distressed-M&A-Transaktionen bestehen nicht selten erhebliche Unwägbarkeiten bei der Bestimmung des zu erwerbenden Aktivvermögens oder bestimmter Dauerschuldverhältnisse. Eine meist unklare Finanzierungshistorie und -struktur des Zielunternehmens bergen erhebliche Folgerisiken für den Erwerber. Käufer als auch Verkäufer können den Risiken unter Berücksichtigung folgender Punkte gewappnet entgegenstehen.

Gesellschafterfinanzierung kann Risiken bergen

Werden im Falle einer Insolvenz des Zielunternehmens Gesellschafterdarlehen abgelöst oder übertragen, sind sowohl der bisherige Gesellschafter als auch der Erwerber für die Dauer von 12 Monaten dem Risiko eines Nachrangs und einer gesamtschuldnerischen Insolvenzanfechtung ausgesetzt.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können demnach sowohl gegenüber dem Erwerber als auch gegenüber dem bisherigen Gesellschafter Anfechtungsansprüche vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Selbst wenn ein Bankdarlehen durch den Gesellschafter besichert wurde, kann der Insolvenzanfechtungstatbestand erfüllt sein – sofern im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag oder danach Rückzahlungen darauf erfolgt sind.

Anfechtungsrisiko hat sich deutlich erhöht

Insolvenzrechtlich werden dem Anspruch auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens Forderungen gleichgestellt, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen und letztlich eine Finanzierungsfunktion haben. In der Praxis drehen sich Auseinandersetzungen des Gesellschafters mit dem Insolvenzverwalter oftmals um die Frage, ob für eine Forderung des Gesellschafters eine mit einer Darlehensgewährung gleichzusetzende Wirkung besteht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich dazu bereits positioniert: Laut BGH kann jede Form der Kreditierung durch einen Gesellschafter unter eine vergleichbare Darlehensgewährung fallen. Damit können Forderungen des Gesellschafters aus Lieferung und Leistung betroffen sein, da eine Stundung oder Nichtgeltendmachung – das sogenannte Stehenlassen – einer fälligen Forderung wegen der Kreditierungswirkung mit einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar ist.

Ausnahmen gelten für Darlehen, die durch den Gesellschafter im Rahmen eines Sanierungskonzepts vergeben wurden. Zudem sind nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsungsgesetz (COVInsAG) bis zum 30. September 2023 erfolgte Rückzahlungen auf ein im Aussetzungszeitraum neu gewährtes Gesellschafterdarlehen grundsätzlich als nicht gläubigerbenachteiligend von einer Anfechtung ausgenommen.

Transaktionsstruktur kann Anfechtung entgegenwirken

Verkäufer und Erwerber sollten sich bei einer Transaktion in einer Krisensituation über das Insolvenzrisiko und damit einer potentiellen Anfechtung bewusst sein. Demnach muss die Struktur der Transaktion entsprechend angepasst werden. Auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens bietet sich an, die Transaktion als Asset- statt Share-Deal zu strukturieren. Damit kann der Erwerber das Risiko einer Gesellschafteranfechtung möglichst vermeiden.

Vollständig ausgeschlossen ist das Risiko jedoch nicht. Dritte können in den Anwendungsbereich fallen. Diese treffen dann die gleichen Risiken eines Nachrangs und einer Anfechtung. Als gesellschaftergleich kommen insbesondere Dritte in Betracht, die mit dem Unternehmen gesellschaftsrechtlich verbunden sind oder waren oder anderweitig Einfluss nehmen können. So wurde durch den BGH etwa eine finanzierende Bank einem Gesellschafter mit allen Folgen gleichgestellt.

Darüber hinaus können Gesellschaftersicherheiten in einer Distressed-M&A-Transaktion relevant sein, wenn im Rahmen der Transaktion die besicherten Kredite abgelöst werden sollen.

