Wie unabhängig kann ein Wirtschaftsprüfer sein, wenn er das Unternehmen, das er prüft, gleichzeitig berät? In Zeiten, in denen immer mehr WP-Häuser in die Unternehmensberatung drängen, stellt sich diese Frage mehr denn je.
Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass jede der großen Big-Four-Beratungen KPMG, PwC, Deloitte und Ernst & Young (EY) in den vergangenen Jahren mehrere Beratungshäuser übernommen hat. Kein Wunder angesichts der Tatsache, dass in der Beratung wesentlich mehr zu verdienen ist als in der Prüfung. Doch diese Kombination von Beratung und Prüfung birgt ein Risiko: Wenn das Beratungshonorar sehr hoch ist, könnte der Prüfer in einen Interessenskonflikt geraten. Aus Angst, das lukrative Beratungsmandat zu verlieren, drückt er dann bei der Prüfung vielleicht ein Auge zu.
Neue Honorar-Deckelung soll Unabhängigkeit des Prüfers sichern
Um das zu vermeiden, hat die EU 2016 eine neue Regelung für kapitalmarktorientierte Unternehmen eingeführt: „Das Honorar, das das Unternehmen dem Prüfer für Beratungsleistungen zahlt, darf nicht höher sein als 70 Prozent des durchschnittlichen Honorars für die Abschlussprüfung von drei aufeinanderfolgenden Jahren“, erklärt Bernd Keller, Partner bei Rödl & Partner. Diese Gebührenobergrenze gilt ab dem Geschäftsjahr 2017 und wird erstmals aus den Abschlussprüfungshonoraren der Jahre 2017 bis 2019 berechnet, um dann im Geschäftsjahr 2020 zur Anwendung zu kommen.
Für einige Unternehmen könnte es dann eng werden: Wie ein Blick in die Geschäftsberichte für das Jahr 2016 zeigt, bezieht eine Vielzahl von Unternehmen auffallend viele Beratungsdienstleistungen von den Abschlussprüfern. Interessant sind dabei vor allem Posten, die häufig Bezeichnungen wie „prüfungsnahe Leistungen“ und „sonstige Leistungen“ haben.
Konzerne müssen Berater wechseln oder Beratung reduzieren
Wie die Leistungen der Prüfer diesen Posten zugeordnet werden, ist nicht transparent: Im Posten „prüfungsnahe Dienstleistungen“ (oder unter ähnlichen Bezeichnungen) finden sich einerseits häufig Honorare für die Prüfung von Zwischenberichten wie Quartals- und Halbjahresabschlüssen. Solche Leistungen sind unkritisch und gefährden die Unabhängigkeit des Prüfers nicht.
Andererseits verbergen sich dahinter oft Honorare für andere Leistungen, wie die Erstellung von Gutachten, die Beratung zu Bilanzierungsstandards oder die Prüfung von internen Kontrollsystemen, bei denen nicht eindeutig ist, ob sie noch zu den Standardaufgaben eines Prüfers zählen oder bereits Beratungsleistungen sind.
Konzerne, die hohe Beratungshonorare zahlen, haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder holen sie sich einen anderen Berater ins Haus, oder sie sorgen dafür, dass das Beratungshonorar für den Abschlussprüfer sinkt, um die gesetzliche Grenze nicht zu überschreiten.
Commerzbank: Fast Hälfte des PwC-Honorars für „sonstige Leistungen“
Eines dieser Unternehmen ist die Commerzbank. Die Bank hat ihrem Wirtschaftsprüfer PwC für das Geschäftsjahr 2016 für alle erbrachten Dienstleistungen ein Honorar in Höhe von 46 Millionen Euro bezahlt. Allerdings wurden nur 16,5 Millionen Euro, und damit nur knapp ein Drittel, für die eigentliche Abschlussprüfung gezahlt. 7,5 Millionen Euro zahlte die Bank für „andere Bestätigungsleistungen“, zu denen unter anderem die Durchsicht von Quartalsabschlüssen und die Erteilung von Comfort Lettern gehört.
Der Mammutanteil geht allerdings an den Posten „sonstige Leistungen“, der mit 21,6 Millionen Euro beziffert wird und im Vergleich zum Vorjahr, wo er mit 14,7 Millionen Euro ebenfalls hoch war, noch einmal deutlich angestiegen ist. Die Bank wollte auf Anfrage nicht kommentieren, was genau diese Leistungen beinhalten.
Deutsche Bank: IFRS-9-Beratung treibt Honorar für KPMG
Gut denkbar ist allerdings, dass darunter Rechtsberatung, die im Rahmen der Prozesse in den vergangenen Jahren notwendig war, fallen könnte. Das wären Leistungen, die unter dem Aspekt der Unabhängigkeit kritisch sind. Da die Commerzbank aber bereits im kommenden Jahr mit EY einen neuen Prüfer haben wird, muss sich die Bank um die neue Cap-Regelung zunächst keine Gedanken machen. Der Grund für den Wechsel ist die verpflichtende Prüferrotation, laut der die Unternehmen ihr Abschlussprüfungsmandat nach spätestens zehn Jahren neu ausschreiben müssen. PwC könnte der Commerzbank dann als reiner Berater erhalten bleiben.
