Nachhaltigkeit und Green Finance
Wie Unternehmen die Datenflut beherrschen
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung gewinnt zurzeit, getrieben von der Regulatorik, an Bedeutung. Dies belegt die fünfte Auflage der Studie von FINANCE und LBBW. Wie reagieren Unternehmen auf die Pflicht, systematisch ESG-Daten zu erfassen? Wurden Prozesse und Verantwortlichkeiten etabliert? Beeinflusst dies den Umgang mit Green-Finance-Produkten? Die „Green Finance“-Studie 2024 beantwortet diese und weitere Fragen. Die ausführliche Fassung finden Sie hier zum Download.
Angespannte Lage
In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten versuchen viele Unternehmen, Kosten zu reduzieren. Das sichert zwar kurzfristig Gewinne, zieht jedoch die Produktionsqualität und die Innovationskraft in Mitleidenschaft. Zukunftsorientiertere Lösungsansätze verfolgen nicht nur die Reduzierung, sondern die Optimierung der Kosten und damit verbunden eine Steigerung der Effizienz. Für fast 60 Prozent der befragten Unternehmensentscheider steht diese Strategie aktuell im Mittelpunkt. Die beiden dominierenden Themen der letzten Jahre, die Arbeitgeberattraktivität und die Energiesicherheit, stehen 2024 dagegen seltener auf der Agenda. Im Hinblick auf die Befragungsergebnisse von 2023 ist das eine strategische Kurskorrektur.
Was sind für Sie derzeit wichtige Themenfelder?1;
in Prozent der befragten Unternehmensentscheider;
n = 188 (2024)/188 (2023)
1Mehrfachnennungen möglich; Darstellung ausgewählter Antworten
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW
Und die Nachhaltigkeit? Sie bleibt trotz aller Herausforderungen ein Top-Thema in der Wirtschaft. Nachhaltiges Wirtschaften heißt, gesellschaftliche und ökologische Belange in die Unternehmenstätigkeit und die Stakeholderbeziehungen zu integrieren. An dieser Transformation führt kein Weg mehr vorbei, dafür sorgen europäische und nationale Gesetze. Die befragten Unternehmensentscheider stimmen hier mehrheitlich zu: 81 Prozent erwarten, dass sich der Stellenwert von Nachhaltigkeit für Unternehmen in den kommenden fünf Jahren weiter erhöht.
Unternehmensaktivitäten lassen sich hinsichtlich ihrer Wirkung einer der drei ESG-Dimensionen zuordnen: Environment (Ökologie), Social (Soziales) und Governance (nachhaltige Unternehmensführung). Für die Mehrheit der Unternehmen steht der ökologische Aspekt weiterhin im Mittelpunkt. In den Bereichen Soziales und nachhaltige Unternehmensführung sorgen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch stellenweise für neu sortierte Prioritäten. Obwohl die Unternehmen in den Vorjahren hier bereits viele Maßnahmen umgesetzt haben, wird das hohe Niveau aus der vergangenen Studie aktuell nicht erreicht.
Unternehmensentscheider gewichten ihre Top-3-Maßnahmen
pro Nachhaltigkeitsdimension neu¹
1 Veränderungen im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2023
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW
Nachhaltigkeitsberichtserstattung als Basis
Nachhaltigkeit bleibt nicht zuletzt aufgrund des wachsenden regulatorischen Drucks im Blickfeld der Unternehmen. Die europäische Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet zunächst nur große, bald aber auch kleinere Unternehmen dazu, nachhaltiger zu wirtschaften und auch darüber zu berichten. Die CSRD erhöht auch den Umfang der Berichtsinhalte und schärft Berichtsstandards. 2024 wird das erste Berichtsjahr, für das berichtspflichtige Unternehmen die neuen Standards anwenden müssen. Dieser Transformationsdruck spiegelt sich auch im Antwortverhalten wider: Gerade mittlere und große Unternehmen setzen sich derzeit verstärkt mit der CSRD auseinander.
Welche regulatorischen Vorhaben bzw. Gesetze beschäftigen Sie derzeit?; Antwort: CSRD; in Prozent der befragten Unternehmensentscheider nach Jahresumsatzkategorie; n = 188 (2024)/156 (2023)
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW
Die sektorübergreifenden CSRD-Berichtsstandards sind seit Mitte 2023 geltendes EU-Recht. Bei einem Teil der befragten Unternehmensentscheider herrscht bezüglich ihrer Wirkung jedoch Ungewissheit. 27 Prozent aller Befragten sind sich hinsichtlich der genauen Anforderungen und Auswirkungen der CSRD nicht sicher. Bei den akut betroffenen Vertretern großer Unternehmen sind es sogar 42 Prozent.
Mit ESG-Daten arbeiten
ESG-Informationen werden künftig anhand der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) offengelegt. Deren branchenübergreifende Anforderungen umfassen über 1.000 ESG-Datenpunkte. Vier von fünf Finanzentscheidern sind sich einig, dass diese Datenflut nur durch ein umsichtiges Datenmanagement beherrschbar ist.
Für berichtspflichtige Unternehmen führt deshalb kein Weg an einer ESG-Daten-Governance vorbei. Dazu gehören Erfassungsrichtlinien, standardisierte Quellen und Formate sowie eine automatisierte Datenerhebung und -verarbeitung. Oftmals fordert jedoch bereits der Umgang mit ESG-relevanten Rohdaten heraus: Für zahlreiche Finanzentscheider ist der Datenerfassungsaufwand problematisch. Viele klagen zudem über die mangelnde Datenqualität und die schwierige Datenbeschaffung aus unterschiedlichen Quellen. Davon sind gerade große Unternehmen betroffen. Sie verfügen zwar über mehr Ressourcen, doch angesichts zahlreicher Abteilungen und verzweigter Lieferketten potenzieren sich die Herausforderungen.
