Sylwia Maria Bea-Pulverich: die Strategin

Mehr als 800 Kilometer lagen hinter Sylwia Maria Bea-Pulverich als sie ihr Studium an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg begann. Der Weg hat sich gelohnt. Heute zählt die in Krakau geborene Juristin zu den führenden Restrukturiererinnen und Mitgestalterinnen der deutschen Sanierungsszene. Bea-Pulverich rückte die Perspektive auf die Branche zurecht. Vor neun Jahren hat die 49-Jährige mit anderen Restrukturiererinnen den Verein „Distressed Ladies – Women in Restructuring“ gegründet, ein mittlerweile etabliertes Netzwerk von Frauen im Insolvenz– und Sanierungsmarkt. Bea-Pulverich und ihre Mitbegründerinnen Katharina Gerdes und Anne Schwall haben bereits zu Beginn ihrer Karriere festgestellt, dass die Visibilität von Frauen in der Restrukturierung nicht gegeben war. Um das zu ändern, haben sie beim Lunch den Launch des Vereins mit anfangs 16 Mitstreiterinnen beschlossen. Aktuell zählt der Verein rund 100 Spezialistinnen und die Warteliste sei lang, so Bea-Pulverich. Distressed Ladies erhielten 2023 einen Ritterschlag Mittlerweile hat sich die Sichtbarkeit von weiblichen Restrukturierern deutlich gesteigert. „In jedem großen Restrukturierungfall ist meistens eine Distressed Lady dabei“, konstatiert Bea-Pulverich. Und ein weiterer Coup ist den Restrukturiererinnen geglückt: Seit 2023 ist der Verein als offizieller Interessenverband aufgenommen worden. So haben sie im vergangenen Jahr etwa zum EU-Richtlinienentwurf eine Stellungnahme an das Bundesjustizministerium zum Pre-pack-Verfahren abgeben dürfen. Mitstreiter war etwa der Deutsche Anwaltsverein. „Dass wir eine Stellungnahme offiziell als Interessenverband abgeben durften, war ein Ritterschlag für unseren Verein“, so Bea-Pulverich. Sich selbst beschreibt Bea-Pulverich keinesfalls als geborene Kämpferin für Frauenrechte. „Ich habe immer versucht, einfach mein Ding zu machen.“ Doch sie habe ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und wollte auch ihre Kolleginnen dazu ermutigen nach vorne zu gehen, nicht bloß im Schatten anderer zu stehen und ebenfalls, wie ihre männlichen Kollegen, mehr Präsenz zu zeigen. Trotz ihrer Vorstandsarbeit, in der sie im Wesentlichen für die strategische Entwicklung der Distressed Ladies zuständig ist, agiert sie weiterhin als Mentorin im vereinseigenen Eins-zu-Eins-Mentoringprogramm für junge Restrukturierungsberaterinnen. Bea-Pulverich war die erste Partnerin bei Wellensiek Sylwia Maria Bea-Pulverich kann auf einen stets aufsteigenden beruflichen Werdegang zurückblicken. Sie startete ihre Laufbahn als Gesellschaftsrechtlerin bei dem damaligen Würzburger Platzhirsch für Insolvenzverwaltung BFP Bruno Fraas & Partner. Dort war sie neben dem Gesellschaftsrecht auch häufig als Prozessanwältin für Insolvenzverwalter gefragt. „Das lehrte mich für meine heutige Rolle als Restrukturierungsberaterin, wie ich komplexe Sachverhalte in der Krise zu Beweiszwecken dokumentieren muss, damit später das Management etwaige Haftungsansprüche erfolgreich abwenden kann“, erzählt Bea-Pulverich. Bei BFP war sie von 2006 bis 2012 als Rechtsanwältin und Partnerin tätig. Ein berufsbegleitendes Executive MBA-Studium an der Boston University von 2009 bis 2011 rundete Bea-Pulverichs Ausbildung ab. „Restrukturierung ist ein Drittel Jura, ein Drittel BWL und der Rest ist Psychologie, Strategie beziehungsweise Diplomatie.“ Das sagte einst Wellensiek-Partner Alfred Hagenbusch zu Bea-Pulverich. Aus Würzburg führte ihr Weg sie nach Frankfurt zur auf Insolvenzrecht spezialisierten Sozietät Wellensiek, wo sie 2016 als erste Frau in die Partnerebene aufstieg. Dort lernte sie von ihrem Mentor Alfred Hagenbusch auch, was einen Restrukturierer wirklich ausmacht: „Restrukturierung ist ein Drittel Jura, ein Drittel BWL und der Rest ist Psychologie, Strategie beziehungsweise Diplomatie. Jetzt kann ich sagen, er hatte Recht, Menschenkenntnis und taktisches Vorgehen sind entscheidend, auch in der Krise.“ Dieses Wissen half Bea-Pulverich unter anderem bei der federführenden Beratung der Maeg Holding beim Kauf des insolventen Modeunternehmens Strenesse. Bea-Pulverich ist Co-Head of Restructurings bei NRF 2018 wechselte die Restruturierungsspezialistin zur Großkanzlei White & Case. Dort gehörte sie einem Team um Partner Andreas Kleinschmidt an und beriet mit ihm unter anderem Ende 2019 die Gries Deco Holding bei der Übernahme des Wohnaccessoire-Anbieters Depot. Mit viel Erfahrung zu finanziellen Restrukturierungen stieß die Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht schließlich als Partnerin zu Norton Rose Fulbright, um von Frankfurt aus komplexe grenzüberschreitende Sanierungs- und Restrukturierungsmandate inklusive Banken– und Investorenberatung für Private Equity zu begleiten. Nur zwei Jahre später stieg die 49-Jährige zur Co-Head of Restructuring für die EMEA-Region