Das Zeitalter der Geoökonomie

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Fachbeitrag aus der Sonderbeilage zur Structured FINANCE 2025. Foto: tostphoto - stock.adobe.com
Fachbeitrag aus der Sonderbeilage zur Structured FINANCE 2025. Foto: tostphoto - stock.adobe.com

Das Weltwirtschaftsforum in Davos führt jedes Jahr eine Befragung zu den größten globalen Risiken durch. In diesem Jahr stehen auf Platz 1 nicht Arbeitslosigkeit oder der wirtschaftliche Abschwung, sondern bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte – im Vorjahr noch auf Rang 8. Über 60 zwischenstaatliche Konflikte schwelen aktuell weltweit – mehr als je zuvor. Krieg und Frieden betreffen in unserer globalisierten, hochgradig vernetzten Welt immer unmittelbar auch Wirtschaft und Unternehmen.

In Fachkreisen ist die Rede vom Zeitalter der Geoeconomics: Wirtschaft, Politik und Machtinteressen sind im weltweiten Wettbewerb untrennbar miteinander verwoben. Marktzugänge, Lieferketten und Compliance hängen nicht mehr nur von den Kräften des Marktes ab, sondern zunehmend auch von politischen Entscheidungen.

Und so werden Geoeconomics zum Lackmustest für Unternehmen. Wo früher kaufmännisches Geschick, Gespür für Märkte und gute Führung zählten, ist mittlerweile auch eine ganz andere Kompetenz gefragt: geoökonomische Weitsicht. Zugespitzt könnte man sagen: Früher ging’s ums Geld, jetzt um Politik. Consultants berichten, dass der Beratungsbedarf sich von Kostensenkung und Effizienzsteigerung hin zu geopolitischer Strategie verschiebt. Strategische Unternehmensführung erfordert somit nicht nur ökonomisches, sondern auch politisches Urteilsvermögen.

Lieferkette und IT sind Achillesfersen

Wie sehr Geoeconomics auch in der deutschen Wirtschaft angekommen sind, haben die unterbrochenen Lieferketten während der Pandemie gezeigt. Viele Unternehmen haben ihre Beschaffung neu ausgerichtet, ob durch Nearshoring, Dual Sourcing, den Aufbau von multimodalen Logistikrouten oder das strategische Aufstocken von Lagerbeständen. Daneben sind IT-Systeme zur Achillesferse geworden: Cyberattacken und Angriffe auf kritische Infrastruktur offenbaren die Verletzlichkeit digitaler Prozesse. Regelmäßige Stresstests, Incident-Response-Pläne, Szenario-Workshops und der Aufbau von Zero-Trust-Architekturen sind nicht nur wünschenswert, sondern schlichtweg geboten.

Analog gilt das auch für die Finanzplanung: Die volatile sicherheitspolitische Lage führt zu Schockturbulenzen an den Märkten. Beteiligungen in Konfliktregionen – sei es Russland, Nah- oder Fernost – bergen das Risiko negativer Spillover-Effekte. Ein Ringfencing und getrennte Bilanzkreise bei Tochterfirmen können helfen.

Kein Small-Talk-Thema

Sind sich deutsche Unternehmen dieser Achillesfersen bewusst? Antworten liefert eine Befragung, die die BayernLB gemeinsam mit der Strategieberatung Agora Strategy unter mehr als 400 großen und mittelständischen Unternehmen durchgeführt hat. Das Ergebnis macht Mut: Rund 90 Prozent gaben an, dass sie Geopolitik bereits systematisch in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen.

Das zeigt: Die Wirtschaft hat sich auf den Weg gemacht, der Paradigmenwechsel hat die Führungsetagen erreicht. Benedikt Franke, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, bringt es auf den Punkt: „Jede Führungskraft sollte über Außen- und Sicherheitspolitik intensiv nachdenken.“

Geopolitik ist für Wirtschaftslenker kein Small-Talk-Thema, sondern zentrale Entscheidungsgrundlage. In der aktuellen Weltlage ist das unabdingbar – um Assets zu schützen, aber auch um Chancen zu nutzen: Wer geopolitische Risikoprävention gestaltet, kann Potentiale heben.

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