CSRD-Nachhaltigkeitserklärungen unterliegen künftig einer externen Prüfpflicht. Die Qualität von Nachhaltigkeits- und Finanzkennzahlen darf sich deshalb nicht mehr wesentlich unterscheiden. Eine unsichere Datenbasis führt hier schnell zu einer ungewollten Verletzung regulatorischer Vorgaben. In der Praxis bedeutet dies in vielen Fällen, dass die Dateninfrastruktur oder die IT-Systemstruktur angepasst werden muss.
Immer mehr Unternehmen sind verpflichtet, über nicht-finanzielle Kennzahlen zu berichten. Was sind dabei aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?1; in Prozent der befragten Finanzentscheider nach Jahresumsatzkategorien; n = 66 (Umsatz 500 Mio. Euro oder mehr)/108 (Umsatz unter 500 Mio. Euro)
1Mehrfachnennungen möglich; Darstellung ausgewählter Antworten
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW
KPIs zur Steuerung der nachhaltigen Transformation
Die Erhebung und Messung von Nachhaltigkeitskennzahlen gewinnen an Bedeutung. Diese dann auch als Messgröße für nachhaltige Finanzierungen einzusetzen und dabei die Zinshöhe an individuell festgelegte ESG-Kennzahlen (KPI) zu koppeln ist ein logischer Schritt.
Zumal nachhaltige Finanzierungen aktuell oftmals dazu eingesetzt werden, die eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen voranzutreiben. Die tatsächlichen Kostenvorteile spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Es überrascht daher nicht, dass mehr als die Hälfte der befragten Finanzentscheider im Rahmen von ESG-linked Finanzierungen individuell festgelegte Kennzahlen den externen ESG-Ratings vorzieht.
Auch Unternehmen, die noch keiner Berichtspflicht unterliegen, können so erste Erfahrungen mit eigenen ESG-Kennzahlen sammeln. Entsprechend sehen 44 Prozent der befragten Finanzentscheider in KPI-verknüpften Finanzierungen einen Auslöser für Veränderungen im Unternehmen.
Nachhaltige Finanzierungen: neue Perspektiven
Sind nachhaltige Finanzierungen für die nachhaltige Transformation erforderlich?; in Prozent der befragten Finanzentscheider; n = 177
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW
Nachhaltigkeit ist inzwischen im Bewusstsein der deutschen Gesellschaft fest verankert und nachhaltiges Handeln von Unternehmen wird immer stärker vorausgesetzt. Dadurch verschiebt sich der Blickwinkel auf nachhaltige Finanzierungen: Bislang wurde ihr positiver Einfluss vor allem auf die interne Wahrnehmung von Nachhaltigkeit und PR-Effekte gesehen. Die erwartete Wirkung auf potentielle Investoren wurde dagegen sehr zurückhaltend eingeschätzt. Das ändert sich aktuell deutlich, da für Banken und andere Finanzdienstleister das Thema immer stärker in den Fokus rückt. Für die befragten Finanzentscheider werden nachhaltige Finanzierungen dadurch zu einem wichtigen Instrument der nachhaltigen Transformation. Nur ein knappes Fünftel von ihnen erklärt, dass diese speziellen Finanzierungsinstrumente dafür nicht erforderlich sind.
Markt für Sustainable Finance wächst
Der Perspektivwechsel wird auch an anderer Stelle deutlich: 67 Prozent der befragten Finanzentscheider haben sich bereits mit nachhaltigen Finanzierungen auseinandergesetzt, vor vier Jahren waren es erst 52 Prozent, wie die Befragung 2020 zeigte. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sustainable-Finance-Instrumente immer noch ein Nischenmarkt sind. Allerdings wächst die Zahl derer, die Erfahrungen mit nachhaltigen Finanzierungsinstrumenten gesammelt haben, stetig.
Dies belegt ein Blick auf die vergangenen Erhebungen: Einen echten Sprung im Vergleich zu den Vorjahren haben die ESG-linked Loans hingelegt: 17 Prozent der befragten Finanzentscheider geben an, dass dieses Finanzierungsinstrument in ihrem Unternehmen bereits genutzt wurde. Green Loans und Green Bonds haben jeweils 10 Prozent der Befragten umgesetzt. Auch eher neue Instrumente wie Sustainable Supply Chain Finance oder -Factoring werden schon genutzt.
Es spricht vieles dafür, dass zahlreiche Unternehmen sich mit Ernst und Sorgfalt dem Thema Nachhaltigkeit in ihren Organisationen widmen. Damit wird die Grundlage dafür geschaffen, auch im Bereich der Finanzierung mit Nachhaltigkeit zu operieren.
Welche nachhaltigen Finanzierungsinstrumente hat Ihr Unternehmen schon genutzt?1; in Prozent der im jeweiligen Jahr befragten Finanzentscheider; n = 177 (2024)/113 (2022)/127 (2020)
1Mehrfachnennungen möglich;
Darstellung ohne Antwortoptionen „Sonstige“ und „weiß nicht/keine Angabe“
2Erstmals 2021 in die Befragung aufgenommen
3Erstmals 2024 in die Befragung aufgenommen
Quellen: FINANCE/F.A.Z. Business Media | research, LBBW

