Hätte Deloitte die Bafin-Kritik bei Mutares antizipieren müssen?

Für den Finanzinvestor Mutares waren die vergangenen Monate turbulent und haben immer wieder neue Fragen und Kritikpunkte zur Geschäftspraxis und Bilanzierung der Münchner aufgeworfen. Ende Juli hat sich die Bafin eingeschaltet und eine Prüfung des Jahresabschlusses 2023 eingeleitet. Damit weitet sich die Kritik an Mutares auch auf den Wirtschaftsprüfer Deloitte aus: Nicht nur, weil es das zweite Mal binnen eines Jahres ist, dass eine Bilanz der Holding Aufmerksamkeit erregt, sondern auch, weil mittlerweile die Apas Verfahren gegen Deloitte eingeleitet hat. Bafin vermutet Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften Doch eins nach dem anderen. Wo genau sieht die Bafin Anlass für eine Bilanzprüfung? Die Aufsicht gibt an, dass ihr konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Rechnungslegungsvorschriften vorliegen. Und die Frage, die sich stellt, ist nicht die, ob Mutares mit den Kritikpunkten der Bafin d‘accord geht, sondern ob diese nicht durch den Abschlussprüfer Deloitte hätten erkannt und antizipiert werden müssen. Ein Kritikpunkt liegt in den Angaben zur Restlaufzeit von Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen. Laut Jahresabschluss hatten sämtliche dieser Forderungen eine Restlaufzeit von maximal einem Jahr. Das scheint nach Vermutung der Bafin nicht korrekt zu sein und hätte anders ausgewiesen werden müssen – so, dass klar wird, wie viel vom gesamten Buchwert innerhalb eines Jahres und wie viel nach einem Jahr fällig werden. Diese Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen haben im Jahresabschluss rund 330.000 Euro ausgemacht und damit mehr als die Hälfte der Bilanzsumme von rund 562.000 Euro. „Die Angabe über die Restlaufzeiten ist daher für Investoren sehr wichtig, weil dadurch klargestellt wird, wann mit den Liquiditätszuflüssen gerechnet werden kann,“ ordnet Bilanzexpertin und Vertretungsprofessorin an der DHBW Lörrach, Carola Rinker, die Bafin-Kritik ein. Denn Forderungen dieser Art, wie zum Beispiel offene Rechnungen an die Portfoliofirmen, werden im Umlaufvermögen bilanziert – eine äußerst wichtige Kennzahl für Mutares. Das Umlaufvermögen hat wesentlichen Einfluss auf die Liquidität und die operativen Spielräume des Unternehmens. Es umfasst alle Vermögenswerte, die innerhalb eines Jahres in liquide Mittel umgewandelt oder verbraucht werden sollen. „Werden langfristige Kredite an verbundene Unternehmen vergeben“, so die Expertin weiter, „werden diese unter den Ausleihungen, also als Bestandteil des Anlagevermögens, ausgewiesen.“ Bei Mutares entfielen 2023 von den insgesamt 402,1 Millionen Euro an Umlaufvermögen 328,6 Millionen auf genau solche Forderungen gegen verbundene Unternehmen. Formulierungen über mögliche längere Zahlungsfristen hätten sich nur auf Unsicherheiten bei Restrukturierungsprozessen einzelner Portfoliounternehmen bezogen, erklärte Mutares. Nach der Bafin-Rüge konkretisierte Mutares im folgenden Geschäftsbericht 2024, dass 2023 Darlehen von in Summe rund 203 Millionen Euro – also deutlich mehr als die Hälfte der Forderungen gegen verbundene Unternehmen – nicht bis zum Abschlussstichtag des Folgejahres vereinnahmt wurden. Deloitte prüfte vor allem Beteiligungserträge Ein weiterer Prüfschwerpunkt von Deloitte lag laut Bestätigungsvermerk auf den Beteiligungserträgen, das heißt, auf einer expliziten Prüfung der komplexen Bedingungen, unter denen Beteiligungserträge vereinnahmt werden und darauf, ob sie korrekt und gemäß den rechtlichen