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Das bringt die Produktionsverlagerung ins Ausland

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Wer sich für die Produktionsverlagerung ins Ausland entscheidet, kann Risiken durch mehrere Werke minimieren. Foto: Brian Jackson - stock.adobe.com
Wer sich für die Produktionsverlagerung ins Ausland entscheidet, kann Risiken durch mehrere Werke minimieren. Foto: Brian Jackson - stock.adobe.com

Eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie zeigt aktuell, dass 16 Prozent der befragten Unternehmen bereits aktiv dabei sind, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Das ist jeder sechste Industriebetrieb. Weitere 30 Prozent der Unternehmen denken konkret darüber nach, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage.

Auch Sanierungsexperten bestätigen diesen Eindruck. Vermehrt suchen sich Verantwortliche von Betrieben aus dem produzierenden Gewerbe, wie Chemie- und Metallunternehmen, Gießereien oder Hersteller von energieintensiven Produkten derzeit Unterstützung, um die Produktion an ausländische Standorte zu verlagern.

Die Motivation hierfür erklärt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar unter 150 deutschen Unternehmen: Betriebe des produzierenden Gewerbes geben dem Industriestandort Deutschland eine Durchschnittsnote von „drei minus“. Am schlechtesten schneiden die Bereiche Energiepreise und -verfügbarkeit, Regulatorik und Bürokratie sowie die Verfügbarkeit von Fachkräften ab. Dies sind Themen, die die tägliche Arbeit der Betriebe stark belasten und für CFOs die mögliche Verlagerung der Produktion auf die Agenda bringt.

Südosteuropa ist attraktiver Produktionsstandort

Doch für welchen Standort soll sich ein Betrieb entscheiden? Viele Produktionsunternehmen fokussieren sich derzeit unter anderem auf verschiedene Länder in Südosteuropa sowie zum Teil auch auf Maghreb-Staaten und überlegen beispielsweise Verlagerungen nach Bosnien vorzunehmen. Dieses Land bietet gleich mehrere Vorteile: Bosnien liegt nahe an der EU-Außengrenze und ist Beitrittskandidat. Die Kosten für Energie sind hier deutlich geringer. Davon profitieren vor allem – aber nicht nur – energieintensive Produktionen. Ein weiterer Pluspunkt liegt bei den vorhandenen Fachkräften, die bei deutlich geringeren Lohnkosten beschäftigt werden können.

Bosnien, aber auch weitere Standorte in Süd- oder Osteuropa wie etwa Serbien, sind von Deutschland aus schnell per LKW erreichbar. Dies stellt sich vor allem in Zeiten der Lieferkettenprobleme und mangelnder Containerverfügbarkeit als großen Vorteil heraus. China wird als Standort derzeit zwar auch als Option, aber in wenigeren Fällen als Osteuropa, in Betracht gezogen. Die Coronakrise hat gezeigt, wie schnell Unternehmen in Krisensituationen geraten, weil der chinesische Markt unter logistischen Schwierigkeiten leidet.

Wenn es um die Finanzierung geht, spielen bei der Verlagerung auch ESG-Themen eine wichtige Rolle. Die Vergabe von Krediten wird zum Beispiel oft an die Einhaltung dieser Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen gekoppelt, was die Länderauswahl beeinflusst. Zu beachten ist ebenfalls der neue Mechanismus zum CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), der in einer Übergangsphase ab dem 1. Oktober 2023 wirksam wird. Auch das Thema der Währung darf nicht außer Acht gelassen werden. Hier drohen je nach Zielland durch Wechselkurseffekte erhöhte Währungsrisiken und damit mögliche Gewinneinbußen.

Fragenkatalog bei Wechsel des Produktionsstandortes

Neben der genauen Analyse der finanziellen Aspekte muss die Lage und Erreichbarkeit des Standorts zum jeweiligen Unternehmen passen. Dazu kommt unausweichlich die jeweilige geopolitische Lage. Es zeigt sich, dass die Wahl des Standortes von zahlreichen Faktoren abhängt, die je nach Fall unterschiedlich stark gewichten.

Neben rechtlichen und wirtschaftlichen Themen müssen auch interne Faktoren geprüft werden. Dazu zählt beispielsweise die Frage, wie schnell eine Verlagerung überhaupt umgesetzt werden kann. Besteht die Produktion aus komplexen, einzelgefertigten Bauteilen? Mit wieviel Vorlaufzeiten muss gerechnet werden? Verlagerungen sind oftmals nicht leicht umsetzbar, da sie sehr kapitalintensiv sind. Eine Alternative bei anstehenden Neuinvestitionen könnte dann sein, ein ausländisches Ziel hierfür auszuwählen.

Risiken durch mehrere Werke minimieren

Wird sich für eine Verlagerung entschieden, ist eine „Mehr-Werk-Strategie“ empfehlenswert, um Risiken abzufedern. Im Detail bedeutet das, dass Werke an mehreren Standorten in Deutschland bzw. Europa bestehen bleiben. Dazu kommen je nach Fall zusätzlich neue Standorte in anderen Ländern oder Kontinenten, die strategisch für das Unternehmen sinnvoll sind. Der Best-Cost-Ansatz liefert hier die Entscheidungsvorlage, damit die Qualität der Erzeugnisse gewohnt hoch bleibt. Eine Produktion in nur einem Land ist sehr riskant und nur in seltenen Fällen eine gute Wahl.

Dennoch gilt immer: der Einzelfall entscheidet. Jedes Unternehmen verfügt über besondere Faktoren, die eine Entscheidung stark beeinflussen. Nicht für jeden Betrieb ist eine Produktionsverlagerung ratsam, sie kann die Gesamtstabilität gefährden. Bei diesem Thema sollten sich die Verantwortlichen daher bewusst sein, dass eine ausführliche und individuelle Analyse vorab unabdingbar ist – und bei der anschließenden Verlagerung ist Umsetzungskompetenz gefragt.

Ludwig Stern

Sanierungsexperte Ludwig Stern ist Partner der PLUTA Management GmbH. Der Diplom-Betriebswirt und Restrukturierungsmanager ist seit 2015 bei PLUTA in München im Geschäftsbereich Sanierung und Restrukturierung tätig.