FINANCE: Herr Dr. Otte, vor gut einem Jahr haben Sie sich in unserer Zeitschrift mit folgendem Satz zitieren lassen: „Unsere Zunft sollte sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zurückbesinnen. Wir sind keine Prozessoptimierer, sondern Prüfer.“ Ende Juli diesen Jahres gaben Sie bekannt, dass BDO nun groß ins Beratungsgeschäft einsteigt – zunächst in die Rechtsberatung, später dann auch in andere Bereiche wie die IT-Beratung. Was ist seit unserem Interview vor einem Jahr passiert, dass Sie nun so einen drastischen Strategieschwenk hinlegen?
Otte: In der Tat vollziehen wir mit dem Ausbau des Beratungsgeschäfts einen Strategieschwenk. Dieser kommt im Wesentlichen aus dem Markt heraus. Unsere wichtigsten Kundengruppen sind der Mittelstand, aufstrebende Kapitalmarktunternehmen sowie Familienunternehmen. Diese Kundengruppen wünschen sich verstärkt einen integrierten Ansatz, also Prüfung und Beratung aus einer Hand. Bisher war die Rechtsberatung für uns nur ein Randfeld, jetzt bieten wir unter der Marke BDO Legal einen kompletten Service an. Dabei konnten wir sehr erfolgreich jüngere, hochqualifizierte Mitarbeiter von Großkanzleien abwerben. Wie Sie richtig sagen, werden wir in weitere Beratungsbereiche einsteigen. Neben den von Ihnen genannten wird auch die Aufsichtsratsberatung und die Beratung im Bereich Public Services von Bedeutung sein.
FINANCE: Im Endeffekt kopieren Sie damit die Strategie der Big Four. Insbesondere PwC baut seinen Beratungsbereich derzeit massiv aus. Haben Sie Angst, als fünfgrößte Prüfungsgesellschaft in Deutschland den Anschluss zu verlieren, wenn Sie weiterhin vor allem auf die Prüfung setzen?
Otte: Das Wettbewerbsumfeld im Bereich der Wirtschaftsprüfung ist schon seit Jahren extrem kompetitiv. Es ist kein Geheimnis, dass Unternehmen den starken Wettbewerb ausnutzen, um die Preise für die Abschlussprüfung nach unten zu drücken.
FINANCE: So ist es halt mit Angebot und Nachfrage, könnte man da sagen. Allerdings funktioniert das Preisdumping natürlich nur, weil die Prüfer die niedrigen Preise in der Wirtschaftsprüfung über lukrative Beratungsaufträge ausgleichen. Diesen Weg will BDO jetzt also auch gehen?
Otte: Nein, das wollen wir nicht. Jede Prüfung muss sich für sich genommen rechnen! Eine Quersubventionierung werden wir verhindern. Sie müssen zwei Bereiche trennen: Einerseits die Prüfung von ganz großen Publikumsgesellschaften, Banken und Versicherungen: Hier überwiegt das öffentliche Interesse und eine unabhängige Prüfung darf nicht durch eine gleichzeitige Beratung subventioniert werden. Andererseits hat der Mittelstand zurecht ein großes Interesse an Prüfung und Beratung aus einer Hand, natürlich immer im Rahmen des gesetzlich zulässigen und ohne Quersubventionierung.
FINANCE: Wie genau wollen Sie eine Quersubventionierung verhindern?
Otte:Für BDO steht Prüfungsqualität an erster Stelle. Es gibt preisliche Grenzen, die wir nicht unterschreiten. Wir etablieren gerade weltweit neue Instrumente und Methoden um noch effizienter zu prüfen, bei unverändert hoher Prüfungsqualität. Tatsache aber ist: Der Prüfungsmarkt stagniert, der Preisdruck ist erheblich. Wir stellen uns dem Wettbewerb, so wie der deutsche Mittelstand es auch tut. Wir wollen aber eine wachsende Organisation sein und es ist ganz klar, dass man leichter in der Beratung als in der Prüfung wachsen kann.
FINANCE: An wen richtet sich ihr neues Angebot?
Otte: Zunächst einmal sprechen wir damit unsere bereits vorhandenen Mandanten an. Es handelt sich somit um eine Abrundung unseres Dienstleistungsangebots Aber natürlich geht es uns auch darum, diese Dienstleistungen Nicht-Mandanten anzubieten, gerade im Bereich der größeren Unternehmen.