Vorgaben verbucht wurden. Beteiligungserträge ergeben sich aus der Vereinnahmung aus den Anteilen, wie etwa Dividenden. Hier gehe es insbesondere um die Prüfung der zeitgleichen Gewinnvereinnahmung, zum Beispiel bei Abführungsverträgen, kommentiert ein weiterer Bilanzexperte gegenüber FINANCE, der anonym bleiben möchte. Die Restlaufzeiten bei Forderungen, so der Experte, hätten damit nicht unbedingt etwas zu tun. Mutares: Investoren kennen „Unsicherheiten“ des Geschäfts Ein weiterer Punkt, der die Bafin zu ihrer Prüfung veranlasst, sind die Angaben zur voraussichtlichen Entwicklung im zusammengefassten Lagebericht. Diese seien möglicherweise unvollständig. Hier müsse laut Bafin eine Beurteilung der voraussichtlichen Entwicklung der wirtschaftlichen Lage von Mutares aufgeführt sein. Mutares selbst erklärt die Kritik der Aufsicht so, dass sich die Prognosen im Lagebericht ausschließlich auf Ertragskennzahlen beziehen und Aussagen zur Vermögens- und Finanzlage fehlten. Nach Meinung des Finanzinvestors wurden jedoch die wesentlichen finanziellen Leistungsindikatoren Umsatzerlöse, Ebitda, adjusted Ebitda für den Konzern sowie der handelsrechtliche Jahresüberschuss der Gesellschaft vollständig prognostiziert. Dies sei ausreichend, dass sich Kapitalgeber von Mutares, zusammen mit dem Risikobericht, in dem die naturgemäß „erheblichen Unsicherheiten“ des Geschäftsmodells des Turnaround-Investors aufgeführt werden, ein adäquates Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erhalten. Alles zum Thema Distressed M&A Der Markt für Distressed-M&A-Deals boomt. Die wichtigsten Besonderheiten bei den Transaktionen und aktuelle Fälle gibt es hier im Überblick. Mehr lesen Laut Bestätigungsvermerk lag ein weiterer prüfungsrelevanter Punkt auf Gewinnen aus der internen Veräußerung von Beteiligungen. Konkrete Prüfungen zu Angaben zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage und Entwicklung von Mutares waren demnach nicht Teil der Prüfschwerpunkte von Deloitte. Insgesamt betont Deloitte im Bestätigungsvermerk seine „kritische Grundhaltung“. Der Prüfer beschreibt, dass er die zukunftsorientierten Angaben im Lagebericht auf Plausibilität prüft, also Annahmen nachverfolgt, die das Management diesen Angaben zugrunde legt und überprüft, ob die Ableitung der Prognosen aus den Annahmen sachgerecht ist. Mutares-Abschluss ist Grenzfall für Prüfer und Bafin Allerdings weist Deloitte klar darauf hin, dass kein eigenes Prüfungsurteil zu den Prognosen oder den Annahmen abgegeben wird, und hebt ein unvermeidbares Risiko hervor, nach dem künftige Entwicklungen deutlich von den Prognosen abweichen können. Deloitte hat also formale Plausibilitäten und Ableitungslogiken der Prognosen geprüft, während die Bafin die inhaltliche Substanz und Transparenz dieser Aussagen kritisiert. Hätte Deloitte erkennen können, dass die Prognosen von Mutares sehr ambitioniert wirken und deshalb ein besonderes Risiko bergen? Beziehungsweise muss ein Abschlussprüfer darüber überhaupt urteilen? Prognosen unterliegen nicht der Prüfung, erklärt auch der Bilanzexperte im FINANCE-Gespräch. „Allerdings muss der Prüfer darauf hinweisen, wenn diese im Widerspruch zum Abschluss stehen – beziehungsweise die Prognosen auf unrealistischen Annahmen beruhen. Dies bei der Bedeutung und den Unsicherheiten nicht zum Prüfungsschwerpunkt zu machen, kann zumindest kritisch hinterfragt werden.