Unicredit-CEO Andrea Orcel ist nach seinem Commerzbank-Coup von den ablehnenden Reaktionen aus Deutschland überrascht. „In den letzten zwei bis drei Jahren haben wir der deutschen Regierung und einer Reihe von anderen Beteiligten wiederholt unser Interesse an der Commerzbank signalisiert“, betont Orcel in einem aktuellen Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Auch beim Versteigerungsprozess der Finanzagentur sei man nicht unerwünscht gewesen.
Seit sich seine Unicredit in der vergangenen Woche darüber ein größeres Aktienpaket aus dem Portfolio des Bundes an der Commerzbank gesichert hat und nun mit 9 Prozent deren zweitgrößter Aktionär ist, ist die Aufregung groß. „Im Moment sind wir nur ein Finanzinvestor bei der Commerzbank. Wir könnten die Beteiligung auch wieder verkaufen und einen bedeutenden Gewinn machen, denn der Aktienkurs der Commerzbank ist schön gestiegen“, versucht Orcel zwar die Gemüter zu beruhigen.
Doch trotz des Beteuerns verschiedener Optionen bleibt es offensichtlich sein bevorzugtes Szenario, die Anteile an der Commerzbank über die aktuellen 9 Prozent zu erhöhen – bis hin zu einer möglichen Übernahme und Integration des deutschen Instituts in seine Unicredit.
Orcel betont Vorteile einer Übernahme der Commerzbank
Entsprechende Vorbereitungen dazu laufen bereits. Die italienische Großbank hat angekündigt, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Genehmigung beantragen zu wollen, um ihr Commerzbank-Aktienpaket bei Bedarf über die Schwelle von 10 Prozent hinaus ausbauen zu dürfen. Laut unbestätigten Medienberichten soll zeitnah ein entsprechender Antrag eingereicht werden, bei dem der Anteil mit bis zu 30 Prozent beziffert ist.
Deshalb wird Orcel nicht müde, die Vorteile, die er bei einer Fusion von Commerzbank und Unicredit sieht, zu betonen: „Deutschland braucht mehr Wettbewerb im Bankensektor. Eine zweite starke und profitable Bank könnte dabei helfen“, zitiert ihn die FAZ. Im Verbund mit Unicredit und deren deutscher Tochter Hypovereinsbank (HVB) stünde der Commerzbank mehr Kapital zur Verfügung, was sich wiederum positiv auf das Produktangebot auswirken würde, etwa im Kreditgeschäft oder bei Kapitalfinanzierungen für Unternehmen.
Kreditentscheidungen treffen laut Orcel ohnehin die Ländergesellschaften selbst, nicht Mailand. „Aus all diesen Gründen erhielten wir eine relativ positive Reaktion aus der Unternehmenswelt, besonders aus dem Mittelstand“, berichtet Orcel.
Unicredit-Chef Orcel: Deutschland hat viel Gewicht
Auch Bedenken, dass die Commerzbank im Falle einer Übernahme Entscheidungsbefugnisse und Kompetenzen an Mailand abgeben muss und dadurch der deutsche Bankensektor insgesamt geschwächt wird, versucht Orcel aus dem Weg zu räumen. Er betont ein „föderales Modell“, bei dem Deutschland schon heute viel Gewicht habe: „Die HVB ist innerhalb unserer Gruppe eine der unabhängigsten und einflussreichsten Banken. Das wäre auch für die Commerzbank der Fall, wenn wir einen Deal mit ihnen machen. Dann wäre Deutschland ungefähr so groß wie Italien, das heute unser größter Markt ist.“
Die Unicredit hatte die deutsche Hypovereinsbank (HVB) 2005 übernommen. Seitdem pflegt sie über ihre Tochter traditionell ein enges Verhältnis zum deutschen Mittelstand – ähnlich wie die Commerzbank.
Lena Scherer ist Redakteurin bei FINANCE. Sie hat Publizistik, Anglistik und Komparatistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz studiert und nebenbei für verschiedene Redaktionen gearbeitet. Bevor sie zu FINANCE kam, war sie mehr als acht Jahre lang beim Branchen-Fachdienst buchreport aktiv, zuletzt als Co-Chefredakteurin. Dort hat sie unter anderem Marktanalysen vorgenommen sowie die Bereiche Fachinformation, Recht/Wirtschaft/Steuern und Digitales betreut.
