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Nach 33 Jahren am Ziel: CFO Joe Kaeser vor Sprung an die Siemens-Spitze

Siemens-CFO Joe Kaeser wird aller Wahrscheinlichkeit nach diese Woche an die Unternehmensspitze rücken.
Siemens

Kaum jemand dürfte Siemens so kennen wie Joe Kaeser. Kaum jemand im gesamten Konzern kann ihm das Wasser reichen, was den Überblick über das komplexe Konzerngerüst hinweg angeht. Kaeser hatte nie einen anderen Arbeitgeber als die Münchener Industrieikone.

Mit seinem offenbar unmittelbar bevorstehenden Sprung an die Führungsspitze endet sein langer Weg durch die Siemens-Instanzen ganz oben. Direkt nach dem FH-Studium in Regensburg, nahe der niederbayrischen Heimat, kam er zu Siemens Semiconductors. Das Halbleiterprojekt galt damals als  Zukunftsprojekt von Siemens. Damals noch aus der „Froschperspektive“ des einfachen Mitarbeiters erlebte der junge Josef Käser (so der Geburtsname) ein Mega-Abenteuer und strenge Arbeitssitten. 1988 ging er als kaufmännischer Projektleiter nach Malaysia, anschließend zu einem Restrukturierungsprojekt bei Optohalbleitern bei Osram, im Jahr 1995 als Finanzchef von Siemens Components in die USA.

1999 holte ihn der damalige Siemens-CFO Heinz-Joachim Neubürger aus den USA zurück – er suchte Unterstützung von international erfahrenen Mitarbeitern zur Vorbereitung des Börsengangs an der New Yorker Börse. Dabei war Kaesers USA-Erfahrung hilfreich, das  „ä“ im Nachnamen aber denkbar hinderlich. So wurde aus Josef Käser Joe Kaeser.

Unter dem Siemens-Chef Klaus Kleinfeld folgen dann schnelle Karrieresprünge: Zunächst übergibt ihm der damalige CEO  2001 operative Verantwortung, Kaeser wird Bereichsvorstand Information und Communication Mobile, 2004 wird Kaeser Chief Strategy Officer bei Siemens, bevor er 2006 den gestrauchelten Neubürger als Siemens‘ Herr der Zahlen ablöst. Neubürger ist einer der Hauptbeschuldigten der Schmiergeldaffäre.

CFO Joe Kaeser: Loyalität und Selbstabgrenzung

Als einer der ganz wenigen Top-Führungskräfte überlebt Kaeser die Compliance-Affäre um Schmiergeldzahlungen beruflich unbeschadet, obwohl besonders der Kommunikationsbereich davon betroffen war, den Kaeser zuvor geleitet hatte. Anfang 2007 durch das Wall Street Journal aufgebrachte Gerüchte über eine angebliche Verstrickung Kaesers dementierte der Konzern rigoros als „verleumderisch“, an Kaeser blieb nichts hängen.

Auch Kaesers Zeugenaussagen 2008 im Schmiergeldprozess vor dem Münchner Landgericht lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Mir war das Thema, Herr Vorsitzender, grundsätzlich völlig fremd", sagt Kaeser über das Schmiergeldsystem. Er sei bestürzt gewesen, als er davon gehört habe: „Ich hätte solche schwarzen Kassen niemals geduldet.“ Korruption sei “ein Thema, das in meinen Werten nicht vorkommt“. Seinen Vorgängern wirft er „Versagen“ vor, er selbst habe von dem umfassenden Bestechungssystem nichts mitbekommen. Sein Verantwortungsbereich sei so groß gewesen, argumentierte Kaeser, dass er über einzelne Zahlungsvorgänge oder den Kostenblock der zum Teil mehrere Millionen schweren Provisionszahlungen nicht im Bilde gewesen sei. Kaeser gelingt es schließlich, nie in den Fokus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu geraten.

Für Kaeser ist das eine riesige Erleichterung. Zwar gelingt ihm nicht alles, seine ersten Jahre als CFO verlaufen holprig, weil der Kapitalmarkt seine kryptischen Botschaften manches Mal missversteht. Doch die Richtung stimmt. Zunehmend erkennt Kaeser sein rhetorisches Talent und sein Geschick in der Selbstvermarktung. Siemens sei von einem bereichsdominierten Konzern mit schwacher Zentralfunktion zu einem deutlich stärker von der Holding beherrschten Konzern geworden: „Siemens zuerst, dann seine Teile“, formuliert Joe Kaeser. Spätestens jetzt wird auch seinen Vorstandskollegen und den Aufsichtsräten sein Machtanspruch deutlich. Aus dem bayerischen Konzerneigengewächs Josef Käser ist tatsächlich ein Top-Manager mit Ellenbogen und Jagdinstinkt geworden, wie man sie in den USA häufiger antrifft als in Europa. 

Hervorragender Kommunikator

Und die Märkte beginnen ihm zu vertrauen und ihm Fehlschläge zu verzeihen. Kaeser bewegt sich in der Öffentlichkeit zunehmend geschmeidig  und sicher. Neue Performance-Kennzahlen werden definiert, Capital Market Days zur prophylaktischen Erläuterung des komplexen Zahlenwerks in der Berichtssaison eingeführt. Doch Kaeser hat längst nicht mehr nur die Finanzbrille auf. Er behält den Blick für das Gesamte, ordnet immer auch das Unternehmen als Corporate Citizen in die Gesamtheit der Belange ein.

2010 und 2011 legt er Rekordzahlen vor. Danach reißt die Erfolgsspur ab, Fehlschläge und Gewinnwarnungen häufen sich. Doch die belasten fast ausnahmslos den glücklosen Peter Löscher. Joe Kaeser gelingt geschickt die Balance zwischen pflichtschuldiger Loyalität zu seinem CEO und diskreter, doch deutlich vernehmbarer Abgrenzung. „Im Übrigen ergänzen sich Licht und Schatten“, sagt er in dieser Zeit über sein Verhältnis zu Löscher. So hält er das von Löscher ausgerufene 100-Milliarden-Euro-Umsatz-Ziel früh für einen Fehler. Auch betont er regelmäßig die relative Underperformance von Siemens im Vergleich zur Branchenbenchmark ABB und GE. Die Märkte schießen sich auf  Löscher ein.

Vielleicht sah Kaeser damals schon seine Chance kommen. Ende 2012 überraschte er die versammelte Medienöffentlichkeit mit einem neuen Außenauftritt – ohne Schnurrbart. Der stets akkurat geföhnte Kaeser zeigt seitdem noch mehr Profil. Allem Anschein nach wird der 56-Jährige dies ab dieser Woche noch deutlich häufiger tun dürfen. Die Aktienmärkte bejubeln bereits Löschers Ausscheiden . Manche Medien, Analysten und Investoren fragen aber auch zaghaft, ob Kaeser neben Finanzen auch Strategie könne – die typische Frage, der sich jeder CFO stellen muss, der auf den Chefsessel aufrückt.

Kaesers  erster Arbeitsauftrag dürfte jedoch ganz anders aussehen, als die große Strategie umzukrempeln. Er muss ordnen, neu strukturieren die Mitarbeiter wieder an Bord nehmen, die Scherben des die Mitarbeiter verunsichernden Sparprogramms Siemens 2014 aufkehren und die Ertragskraft stärken. Dafür ist ein Finanzmann wie Kaeser nicht die schlechteste Wahl.

marc-christian.ollrog[at]finance-magazin.de