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Was Controller aus dem VW-Skandal lernen müssen

Der VW-Skandal hat mal wieder gezeigt, wie gefährlich Top-down-Vorgaben sein können, die sich die Mitarbeiter nicht zu hinterfragen trauen. Solche Vorkommnisse müssen vor allem die Controller verhindern.
jobelanger_Thinkstock_Getty Images

In meinem vorangegangenen Blogbeitrag hatte ich beschrieben, warum sich ein moderner Finance-Manager nur auf Preis-Struktur, Produkt-Mix und Prozessexzellenz fokussieren muss und sonst auf nichts – die „drei guten P’s“.  Mittlerweile hat ein einziges Ereignis aber mal wieder die unternehmerische Gestaltungsaufgabe auf dem Kopf gestellt.  Momentan schauen wir auf den Auspuff einiger Autos und fragen uns, ob es wirklich wahr sein kann, dass sich eine schlechte Managementpraxis so weit entwickeln konnte, dass dieser Mega-Skandal dabei herauskam. Sicherlich wird es doch auch bei VW Compliance-Policies gegeben haben, dazu eine stolze Unternehmensphilosophie und bestimmt auch eine strenge Plankostenrechnung.

Es scheint, als komme ich irgendwie nicht vom  Buchstaben P  los. Dies ist aber gewollt, liebe Leser, denn es geht mir darum zu verdeutlichen, dass wir hier – am Vorabend der vierten industriellen Revolution – eine wichtige Prämisse des Controllings überarbeiten müssen.  Viel zu oft wird immer noch das Pavian-Prinzip „Klappe zu, Affe tot“ von einigen Managern praktiziert, die dabei sträflich den so genannten „6P-Grundsatz“ übersehen: „Proper Planning Prevents Piss Poor Performance.“

Top-Down-Planung ist gefährlich ohne eine gute Unternehmenskultur

Das Problem – wie es sich nach der Darstellung in verschiedenen Medien übrigens auch bei VW abzeichnet: Moderne Führungskultur basiert zunehmend darauf, nur „Stretch Targets“ zu definieren und es der Organisation zu überlassen, eine Lösung zu finden. Manche Manager sind der Ansicht, dadurch die Performance des Unternehmens steigern zu können. Ein Stückweit stimmt das auch, aber irgendwann funktioniert dieser Hebel eben nicht mehr. Wenn strenge (regulatorische) Zielvorgaben für Abgaswerte sich im Spannungsfeld zwischen technischer Machbarkeit und strengen Kostenvorgaben aber nur schwer realisieren lassen, was passiert dann?
 
William Edwards Deming – der amerikanische Guru für Qualitätsmanagement – soll es einmal so auf den Punkt gebracht haben: „If management sets quantitative targets and makes people’s jobs depend on meeting them, they will likely meet the targets – even if they have to destroy the enterprise to do it.“

Das oberste Ziel einer Unternehmensplanung ist jedoch Vorbeugung. Gerade deshalb heißt es ja auch „proper planning prevents…“ In der Konsequenz heißt dies, dass in jeder Organisation eine Informationskultur einzuführen ist, in der Pannen jeder Art eine Präsenz gegeben wird – mangelnde Prozessexzellenz steht dabei an vorderster Stelle. Deshalb ist es so wichtig, großes Augenmerk auf die Kommunikation innerhalb des Unternehmens zu richten.

Der „Tone at the Top“ ist entscheidend

Moderne Risikomanagement-Literatur hat diesen Punkt aufgegriffen und stellt dabei den so genannten „Tone at the Top“ in den Fokus. Es geht um die Grundsatzfrage, inwieweit sich eine Organisation davor fürchtet, schlechte Nachrichten bottom-up zu vermitteln. Doch grundsätzlich muss es nun mal so sein, dass es in einer Organisation, die für eine Sache brennt, auch mal Rauch geben darf – insbesondere dann, wenn die Prozessexzellenz aus Sicht des Kunden dabei ist, zu scheitern. Trotzdem verhalten sich manche Führungskräfte wie Geschmacksrichter, die versuchen wollen, die Kommunikation innerhalb der Organisation formschön und respektvoll zu gestalten.  

