Die Zahlen sind so klar wie alarmierend: 71 Prozent der Unternehmen im deutschen Mittelstand leiden unter massiven Problemen in ihren Lieferketten. 6 Prozent sehen darin sogar existentielle Herausforderungen, wie jüngst eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie ergab. Die Folgen der Pandemie, der Krieg in der Ukraine, steigende Zinsen sowie die immer höheren Preise für Energie und andere Rohstoffe tragen zu dieser schwierigen Situation bei. Um die eigene Produktion zu schützen, ist es daher umso wichtiger, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die zur Stabilisierung der Lieferketten auf der Zuliefererseite, aber auch auf der Absatzseite zur Verfügung stehen. Dazu gehören unter anderem Instrumente, die helfen, finanzielle Risiken, wie etwa Liquiditätsengpässe, zu minimieren.
„Reverse Factoring bietet sich bei strategisch wichtigen Zulieferern an.“
Wolfgang Reiser
Eines davon ist das sogenannte Reverse Factoring. Es bietet sich vor allem in der Zusammenarbeit mit strategisch wichtigen Zulieferern an. Denn dadurch kann ein Unternehmen seine Beziehungen zu Lieferanten stärken, die Versorgung mit wichtigen Vorprodukten sicherstellen und das Risiko von Produktionsausfällen deutlich senken. Im Gegensatz zum klassischen Factoring schaltet beim Reverse Factoring der Abnehmer – und nicht der Zulieferer – der Vorprodukte ein Factoringinstitut ein, das die sofortige Bezahlung des Lieferanten übernimmt. Dadurch können Liquiditätsengpässe auf der Verkäuferseite vermieden werden. Gleichzeitig kann der Abnehmer oftmals bei längeren Zahlungszielen seine eigenen Liquiditätsrisiken minimieren. Im Regelfall profitieren also beide Seiten. Um den Aufwand zu minimieren, sollte ein Unternehmen aber nur Lieferanten in ein solches Programm aufnehmen, mit denen es einen wesentlichen Teil des relevanten Einkaufsvolumens abwickelt.
Lösung für den Export
Es gibt aber noch ein zweites Instrument, das in diesem Zusammenhang spannend ist: eine Small-Ticket-Exportfinanzierung. Die allermeisten Unternehmen sind selbst Teil einer im exportorientierten Deutschland oft globalen Lieferkette. Und gerade im Export stellen finanzielle Risiken vor allem bei kleineren Volumina und langen Zahlungszielen immer wieder ein Problem für Exporteur und Importeur, aber auch den Finanzier dar. Für Forderungen bis 10 Millionen Euro bieten sich seit einiger Zeit sogenannte Small-Ticket-Exportfinanzierungen via Factoring an. Wertvoll sind diese vor allem für den Mittelstand mit Ausfuhren in Länder, die nicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, angehören. Hier fehlte es für den Anbieter von Maschinen und Anlagen früher oft an Alternativen für eine Refinanzierung.
Der Einsatz einer Factoringlösung setzt auf einer langfristigen, privaten oder staatlichen Absicherung von bis zu fünf Jahren auf und stellt dem Exporteur sofortige Liquidität zur Verfügung. Der Factor übernimmt hier im Rahmen eines regresslosen Forderungsverkaufs zu 100 Prozent das Delkredererisiko, was zu einer Bilanzentlastung beim Exporteur führt.
In diesen Zeiten ist die Zusammenarbeit aller Handelsteilnehmer von essentieller Bedeutung für das Funktionieren des globalen Güteraustauschs. Die Absicherung des eigenen Absatzes ist dabei genauso wichtig wie die Stabilisierung der eigenen Zulieferketten.
Autor
Wolfgang Reiser ist Vorsitzender der Geschäftsführung (Chief Executive Officer) bei der BNP Paribas Factor GmbH in Düsseldorf.
wolfgang.reiser@bnpparibas.com