Anfechtungsrisiken schwer vorhersehbar

Bei einem Distressed-M&A-Deal können also Ausschüttungen oder Rückzahlungen für den Erwerber über 12 Monate risikobehaftet sein. Werden die Forderungen allerdings stehengelassen, kann dies selbst ein Anfechtungsrisiko bedeuten. Gerade wenn Unternehmensteile auf eine rechtlich selbstständige Einheit übertragen oder ein Tochterunternehmen aus einer Unternehmensgruppe herausgelöst wird, sind Leistungsbeziehungen, die zu einer Anfechtung führen können, nahezu allgegenwärtig.

Denn häufig sind die zum Verkauf stehenden Betriebsteile oder Unternehmen nicht nur operativ, sondern auch finanziell mit weiteren Unternehmen verbunden, sei es über einen Cash Pool oder in Form einer gemeinsamen Banklinie oder über Ergebnisabführungsverträge.

Im Falle einer Insolvenz des Zielunternehmens wertet der Insolvenzverwalter sämtliche Rechtsverhältnisse und insbesondere die Leistungsbeziehungen mit Gesellschaftern oder verbundenen Unternehmen auf insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche hin aus. Der Erwerber kann das Risiko nur durch eine umfassende Prüfung der Finanzierungshistorie und Finanzierungsstruktur des Zielunternehmens und einer anschließenden rechtlichen Bewertung eingrenzen.

Die Erfahrung zeigt, zahlreiche Risiken verbergen sich hinter vermeintlich risikoarmen Leistungen zwischen Gesellschafter, finanzierendem Dritten und dem Zielunternehmen, die gerade deswegen eine Prüfung der Finanzierungsstruktur erforderlich machen.

Distressed-Due-Diligencebei Distressed-M&A

Während Prüfungen bei einer „Schönwetter“-Due Diligence schematisch umfassend sein dürfen, muss die Prüfung „im Auge des Sturms“ individuell und laufend dem Zeitrahmen angepasst durchgeführt werden. Dabei gilt es, die Balance zwischen dem Informationsinteresse des Erwerbers und der tatsächlichen Informationslage vor dem Hintergrund des kurzen Zeitraums zu finden.

Gerade wegen des engen zeitlichen Rahmens beim Unternehmenskauf bzw. -verkauf mit einem reellen Insolvenzszenario, müssen potentielle Anfechtungsrisiken bereits im Prüfungsumfang einer der Situation angepassten Distressed-Due-Diligence berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass anfechtbare Sachverhalte sicher identifiziert und richtig bewertet werden.

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Das bringt die Produktionsverlagerung ins Ausland https://www.finance-magazin.de/expertenbeitraege/das-bringt-die-produktionsverlagerung-ins-ausland-163293/ Fri, 08 Sep 2023 10:17:14 +0000 https://www.finance-magazin.de/?p=163293 Wer sich für die Produktionsverlagerung ins Ausland entscheidet, kann Risiken durch mehrere Werke minimieren. Foto: Brian Jackson - stock.adobe.com

Hohe Preise für Energie, steigende Inflation und Zinsen belasten die Wirtschaft. CFOs fragen sich, ob der Produktionsstandort ins Ausland verlegt werden soll. Dabei sind die Kosten nicht der einzige Pluspunkt.

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Wer sich für die Produktionsverlagerung ins Ausland entscheidet, kann Risiken durch mehrere Werke minimieren. Foto: Brian Jackson - stock.adobe.com

Hohe Preise für Energie, steigende Inflation und Zinsen belasten die Wirtschaft. CFOs fragen sich, ob der Produktionsstandort ins Ausland verlegt werden soll. Dabei sind die Kosten nicht der einzige Pluspunkt.

Eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie zeigt aktuell, dass 16 Prozent der befragten Unternehmen bereits aktiv dabei sind, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Das ist jeder sechste Industriebetrieb. Weitere 30 Prozent der Unternehmen denken konkret darüber nach, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage.