“ Die Frage ist daher, ob Deloitte die Grenzen der eigenen Prüfungsarbeit zu eng gezogen hat. Angesichts der bekannten Kritik der Bafin an aggressiven Prognosen in Lageberichten anderer Unternehmen hätte Deloitte zumindest ein stärkeres Augenmerk darauflegen können, wie „realistisch“ die Annahmen wirken. 2024er Bilanz von Mutares sorgte für Clinch mit Deloitte Es ist nicht das erste Mal, dass die Arbeit von Deloitte bei Mutares für Aufsehen sorgte. Im April dieses Jahres meldete der Turnaround-Investor, dass sich die Veröffentlichung des testierten Jahres- und Konzernabschlusses für das Geschäftsjahr 2024 unplanmäßig verschieben würde, da Deloitte nicht rechtzeitig fertig wurde. Hintergrund war ein Clinch mit dem Abschlussprüfer über die Konsolidierung des insolventen Portfoliounternehmens Serneke Sverige. Nach langem Ringen hatte Deloitte laut Finanzvorstand Mark Friedrich der Meinung von Mutares zugestimmt, dass die Beteiligung nicht konsolidiert werden müsse, da Mutares keine Kontrolle mehr über Serneke hatte. Mittlerweile hat der Fall Mutares/Deloitte auch die Apas auf den Plan gerufen. Wie die Abschlussprüferaufsichtsstelle auf FINANCE-Nachfrage einräumt, hat sie berufsaufsichtliche Verfahren gegen den Wirtschaftsprüfer eingeleitet. Mutares sucht neuen Abschlussprüfer für 2026 Mutares hat mittlerweile eine Konsequenz gezogen: Für 2026 schreiben die Münchener die Abschlussprüfung für die 2026er Bilanz neu aus. Für die unterjährigen Berichte 2026 wurde das Big-Four-Haus auf der Hauptversammlung im Frühjahr noch erneut berufen. FINANCE gegenüber erklärte Mutares, dass vermehrt Stimmen von Investoren laut wurden, die eine frühzeitige Ausschreibung der Abschlussprüfung forderten. Deloitte prüft durchgängig seit 2011 den Mutares-Abschluss, gilt aber erst seit 2021 als „Public Interest Entities“, für die die Rotationspflicht greift. Ein verpflichtender Wechsel wäre also erst mit Ablauf des Geschäftsjahres 2031 vorgeschrieben. Mehr zum Thema Deloitte verliert voraussichtlich Prüfmandat bei Mutares Der Münchener Turnaround-Investor Mutares schreibt die Abschlussprüfung vorzeitig aus. Welche Rolle spielt die Bilanzkontrolle der Bafin für die ungewöhnliche Entscheidung? Mehr lesen Mutares hält an Deal-Offensive fest Mutares macht unterdessen „business as usual“ – sprich, Distressed Assets aufkaufen, transformieren und gewinnbringend veräußern. Und das mit einer beachtlichen Geschwindigkeit. Allein seit dem Bekanntwerden der noch laufenden Bafin-Prüfung im Juli haben die Münchener eine ganze Reihe von Akquisitionen eingefädelt. Seit der Shortseller-Attacke vor gut einem Jahr sind es knapp zehn angekündigte Zukäufe. Die Aktionäre bleiben dennoch skeptisch. Seit Jahresbeginn liegt die Aktie nur 2,6 Prozent im Plus, hinkt damit deutlich dem Index SDax (+20 Prozent) hinterher. Und seit der Jahresmitte, als die Meldung über die Bafin-Prüfung aufkam, hat die Mutares-Aktie sogar gut 20 Prozent an Wert verloren. Es dürfen aber nicht nur die Bilanz-Querelen sein, die Zurückhaltung bei den Aktionären der Münchener auslösen, sondern die M&A-Strategie als solche. Einkaufsseitig prescht der Finanzinvestor zwar vor, nur mit dem Zukauf von maroden Firmen allein lässt sich als Turnaround-Investor kein Geld verdienen. Und für Mutares gilt es noch die ausgerufene Prognose von 130 Millionen bis 160 Millionen Euro Jahresgewinn zu erreichen. Zum Halbjahr kam die Beteiligungsgesellschaft auf rund 70 Millionen Euro, hauptsächlich zu verdanken dem IPO von Steyr Motors. Seither wurden nur deutlich kleinere Exits wie der Verkauf von Teilen von Buderus Edelstahl und Clecim verkündet.

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