FINANCE: Beratung und Prüfung aus einer Hand zu bieten, ist politisch nicht gerade en vogue. Insbesondere EU-Binnenmarktkommissiar Michel Barnier zielt auf die Trennung von Prüfung und Beratung. So sollen Interessenskonflikte verhindert werden. Sogar von der Aufspaltung der Gesellschaften in reine Prüfungs- und reine Beratungsunternehmen war die Rede. Nehmen Sie Herrn Barnier nicht ernst?
Otte: Ich finde durchaus, dass Barnier hier ursprünglich einen richtigen Weg eingeschlagen hat, seine Ziele inzwischen aber stark aufgeweicht wurden. Für mich steht heute fest: Wir werden nicht zu einem strukturellen Verbot der Erbringung von Beratungsleistungen durch Wirtschaftsprüfer kommen, reine Prüfungsfabriken wird es nicht geben, da die Diskussion gezeigt hat, dass ein Wirtschaftsprüfer auch umfassend als Berater tätig sein dürfen soll. Als Marktteilnehmer muss ich mich hierauf einstellen. Abgesehen davon zielt Barnier mit seinen Vorschlägen zur Trennung von Prüfung und Beratung auf sehr große Unternehmen, Banken und Versicherungen, die im öffentlichen Interesse stehen, und damit nicht auf unsere Kernmandantschaft. Die Unabhängigkeit im Mittelstand wird weiterhin über §319 HGB ausreichend reguliert werden: Wichtigstes Kriterium hier ist, dass ein Wirtschaftsprüfer nicht seine eigene Arbeit überprüfen darf. Dem stimme ich uneingeschränkt zu.
FINANCE: Als mittelständische Prüfungsgesellschaft war BDO ohnehin nie in Barniers Visier: Sein wichtigstes Ziel ist, das Oligopol der Big Four aufzubrechen. Dies dürfte ja sehr in Ihrem Sinn sein. Denken Sie, dass er in diesem Punkt sein Ziel erreichen wird?
Otte: Nein, das wird er nicht. Das wichtigste Tool in Barniers Grünbuch, um die Dominanz der großen Marktteilnehmer aufzubrechen, war der verpflichtende Joint Audit. Im aktuellen Kommissionsentwurf findet sich dieser nicht mehr. Es gab eine breite politische Diskussion, bei der sich herausgestellt hat, dass der Joint Audit in den einzelnen Mitgliedsstaaten politisch nur schwer durchsetzbar ist. Ohne den Joint Audit wird sich an der Dominanz der großen Marktteilnehmer nichts ändern.
FINANCE: Dafür ist aber eine externe Rotation vorgesehen. Verschiedene Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass eine externe Rotation das Oligopol eher weiter stärkt. Wie stehen Sie dazu?
Otte: Ja, das ist zu befürchten. Ich rechne mit einer weiteren Markt-Konzentration. Ist ein Unternehmen zu einem Prüferwechsel gezwungen, besteht erfahrungsgemäß die Gefahr einer Rotation nur innerhalb der Gruppe der dominanten Marktteilnehmer, anstatt auf eine mittelständische Prüfungsgesellschaft zu setzen. Hier sind Barniers Ziele in Konflikt geraten: Er wollte die Unabhängigkeit der Prüfer steigern und gleichzeitig die Marktkonzentration aufbrechen. Wie es scheint, hat an dieser Stelle das Thema Unabhängigkeit mehr Gewicht in der Diskussion.
FINANCE: Insgesamt erwarten Sie also, dass eher die Big Four von den neuen EU-Regulierungen profitieren werden. Deshalb wird BDO nun auch Prozessoptimierer?
Otte: Wenn der Markt nun einmal integrierte Dienstleister nachfragt, werden wir uns diesem Trend nicht verweigern. Beratung ist für uns ein wichtiges Wachstumsfeld: Derzeit hat die Beratung bei BDO einen Umsatzanteil von 10 Prozent, in fünf Jahren wird sie 20 bis 25 Prozent ausmachen. Im Kern aber werden wir immer Prüfer sein.
Info
Dr. Holger Otte ist Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO.