Die globale Renditeentwicklung der Anlageklasse Renten über das Jahr 2022 hinweg lag laut Zahlen von Bloomberg bei minus 14,5 Prozent – das mit Abstand schlechteste Ergebnis in den vergangenen 25 Jahren. Der rapide Anstieg der Zinsen führte zu einem substantiellen Kurssturz der Anleihen. „Widrig“ ist sicherlich ein passendes Adjektiv, um die Finanzmärkte seit Beginn 2022 zu beschreiben.
Veränderungen am Fremdkapitalmarkt
Im Jahr 2022 wurden 25 Prozent der Transaktionen im Schuldscheinmarkt von Unternehmen begeben, die mindestens ein öffentliches Kreditrating von Moody’s, S&P oder Fitch vorweisen konnten – 2017 lag dieser Anteil bei lediglich 4 Prozent. Gleichzeitig wurde 2022 eine einzige öffentliche Anleihe ohne Rating begeben.
Haben sich die Fremdkapitalmärkte in dieser doch kurzen Zeit so stark verändert, dass sogar die Investoren im Schuldscheinmarkt diejenigen Unternehmen bevorzugen, die ein Rating mitbringen? Haben sich die Anleihemärkte im Speziellen so weit verändert, dass der Zugang nur noch mit Rating möglich ist? Die oben genannten Fakten lassen auf den ersten Blick darauf schließen. Es lohnt sich aber, genauer hinzusehen.
Die Rolle der Investoren im Schuldscheinmarkt
Die Investoren im Schuldscheinmarkt haben ihre Ansprüche an Unternehmen bezüglich Ratings nicht geändert. Dieser Markt bleibt weiterhin dominiert von klassischen Bankinvestoren. Die eigene Einschätzung der Kreditqualität ist für die Investoren ausschlaggebend. Der vergleichsweise hohe Anteil von 25 Prozent resultiert vornehmlich aus den relativen Marktbedingungen.
Gerade im niedrigeren Investmentgrade-Bereich waren die Konditionen im Schuldscheinmarkt zeitweise attraktiver als im Anleihemarkt. Zusätzlich galt es, in den Zeiten zurückhaltender Käufer auf die Diversifikation der Kapitalgeber zu achten.
Die Präferenzen der Anleiheinvestoren
Anders sieht das Bild im Anleihemarkt aus: Hier können Investoren aktuell wählerischer sein und bevorzugen Anleihen mit einem Rating. In den Jahren des Niedrigzinsumfeldes gab es allerdings einen wesentlichen Unterschied, der den Zugang zusätzlich erleichtert hatte: der aus einem Aufschlag für das fehlende Rating resultierende Turbo für den Kupon. Dieser Aufschlag wurde oft mit etwa 75 Basispunkten veranschlagt. Zumindest aus psychologischer Sicht ist der Unterschied zwischen damals (von circa 0,75 auf 1,50 Prozent) und heute (von rund 4,0 auf 4,75 Prozent) erheblich.
In Zeiten, in denen die Kapitalmärkte volatiler sind, findet der traditionelle US-Privatplatzierungsmarkt (USPP) wieder vermehrt Beachtung. Anstelle eines öffentlichen Ratings erfolgt die Analyse durch die National Association of Insurance Commissioners, den Dachverband der großen Versicherungsgesellschaften in den USA. Diese vergibt eine Risikoklassifizierung, wobei NAIC-1 und NAIC-2 den Investmentgrade widerspiegeln. Interessanterweise bestimmt ein öffentliches beziehungsweise privates Rating einer qualifizierten Agentur diese Klassifizierung.
Keine neuen Trends, sondern veränderte Volumina
Gibt es also neue Trends? Um es kurz zu fassen: nicht wirklich. Anleihen ohne Ratings waren schon immer in starken Märkten leichter zu platzieren. Auch müssen Schuldscheininstrumente zukünftig nicht vermehrt durch ein Rating unterstützt werden.
Was sich verändert hat, sind die Volumina, die in den jeweiligen Märkten ausstehend sind – sowohl für einzelne Unternehmen wie insgesamt. Eine Investorendiversifizierung wird immer bedeutsamer. Ein effizienter Weg zu neuen Investoren führt eben über ein Rating.
Autor
Delf Egge ist Managing Director Debt Markets DACH Region bei BNP Paribas in Frankfurt am Main.
delf.egge@bnpparibas.com