Herr Becker, seit Jahren wird erzählt, dass es im Finanzbereich einen klaren Kandidatenmarkt gibt. Viele Unternehmen weigern sich aber, ihre Gehaltsstrukturen anzupassen und so Talente zu ködern. Ändert sich etwas?
Es ist nach wie vor so, dass der Markt von Kandidaten dominiert wird. Besonders High Potentials befinden sich in einer guten Position und fordern entsprechend hohe Gehälter. Unsere Kunden haben vermehrt ein Bewusstsein für die Situation – und sind stärker bereit, hohe Gehälter zu bezahlen. Der Trend geht in jedem Fall in diese Richtung.
Das Accounting ist dabei ein Paradoxon: Auf der einen Seite fallen Stellen weg, auf der anderen Seite legen die Gehälter pro Mitarbeiter so stark zu wie nirgends sonst in der Finanzabteilung, wie eine FINANCE-Umfrage unter Personalberatern zeigt.
Der Anspruch an den einzelnen Mitarbeiter im Rechnungswesen wird schlicht größer. Accountants müssen künftig in Prozessen und Daten denken. Buchhaltungsspezialisten, die das können, sind sehr rar, was ihren Preis nach oben treibt. Experten im Rechnungswesen nähern sich aufgrund der Digitalisierung übrigens immer mehr dem Controlling an, wo Mitarbeiter ja traditionell deutlich besser bezahlt werden.
Unternehmen machen ihre Digitalisierungshausaufgaben
Buchhalter werden Controller, Controller werden Business Partner: Die Digitalisierung verändert die Arbeit in der Finanzabteilung wie kaum eine andere Entwicklung der vergangenen Jahre. Was sind die akutesten Themen?
Viele Unternehmen befinden sich tatsächlich mitten im Umbruch. Da geht es momentan eher noch um vorbereitende Aufgaben für die Digitalisierung, damit in naher Zukunft Robotics und Künstliche Intelligenz genutzt werden können. Bei den aktuellen Projekten vereinheitlichen Konzerne die Prozesse im Rechnungswesen, standardisieren Workflows oder verbessern die Qualität ihrer Stammdaten. Die breite Masse arbeitet massiv an diesen Themen.
Was bedeutet das für Finanzexperten, die sich besonders attraktiv machen wollen?
Der moderne Finanzexperte sollte eine hohe Affinität zu IT-Tools haben. SAP S/4 Hana wird bei vielen Unternehmen eingeführt, aber auch Wissen in Bezug auf andere moderne Enterprise-Resource-Planning-Systeme, kurz ERP-Systeme, ist sehr wertvoll. Wenn Kandidaten dann noch wissen, wie Data Warehouses funktionieren und wie man Daten gut aufbereitet, dann ist das sehr viel wert.
"Kandidaten, die neugierig auf neue Entwicklungen sind und Veränderungsbereitschaft zeigen, sind die Gewinner der Digitalisierung."
Was sind weitere Möglichkeiten, das Gehalt zu steigern?
Kandidaten, die neugierig auf neue Entwicklungen sind und Veränderungsbereitschaft zeigen, sind die Gewinner der Digitalisierung. Da muss man aktiv zeigen, dass man sich für neue Themen interessiert und diese auch vorantreibt. Mit zusätzlichen Stärken wie internationaler Erfahrung, Mehrsprachigkeit oder Kommunikationsstärke können Experten dann noch weiter punkten. Diese Fähigkeiten werden bei all den Digitalisierungsthemen oft übersehen.
Klassische Finanzexperten weiter gefragt
IT-Wissen, Kommunikation, Mehrsprachigkeit: Welchen Stellenwert hat die klassische Finanzexpertise überhaupt noch?
Den klassischen Finanzexperten gibt es nicht mehr. Trotzdem ist die Nachfrage nach eher klassisch ausgebildeten Mitarbeitern ungebrochen hoch.
Das ist ein krasser Widerspruch.
Viele Unternehmen sind noch nicht so weit bei der Digitalisierung. Deshalb fragen sie auch klassische Finanzexpertise weiterhin nach. Noch, denn das wird in Zukunft sicherlich abnehmen. Kandidaten sollten sich daher auf keinen Fall auf ihren Excel-Kenntnissen ausruhen, nur weil die gerade noch gesucht werden.
Info
Das vollständige Interview mit Johannes Becker von Hays samt Gehaltsübersichten aller wichtigen Berufe im Finanzbereich finden Sie im aktuellen „FINANCE-Gehaltsreport 2018“, den Sie hier herunterladen können.
Jakob Eich ist Redakteur der Fachzeitungen FINANCE und DerTreasurer des Fachverlags F.A.Z Business Media, bei dem er auch sein Volontariat absolviert hat. Eich ist spezialisiert auf die Themen Digitalisierung im Finanzbereich und Treasury. Durch seine Zwischenstation bei der Schwesterpublikation „Der Neue Kämmerer“ ist der 1988 geborene Journalist auch versiert beim Thema Kommunalfinanzen. Erste journalistische Erfahrungen hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner in den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sowie in der Sportredaktion der Hamburger Morgenpost gesammelt.