Wer das tut, produziert allerdings nichts anderes als eine pathologische Unternehmenskultur, die beispielsweise dann zum Ausdruck kommt, wenn auf den unteren Managementebenen dieser Satz fällt: „Davon möchte die Geschäftsführung doch gar nicht erfahren.“

Im Normalfall mag dies ja seine Richtigkeit haben, denn im Prinzip wird hiermit ja nur die Kernlogik der Dezentralisierung angesprochen. Im Falle einer Panne, zum Beispiel wenn ein Performance-Ziel nicht erreichbar ist, stimmt dieser Ansatz aber nun mal gar nicht. Die Konsequenz: Ich bin überzeugt, dass die Geschäftsführungen größerer deutscher Konzerne häufiger mit einer Vermutung da sitzen, dass irgendetwas im Konzern nicht stimmen könnte. Wenn sie dann aber eine Top-down-Anfrage stellen, kommt nur noch gefilterte Information zurück. Wie lässt sich ein solches Desaster verhindern?

Controller dürfen nicht alles in feste Formen gießen

Deming hat dies einmal für Manager elegant auf dem Kopf gestellt und gibt folgenden Rat: „Don’t just do something; sit there“. Kurz: Als moderner Manager sollte man manchmal auch erst einmal eine Situation auf sich wirken lassen, bevor man gleich Vorgaben auf Vorgaben kommuniziert. Warum? Weil das Streben nach Exzellenz in der Produktion ein offener Zielfkonflikt ist, den man zunächst einmal in seinen Einzelteilen verstehen muss.

Im Englischen spricht man davon, dass etwas zugleich „achievable“, „desirable“ und „feasible“ ist. Es geht um das Zusammenspiel zwischen dem, was gegenwärtig organisatorisch praktiziert wird, dem, was technologisch möglich ist und/oder regulatorisch angestrebt werden muss, und dem, was ökonomisch sinnvoll ist – aus Sicht des Kunden. Der letzte Nebensatz ist dabei ganz, ganz wichtig. Qualität ist ein relatives, nicht ein absolutes Phänomen, was soviel heißt, dass Qualität nur im Rahmen einer Beziehung bewertet werden kann, vorrangig natürlich in der Beziehung zwischen der eigenen Organisation und dem Kunden.  

Paradoxerweise wird genau diese Beziehung in manch einer Organisation durch das Controlling marginalisiert. Manche „Kontrolleure“ sind nur darauf aus, die individuelle Formkurve jedes einzelnen Gliedes der Wertschöpfungskette ständig zu überprüfen und isoliert zu beurteilen. So ein Fokus ist „beyond stupid“, ohne Sinn und Zweck, weil dabei der Informations-, Waren- und Kapitalfluss total aus dem Blickfeld gerät. Controller, die ihren Fokus allein auf Profitabilität, Erfolg und Aufgabenerfüllung des Einzelnen setzen, verlieren die alles entscheidende Frage aus dem Blick, und die lautet: Für welche unternehmerische Gesamtleistung soll die Firma eigentlich belohnt werden?

Sicher, jedes Unternehmen braucht finanzielle Kennzahlen. Nicht alles aber muss mit ergebnisorientiertem Reporting gemessen, nicht alles muss mit firmeninternen Policies, Kennzahlen und Boni unterlegt werden. Eines nämlich verbindet diese Werkzeuge auf dämliche Weise: Sie dienen alle nicht dem Zweck, die Qualität der gesamtorganisatorischen Leistung in Echtzeit zu beschreiben. Indexwerte und Meinungsaustausch dienen diesem Zweck viel, viel besser – und manchmal selbst Stimmungsbilder.  

redaktion[at]finance-magazin.de

Info

Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Alle Beiträge seines Blogs „Controlling 2020“ finden Sie hier.