Unternehmen, die im Kern gesund sind, aber unter einer hohen Schuldenlast ächzen, können auf Erleichterung hoffen: Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der den Unternehmen eine frühzeitige Restrukturierung der Finanzschulden ermöglichen soll. So will die EU verhindern, dass Unternehmen in die Pleite schlittern und Arbeitsplätze verloren gehen.
„Die Richtlinie gibt deutschen Unternehmen ein neues Sanierungswerkzeug an die Hand, das nicht das Stigma einer Insolvenz trägt“, sagt Steffen Reusch von BDO Restructuring. Er glaubt, dass von der Richtlinie sowohl sanierungsbedürftige Unternehmen als auch ihre Gläubiger profitieren werden. „Die Zahl der Fälle, die in einer Liquidierung des Unternehmens enden, dürfte sinken und die Recovery-Quote steigen.“ Letztere liegt in Deutschland nach Angaben der Weltbank bei 84 Prozent, in der EU bei 65 Prozent.
Auch für krisengeplante Unternehmen ist das eine gute Nachricht: Bislang nehmen einige deutsche CFOs den Umweg über London, um mit dem sogenanntes „Scheme of Arrangement“ ihre Finanzschulden schneller umzuschulden. Einige der Vorzüge des britischen Restrukturierungsverfahrens greift nun die geplante EU-Richtlinie auf.
CFOs müssen zur Restrukturierung nicht alle Gläubiger an Bord holen
Die EU-Kommission will mit dem vorgeschlagenen präventiven Sanierungsverfahren das Restrukturierungsrecht im Binnenmarkt harmonisieren. In Deutschland, das traditionell ein eher gläubigerfreundliches Insolvenzrecht hat, ändern sich dadurch vor allem zwei Dinge.
Erstens müssen Unternehmen keine umfassende Insolvenz unter Einbindung eines Gerichts durchlaufen, um ihre Schulden zu restrukturieren. Bislang bedürfen außergerichtliche Vergleiche der Zustimmung aller betroffenen Gläubiger. Einstimmigkeit ist allerdings kaum zu erreichen – zumal es immer wieder auch Querulanten gibt, die dazwischen schießen. „Erst im Falle einer Insolvenz können Minderheitsgläubiger überstimmt werden“, sagt BDO-Experte Reusch. Das soll sich mit dem Sanierungsverfahren der EU ändern: Zwar muss auch weiterhin beim Eingriff in die Rechte einzelner Gläubiger ein Gericht zustimmen, der Prozess soll aber verschlankt werden.
Zweitens muss die Firma nach dem Willen der EU künftig nicht alle Gläubiger in die Sanierung einbinden – sie kann auch nur einzelne Gruppen wie etwa Kreditgeber heranziehen: „Dadurch steigen die Chancen, dass bei Finanzrestrukturierungen das operative Geschäft möglichst wenig in Mitleidenschaft gezogen wird“, sagt Patrick Ehret, Rechtsanwalt und Partner in der Internationalen Abteilung der auf Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei Schultze & Braun.
Insolvenz muss „wahrscheinlich“ sein
Einer der Knackpunkte waren die Eintrittsvoraussetzungen für ein solches Verfahren. Einige Experten warnten, dass Missbrauch betrieben werden könnte. Sie befürchten, dass gesunde Unternehmen das Verfahren nutzen könnten, um Finanzverbindlichkeiten zu Lasten der Gläubiger zu restrukturieren. „Die EU hat diese Befürchtungen aufgegriffen“, sagt Rechtsanwalt Ehret. „Sie verlangt, dass eine Insolvenz wahrscheinlich sein muss und hat festgelegt, dass eine Gläubigerminderheit im Verfahren nicht benachteiligt werden darf.“ Die Definition von „Wahrscheinlichkeit“ liegt dabei aber in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten – bei Richtlinien legt die EU lediglich einen Rahmen fest.
Restrukturierungsexperte Reusch hält es etwa für denkbar, dass in Deutschland die Krisenszenarien des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) herangezogen werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz zu beurteilen. „Wenn der Wirtschaftsprüfer eine Ergebniskrise feststellt, könnte das etwa ein Auslöser sein.“
Doch wann reicht das vorinsolvenzliche Verfahren und wann müssen Unternehmen tatsächlich den Antrag auf Insolvenz stellen? Rechtsanwalt Ehret hält den Richtlinienentwurf der EU hier für zu unpräzise: „Mitgliedstaaten können Schuldner, die sich in einem vorinsolvenzlichen Verfahren befinden und zahlungsunfähig werden, trotzdem zwingen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies darf zwar nicht automatisch zur Beendigung des Sanierungsverfahrens führen, allerdings werden dann die Erfolgsaussichten des Sanierungsverfahren vom Insolvenzgericht gesondert geprüft.“ Er befürchtet, dass damit für Unternehmen der Anreiz sinkt, überhaupt in das präventive Verfahren zu gehen.
Neben den ESUG-Verfahren bald präventive Restrukturierung
Mit ihrem Regulierungsvorhaben zwingt die EU die deutsche Regierung ihr Restrukturierungsrecht anzupassen. Als im März 2012 das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eingeführte wurde, das mit dem Schutzschirmverfahren und der Insolvenz in Eigenregie zwei neue Sanierungsverfahren ermöglichte, hatte sich die Regierung noch gegen ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren entschieden. Hintergrund war damals, dass Gläubigerrechte geschützt werden sollten. „Im Rahmen der ESUG-Überprüfung nach fünf Jahren sollte jetzt schnell evaluiert werden, ob es ein präventives Verfahren braucht“, sagt Reusch.
Mit der EU-Richtlinie ist klar: Es wird kommen – nur der Zeitpunkt ist noch unklar. Experten rechnen damit, dass die EU ihre Richtlinie bis Ende 2017 verabschieden wird. „Dann haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen“, sagt Ehret. Ab 2019 dürfen sich deutsche Unternehmen also auf die Erleichterungen freuen.
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