Auch Sanierungsexperten bestätigen diesen Eindruck. Vermehrt suchen sich Verantwortliche von Betrieben aus dem produzierenden Gewerbe, wie Chemie- und Metallunternehmen, Gießereien oder Hersteller von energieintensiven Produkten derzeit Unterstützung, um die Produktion an ausländische Standorte zu verlagern.

Die Motivation hierfür erklärt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar unter 150 deutschen Unternehmen: Betriebe des produzierenden Gewerbes geben dem Industriestandort Deutschland eine Durchschnittsnote von „drei minus“. Am schlechtesten schneiden die Bereiche Energiepreise und -verfügbarkeit, Regulatorik und Bürokratie sowie die Verfügbarkeit von Fachkräften ab. Dies sind Themen, die die tägliche Arbeit der Betriebe stark belasten und für CFOs die mögliche Verlagerung der Produktion auf die Agenda bringt.

Südosteuropa ist attraktiver Produktionsstandort

Doch für welchen Standort soll sich ein Betrieb entscheiden? Viele Produktionsunternehmen fokussieren sich derzeit unter anderem auf verschiedene Länder in Südosteuropa sowie zum Teil auch auf Maghreb-Staaten und überlegen beispielsweise Verlagerungen nach Bosnien vorzunehmen. Dieses Land bietet gleich mehrere Vorteile: Bosnien liegt nahe an der EU-Außengrenze und ist Beitrittskandidat. Die Kosten für Energie sind hier deutlich geringer. Davon profitieren vor allem – aber nicht nur – energieintensive Produktionen. Ein weiterer Pluspunkt liegt bei den vorhandenen Fachkräften, die bei deutlich geringeren Lohnkosten beschäftigt werden können.

Bosnien, aber auch weitere Standorte in Süd- oder Osteuropa wie etwa Serbien, sind von Deutschland aus schnell per LKW erreichbar. Dies stellt sich vor allem in Zeiten der Lieferkettenprobleme und mangelnder Containerverfügbarkeit als großen Vorteil heraus. China wird als Standort derzeit zwar auch als Option, aber in wenigeren Fällen als Osteuropa, in Betracht gezogen. Die Coronakrise hat gezeigt, wie schnell Unternehmen in Krisensituationen geraten, weil der chinesische Markt unter logistischen Schwierigkeiten leidet.

Wenn es um die Finanzierung geht, spielen bei der Verlagerung auch ESG-Themen eine wichtige Rolle. Die Vergabe von Krediten wird zum Beispiel oft an die Einhaltung dieser Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen gekoppelt, was die Länderauswahl beeinflusst. Zu beachten ist ebenfalls der neue Mechanismus zum CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), der in einer Übergangsphase ab dem 1. Oktober 2023 wirksam wird. Auch das Thema der Währung darf nicht außer Acht gelassen werden. Hier drohen je nach Zielland durch Wechselkurseffekte erhöhte Währungsrisiken und damit mögliche Gewinneinbußen.

Fragenkatalog bei Wechsel des Produktionsstandortes

Neben der genauen Analyse der finanziellen Aspekte muss die Lage und Erreichbarkeit des Standorts zum jeweiligen Unternehmen passen. Dazu kommt unausweichlich die jeweilige geopolitische Lage. Es zeigt sich, dass die Wahl des Standortes von zahlreichen Faktoren abhängt, die je nach Fall unterschiedlich stark gewichten.

Neben rechtlichen und wirtschaftlichen Themen müssen auch interne Faktoren geprüft werden. Dazu zählt beispielsweise die Frage, wie schnell eine Verlagerung überhaupt umgesetzt werden kann. Besteht die Produktion aus komplexen, einzelgefertigten Bauteilen? Mit wieviel Vorlaufzeiten muss gerechnet werden? Verlagerungen sind oftmals nicht leicht umsetzbar, da sie sehr kapitalintensiv sind. Eine Alternative bei anstehenden Neuinvestitionen könnte dann sein, ein ausländisches Ziel hierfür auszuwählen.

Risiken durch mehrere Werke minimieren

Wird sich für eine Verlagerung entschieden, ist eine „Mehr-Werk-Strategie“ empfehlenswert, um Risiken abzufedern. Im Detail bedeutet das, dass Werke an mehreren Standorten in Deutschland bzw. Europa bestehen bleiben. Dazu kommen je nach Fall zusätzlich neue Standorte in anderen Ländern oder Kontinenten, die strategisch für das Unternehmen sinnvoll sind. Der Best-Cost-Ansatz liefert hier die Entscheidungsvorlage, damit die Qualität der Erzeugnisse gewohnt hoch bleibt. Eine Produktion in nur einem Land ist sehr riskant und nur in seltenen Fällen eine gute Wahl.

Dennoch gilt immer: der Einzelfall entscheidet. Jedes Unternehmen verfügt über besondere Faktoren, die eine Entscheidung stark beeinflussen. Nicht für jeden Betrieb ist eine Produktionsverlagerung ratsam, sie kann die Gesamtstabilität gefährden. Bei diesem Thema sollten sich die Verantwortlichen daher bewusst sein, dass eine ausführliche und individuelle Analyse vorab unabdingbar ist – und bei der anschließenden Verlagerung ist Umsetzungskompetenz gefragt.

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Energieintensive Unternehmen unter Druck https://www.finance-magazin.de/expertenbeitraege/energieintensive-unternehmen-unter-druck-141924/ Thu, 19 Jan 2023 15:55:09 +0000 https://www.finance-magazin.de/?p=141924

Die Auftragslage ist gut, die Produktionsanlagen laufen wieder und dennoch herrscht in einigen Betrieben Krisenstimmung. Das betrifft vor allem energieintensive Unternehmen. Sie müssen passgenaue Lösungsansätze erarbeiten.

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Die Auftragslage ist gut, die Produktionsanlagen laufen wieder und dennoch herrscht in einigen Betrieben Krisenstimmung. Das betrifft vor allem energieintensive Unternehmen. Sie müssen passgenaue Lösungsansätze erarbeiten.

Zahlreiche Unternehmen teilen derzeit – neben den anhaltenden Lieferkettenproblemen –eine Besonderheit: die überdurchschnittlich hohen Energiekosten. Dabei arbeiten viele dieser „energieintensiven Unternehmen“ seit Jahrzehnten sehr erfolgreich, gelten teilweise als „Hidden Champions“, gehören also zu den Marktführern in ihrem Nischenmarkt, und produzieren hochwertige Produkte in Deutschland.

Solche Betriebe sind unter anderem Chemie- und Metallunternehmen, Gießereien oder Hersteller von Glas, Keramik, Papier und Pappe. Und sie stehen derzeit, wie es sich in der Sanierungspraxis zeigt, stark unter Druck. In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages nannten drei Viertel der Unternehmen den Anstieg der Strom- und Gaspreise als Belastung für ihr laufendes Geschäft. Knapp die Hälfte der rund 600 befragten Betriebe aus allen Branchen befürchtet sogar den Verlust der eigenen Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland.

Energieintensive Unternehmen müssen neu verhandeln

Für energieintensive Unternehmen ist die Lage besonders angespannt. Die hohen Preise für Energie, allen voran des Strompreises, verschlechtern die Standortbedingungen. Im Jahr 2022 hat sich der Preis verdoppelt oder sogar verdreifacht, auch wenn zuletzt die Preise wieder etwas gesunken sind. Die beschlossenen Strom-, Gas- und Wärmepreisbremsen der Bundesregierung helfen den KMUs. Jedoch zeigt der Deckel nicht bei allen Unternehmen die erwünschte Wirkung, da es viele Ausnahmen und Bedingungen gibt.

