Die Börse Frankfurt hat ihre Börsenordnung geändert. Unternehmen im regulierten Markt mit der höchsten Transparenzstufe, dem so genannten Prime Standard, müssen ab sofort keine ausführlichen Quartalsfinanzberichte mehr erstellen. Geht es nach der Börsenordnung, müssen sich Investoren künftig mit halbjährlichen Finanzberichten begnügen, die Unternehmen nicht wie bisher zwei, sondern erst drei Monate nach dem Ende des Berichtszeitraums liefern müssen.
Ganz kommen Unternehmen aber nicht um die vierteljährliche Berichterstattung herum, denn trotz der Lockerung müssen sie sogenannte Quartalsberichte liefern. Diese sind inhaltlich deutlich abgespeckt und lassen den Unternehmen Interpretationsspielraum. So fordert die Frankfurter Börse nicht explizit eine Bilanz oder Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), sondern lediglich Informationen, die „wesentliche Geschäfte“ innerhalb des Mitteilungszeitraums abbilden und „Auswirkungen auf die Finanzlage“ des Unternehmens erläutern. Außerdem soll die „Finanzlage und das Geschäftsergebnis“ beschrieben werden.
Publizitätspflichten vs. Marktgesetze
Das ist eine Verschlechterung für die Investoren, stehen ihnen rechtlich doch weniger Informationen zu. Ganz so einfach dürfte es für Unternehmen dennoch nicht werden, sich vor der Berichterstattung im Rahmen der Publizitätspflichten zu drücken: Investoren werden einen Informationsverlust nicht ohne weiteres hinnehmen und Druck auf die Unternehmen ausüben.
Laut Ulrich Wiehle, Vorstandsmitglied bei der Kommunikationsagentur Cometis und verantwortlich für Investor Relations, dürften die meisten Unternehmen in Zukunft mehr Informationen liefern, als die neue Börsenordnung es verlangt: „Ich denke, dass die meisten Quartalsberichte eine Bilanz und GuV sowie die wesentlichen Unternehmenskennzahlen enthalten werden“, so Wiehle. „Auch um die Kapitalflussrechnung, einen Abstract über den wesentlichen Geschäftsverlauf und Ereignisse nach dem Stichtag sowie eine Geschäftsprognose werden die Unternehmen nicht herum kommen“.
Prime Standard: Warum weiche Publizitätspflichten gut für Investoren sein können
Was genau die einzelnen Unternehmen in ihre Berichte aufnehmen werden, dürfte sich im nächsten Quartal zeigen: „Nach einer aktuellen Umfrage aus unserem Hause befinden sich rund die Hälfte aller Unternehmen des Prime Standards noch in der Findungsphase“, sagt Wiehle. Denn niemand hindert die Unternehmen daran wie bisher fortzufahren. Philipp Melzer, Rechtsanwalt und Partner bei CMS, rechnet damit, dass zunächst vor allem kleinere Unternehmen die Berichterstattung zurückfahren werden. „Viele Unternehmen schauen sich das jetzt erst einmal an und entscheiden dann im ersten Quartal 2016 wie sie reagieren“, so Melzer.
Der größere Gestaltungsspielraum bei der Berichterstattung muss kein zwingender Nachteil sein. Es ist fraglich, ob ein Unternehmen vierteljährlich einen 70-seitigen Bericht erstellen muss, durch den sich Investoren durchwühlen müssen. „Mit der neuen Börsenordnung kann die Berichterstattung auf die Investorenbedürfnisse zugeschnitten werden“, stimmen Wiehle und Melzer überein. Die Berichterstattung wäre damit deutlich nutzerfreundlicher als bisher und kommt den Investoren entgegen. „Außerdem gibt es ja immer noch den deutschen Corporate Governance Kodex dem sich viele Prime-Unternehmen verpflichtet haben“, sagt Wiehle. Dieser Kodex fordert unter anderem die quartalsweise Berichterstattung innerhalb von 45 Tagen nach dem Stichtag.
Ulrich Wiehle: „Der General Standard droht in der Versenkung zu verschwinden“
Kritisch wird es offenbar eher für Investoren des General Standards, in dem hauptsächlich kleinere Unternehmen gelistet sind. Im Gegensatz zum Prime Standard müssen laut Melzer Unternehmen im General Standard künftig aufgrund der neuen Börsenordnung in Q1 und Q3 überhaupt keine Berichte mehr abliefern. Investoren steht damit von Rechtswegen ein Anspruch auf Informationen während dieser Zeiträume nur noch dann zu, wenn die zu berichtenden Umstände Ad-hoc-Qualität erreichen, was nur sehr selten der Falls sein dürfte. Melzer fürchtet, dass dadurch im General Standard manch relevante Information verloren gehen oder erst zu einem sehr späten Zeitpunkt berichtet werden könnte.
Wiehle geht sogar noch einen Schritt weiter und befürchtet, dass der General Standard in der Versenkung verschwinden könnte. „Wenn ein Unternehmen in Q1 und Q3 überhaupt nichts mehr reporten muss, kann das nicht im Sinne der Investoren sein. Entscheidet es sich dann für eine freiwillige Berichterstattung, erfüllt es de facto schon die Prime-Anforderungen, vorausgesetzt es berichtet nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch“. Das könnte laut Wiehle dazu führen, dass sich weitere Unternehmen im General Standard dazu entscheiden, in den Prime Standard zu wechseln, wie es bereits Max Automation oder W&W kürzlich vorgemacht haben.
Im General Standard wird sich damit die Spreu vom Weizen trennen. Die nächsten Quartalsberichte können Investoren als eine Art adverse Selektion betrachten, bei der sich weniger kommunikationsbereite Unternehmen von selbst outen, indem sie ihre Berichterstattung zurückfahren.
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