Auch bei der Deutschen Bank entfiel ein großer Teil des Honorars 2016 auf Beratungsleistungen. Das Geldinstitut zahlte seinem Prüfer KPMG insgesamt 82 Millionen Euro, davon entfielen 49 Millionen Euro auf die Prüfung. 26 Millionen Euro zahlte die Bank für prüfungsnahe Dienstleistungen, etwa die Prüfung von Zwischenberichten, die Erstellung von Gutachten sowie Beratung zur Einführung des neuen Bilanzierungsstandards IFRS 9, wie die Bank auf Anfrage erklärte. Für die Steuerberatung zahlte die Bank 6 Millionen Euro, 1 weitere Million für sonstige Leistungen.
Zu viel Beratung durch EY: Aktionäre strafen Dürr ab
Für die Unternehmen sind die hohen Beratungshonorare nicht nur wegen der 70-Prozent-Cap-Regelung ein Problem. Zunehmend beäugen auch die Aktionäre die Doppelrolle der WP-Häuser skeptisch und strafen den Wirtschaftsprüfer ab, wenn sie den Eindruck haben, dass die Unabhängigkeit gefährdet sein könnte. Das sieht man beim MDax-Konzern Dürr. Der Maschinen- und Anlagenbauer zahlte seinem Prüfer EY insgesamt 1,4 Millionen Euro, wovon knapp 400.000 Euro auf die Steuerberatung und knapp 530.000 Euro auf „sonstige Leistungen“ fielen.
Das missfiel einigen Aktionären: Die Zustimmungsquote auf der Hauptversammlung für die Wiederwahl des Abschlussprüfers, die bei den meisten Unternehmen in der Regel bei fast 100 Prozent liegt, lag dieses Mal nur bei 90 Prozent. Auf Anfrage erkläre Dürr: „Einige institutionelle Investoren monieren, dass der Wirtschaftsprüfer neben der Abschlussprüfung auch weitere prüfungsnahe Dienstleistungen für uns erbringt.“
Das habe aber den Vorteil, dass der Wirtschaftsprüfer das Unternehmen gut kennt, was für die Beratung hilfreich sei. Ein weiterer Punkt, der laut Dürr von manchen Aktionären skeptisch gesehen wurde: EY übt das Mandat mit rund 14 Jahren schon relativ lange aus. Laut gesetzlichen Vorgaben muss Dürr allerdings erst 2022 wechseln.
Nordex mit auffälligem Prüfungs-/Beratungs-Verhältnis
Auch bei Nordex waren die Aktionäre mit dem Abschlussprüfer unzufrieden und wählten PwC nur mit 80 Prozent wieder. Hier haben sich die Aktionäre offenbar ebenfalls die Frage gestellt, wie unabhängig ein Prüfer sein kann, der sogar insgesamt mehr für die Beratung als für die eigentliche Prüfung erhält. „Insbesondere die Schutzvereinigungen von Privataktionären bemängeln es, wenn der Abschlussprüfer durch den Emittenten noch mit weiteren Mandaten betraut ist“, erklärt Nordex die niedrige Zustimmungsquote auf der Hauptversammlung gegenüber FINANCE.
Bei dem TecDax-Konzern ist das Verhältnis von Beratung zu Prüfung besonders auffällig: Von den rund 3,2 Millionen Euro Honorar wurde nur etwas mehr als eine halbe Million für die Abschlussprüfung gezahlt. 219.000 Euro entfielen auf die Steuerberatung und überraschende 2,5 Millionen Euro auf „sonstige Leistungen“ (Vorjahr: 381.000 Euro). Nordex hat das Mandat ab 2018 aber bereits ausgeschrieben, wie das Unternehmen auf Anfrage betont.
Viele United-Internet-Aktionäre sind unzufrieden mit EY
Ein ähnliches Szenario sieht man bei United Internet, wo nur 76 Prozent der Aktionäre mit der Wiederwahl des Prüfers EY einverstanden waren. Einer der Gründe auch hier: United Internet hatte in den vergangenen Jahren hohe Beratungsgebühren im Verhältnis zu den Prüfungsgebühren, wie der TecDax-Konzern auf Anfrage erklärt.
Das Unternehmen hatte 2016 rund 6,3 Millionen Euro für alle Leistungen von EY gezahlt, davon entfielen mit 2,9 Millionen Euro aber nur weniger als die Hälfte auf Gebühren für die Prüfung. 2,3 Millionen Euro zahlte das Unternehmen für Steuerberatung und 1,1 Millionen Euro für „sonstige Leistungen“. Die Einführung des neuen Bilanzierungsstandards IFRS 15, Betriebsprüfungen und große Akquisitionen seien der Grund dafür gewesen, dass die Honorare für Beratungsleistungen so hoch waren, erklärt der Konzern.
Nur 70 Prozent der Leoni-Aktionäre wählten EY wieder
Noch stärker von den Aktionären abgestraft wurde Leoni. Die Investoren wählten den Prüfer EY mit nur 75 Prozent wieder. Auch hier hat der Wirtschaftsprüfer mehr für die Beratung als für die Prüfung erhalten. Der MDax-Konzern zahlte EY insgesamt 2,8 Millionen Euro. Davon entfielen 829.000 Euro auf die Prüfung, während 921.000 Euro für die Steuerberatung und 762.000 Euro für „sonstige Leistungen“ gezahlt wurden.
Allerdings handele es sich bei diesen Honoraren für Nichtprüfungsleistungen „ganz überwiegend um einmalige Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit Compliance-Sachverhalten“, wie Leoni erklärt. Daher gehe man davon aus, dass sich in diesem Geschäftsjahr bereits ein anderes Bild zeigen werde.
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Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.