Einfacher haben es Unternehmen, die noch vor der drastischen Preiserhöhung einen festen Vertrag mit ihrem Energielieferanten abgeschlossen haben. Dies dürfte jedoch mittlerweile nur noch eine Minderheit sein. Für die Energielieferanten sind diese Unternehmen mit hohem Strombedarf derzeit kaum berechenbar und bisherige Preisvereinbarungen lohnen sich mit Blick auf die Preisentwicklung nicht mehr. Die Folge: Verträge werden nur noch kurzfristig – natürlich dann zu deutlich höheren Preisen – mit den energieintensiven Betrieben abgeschlossen oder zum Beispiel Stromeinheiten direkt über den sogenannten Spotmarkt bezogen. Dann ändert sich der Preis für die Einheit mehrmals täglich für das Unternehmen. Somit wird die Kostenkalkulation deutlich schwieriger, Produktionsaufträge müssen unter Umständen nachverhandelt werden.

Erste Unternehmen reagieren hierauf bereits und erwägen ihre Produktionsstätten in andere Länder, in denen die Energiekosten günstiger sind, auszulagern. Zu nennen sind beispielsweise Standorte in der Nähe der EU-Außengrenzen, wie auf dem Balkan. Einige Unternehmen verlagern Standorte aber auch in Regionen außerhalb von Europa – mit weiteren kostengünstigeren Faktoren, zum Beispiel beim Lohnniveau oder bei der Regulierung.

Nachhaltigkeit künftig auch wichtig bei Finanzierungen

Neben der kritischen Kostenentwicklung müssen die Unternehmen auch andere Herausforderungen meistern. Dazu gehört auch das Thema Nachhaltigkeit im Rahmen der sogenannten ESG-Kriterien. Mit den europaweit gültigen Reporting-Standards schafft die Europäische Union in Zukunft einen einheitlichen Rahmen für die nicht-finanzielle Berichterstattung von Unternehmen, begleitet von Berichtspflichten, die künftig eingehalten werden müssen. Aber bereits heute haben diese Vorgaben einen Einfluss auf die Unternehmen.

Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Finanzierungspartner wie Banken schon jetzt Vorgaben für die Kreditvergabe an die ESG-Faktoren koppeln. Bedeutet: Kann ein Betrieb die Einhaltung der Vorgaben heute noch nicht vorweisen, auch wenn keine Berichtspflicht vorliegt, vergibt die Bank meistens keine Finanzierungszusage. Der Betrieb muss dann alternative Finanzierungswege finden, dazu zählen Private Equity oder Debt Fonds mit anderen Investitionskriterien, wobei diese auch immer strenger auf die ESG-Vorgaben achten.

Und auch Sanierungen von Krisenunternehmen können dadurch erschwert werden. Der aktuelle Entwurf des IDW S6  („Anforderungen an Sanierungskonzepte“) weist ausdrücklich auf die Relevanz von ESG-Aspekten für die Beurteilung einer Sanierungsfähigkeit hin. Fehlen diese Perspektiven, wird die Sanierungsfähigkeit bzw. -würdigkeit nicht angenommen, was jedoch eine Grundvoraussetzung zur Finanzierung von Krisenunternehmen darstellt.

Distressed Due Diligence essentiell bei M&A-Deals

Angesichts der Herausforderungen für die energieintensiven Unternehmen, wird es zu Marktbereinigungen in Form von Distressed-M&A-Deals oder Schließungen kommen. Die Marktmacht einzelner Betriebe wird steigen, wenn nur noch wenige Unternehmen im Segment übrigbleiben. Bereits heute zeichnet sich zum Beispiel in der Gießereibranche eine Entwicklung in diese Richtung ab. Dabei ist eine Abwanderung dieser Industrien ins Ausland zu befürchten.

Wichtiger denn je werden somit für erfolgreiche Marktteilnehmer auch Übernahmen krisenbehafteter Unternehmen, um die eigene Marktposition zu sichern. Beim Erwerb solcher Unternehmen sind neben regulären Themen einer Due Diligence insbesondere „Distressed“-Aspekte zu beachten, um Risiken in dieser Sondersituation genau einschätzen und bewältigen zu können. Nur dann können solche Transaktionen erfolgreich sein.

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