auf. Sie teilt sich die Leitung mit James Stonebridge. Bea-Pulverich ist eine Strategin par excellence Persönliche Begegnungen und die Möglichkeit, in strategische und gesellschaftspolitische Fragestellungen einzutauchen, beschreibt Bea-Pulverich als besonders hervorzuhebenden Teil ihrer Arbeit. Schon mit 17 Jahren wurde sie von der Vielseitigkeit des juristischen Feldes angezogen, weshalb sie sich von ihrem angestrebten Wunschstudium der Medizin schließlich verabschiedete. Zur Restrukturierungsberatung kam sie allerdings wie die „Jungfrau zum Kind“, so Bea-Pulverich. Heute sei ihre Arbeit für sie eine Art Lebensphilosophie. „Aus jeder Krise kann man etwas lernen. Souveränität und Gelassenheit, mit der eine Krisensituation gemeistert wird, trägt nach meiner Erfahrung regelmäßig zum Erfolg des Falles bei“, so die Juristin. Als ehemalige Schach-Schulmeisterin bringt sie vor allem strategisches Denken in ihre Arbeit ein. „Das strategische Denken in Szenarien beim Schachspielen hilft mir heute noch, die Zusammenhänge zu analysieren und zu entschieden, ob wir nach links oder rechts gehen, und welche Möglichkeiten in der jeweiligen Richtung sich positiv auf das Unternehmen auswirken.“ Erhebliche Zahlungen in der Notgeschäftsführung Dieses Talent stellte sie etwa bei ihrem schwierigsten Fall unter Beweis, der zwar schon etwas länger zurückliegt, sie aber maßgeblich in ihrer Arbeit geprägt hat: Bei einem angeschlagenen Stromhandelsunternehmen mit einem Milliardenumsatz lief parallel zu den Verhandlungen mit den Banken ein internationaler Investorenprozess. Aufgrund der eingetretenen Insolvenzreife musste das Unternehmen, beraten von Bea, die sogenannte Notgeschäftsführung einleiten. „Es mussten zu diesem sehr haftungsrelevanten Zeitpunkt erhebliche Zahlungen weiter geleistet werden, sonst wäre die Unternehmensgruppe als Ganzes sofort zusammengebrochen. Das waren teilweise dreistellige Millionenbeträge, die noch kurz vor dem Insolvenzantrag freigegeben werden mussten“, so Bea. Die extrem hohen monatlichen Ein- und Auszahlungen waren dem Geschäftsmodell des Unternehmens geschuldet, was die Beratung nicht einfacher machte, zumal die Investorenverhandlungen weiterliefen. „Das Adrenalin kitzelt permanent in diesem Geschäft.“ Sylwia Maria Bea-Pulverich, Norton Rose Fulbright „Die Entscheidung, ob 150 Millionen Euro während der Notgeschäftsführung gezahlt werden dürfen oder nicht, könnte jeweils das Todesurteil für das Unternehmen oder im Falle einer Falschentscheidung für den Berater bedeuten. Als alleinige Entscheidungsträgerin auf Beraterseite übernahm ich damals vollständig das Risiko für das Management“. Diese Dynamik ist aber dem Restrukturierungsgeschäft immanent. „Das Adrenalin kitzelt permanent in diesem Geschäft“, beschreibt die Juristin diesen Moment. In letzter Minute war die Investorenlösung gescheitert und das Unternehmen musste in die Insolvenz. Doch in den anschließenden drei Wochen ist es mit Unterstützung eines sehr fähigen Insolvenzverwalterteams an den bisherigen Kaufinteressenten aus der Insolvenz verkauft worden, was äußerst schnell war und zu einer sehr befriedigenden Lösung für die Gläubiger geführt hat. „Das wäre ohne eine gute Vorbereitung in einer derart kurzen Zeit und vor allem ohne die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes nicht möglich gewesen“, so Bea-Pulverich. Alles zum Thema Deutschlands Top-Restrukturierer Notleidende Firmen, hitzige Gläubiger, hoffnungsvolle Eigentümer: Dort wo es brennt, kommen sie zum Löscheinsatz. Sie retten Unternehmen und transformieren sie. In unserer neuen exklusiven FINANCE+ Serie küren wir Deutschlands Top-Restrukturierer – die Storys hinter den Gestaltern & Gestalterinnen. Mehr lesen Der Fall steht auch dafür, was die Sanierungsexpertin an ihrer Arbeit zu schätzen weiß: Es sei kein Beruf für Einzelgänger, sondern Teamwork par excellence – das richtige Team für den richtigen Fall zu sein, sei entscheidend. Sylwia Maria Bea-Pulverich bleibt in Bewegung Derzeit ist die Restrukturiererin viel gefragt in den Branchen Automotive und Immobilien. Zu ihren Mandanten zählen sowohl Unternehmen, Investoren, als auch Banken und Anleihegläubiger. Sie berät aktuell sowohl in akuten Fällen im Vorfeld der Eigenverwaltung und Starug-Verfahren als auch in längerfristigen Mandaten zu finanzieller Restrukturierung, meist im internationalen Kontext. Mit einer beeindruckenden Bilanz in der Restrukturierungswelt steht Sylwia-Maria Bea-Pulverich dennoch nicht still: Als Vorstandsmitglied bei Distressed Ladies plant sie weiterhin die strategische Entwicklung des Netzwerks. Und als Partnerin von Norton Rose Fulbright ist ihr Ziel, die Restrukturierungs- und Insolvenzpraxis in Deutschland weiter zu vergrößern und international weiter zu wachsen. Schachspielen hebt sie sich für ihren Ruhestand auf.

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