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Massiver Umstellungsaufwand durch neue Berichtspflicht ESEF

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Müssen Unternehmen bald noch einen weiteren Geschäftsbericht schreiben?
GeorgiMironi/iStock/Thinkstock/Getty Images

Keine zwei Wochen ist es her, da wurden Unternehmen mit dem neuen Standard zur Leasingbilanzierung IFRS 16 konfrontiert. Viele stecken jetzt außerdem mitten in der heißen Phase für die Umsetzung des neuen Standards zur Umsatzbilanzierung IFRS 15. Jetzt droht schon wieder neues Ungemach: Die Kapitalmarktaufsicht ESMA will die gesamte formale Geschäftsberichterstattung verändern – mit weitreichenden Folgen für alle Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren.

Konkret geht es um Folgendes: Bisher reichte es aus, seinen Geschäftsbericht auf Papier sowie als PDF oder HTML-Dokument online zu veröffentlichen. Im Rahmen der neuen EU-Transparenzrichtlinie soll aber ab 2020 ein neues Format verpflichtend werden, das es ermöglicht, alle Unternehmen in Europa auf einen Blick miteinander zu vergleichen. Dieses „European Single Electronic Format“, kurz ESEF, soll für mehr Transparenz bei Analysten und Investoren sorgen.

Danach müssen Unternehmen künftig ihre Geschäftsberichte ähnlich wie beim Bundesanzeiger in Deutschland in einem zentralen Europäischen Online-Archiv veröffentlichen. Den Bericht in ein PDF umzuwandeln und dort abzulegen, reicht aber nicht aus: Erstens muss er im sogenannten XBRL-Format, einem HTML-Format, vorliegen und zweitens soll er eine fest vorgegebene Struktur haben. Das geht so weit, dass genau vorgegeben ist, wie viele Zeilen der Bericht enthält, in welcher Zeile der Gewinn oder Verschuldung stehen müssen und was genau zu Gewinn oder Verschuldung gehört. 

ESEF: Echte Revolution oder unnötiger Mehraufwand?

„Für Investoren und Analysten ist das zunächst gut, so wissen sie beispielsweise genau: Der Gewinn des portugiesischen Unternehmens ist direkt vergleichbar mit dem Gewinn des französischen Unternehmens“, sagt Jens Freiberg, Wirtschaftsprüfer und Leiter der Zentralabteilung von BDO. Der Vorteil ist klar: Interessierte müssen sich nicht mehr durch verschiedensprachige Berichte kämpfen und mühevoll herausfinden, wie genau ein Unternehmen seinen Gewinn definiert. Künftig muss man nur wissen, in welcher Zeile was steht. So ließen sich Hunderte von Berichten in kürzester Zeit elektronisch auswerten.

Dieser Vorschlag spaltet die Kapitalmärkte. Während Fürsprecher sich eine Art Revolution der Berichterstattung erhoffen, sprechen Kritiker von einem unnötigen Mehraufwand. So auch das Deutsche Aktieninstitut. „In Gesprächen mit unseren Mitgliedern konnten wir nicht feststellen, dass seitens Investoren und Analysten eine Nachfrage nach so einem Format besteht“, sagt Gerrit Fey, Leiter Kapitalmarktpolitik beim Deutschen Aktieninstitut.

Kosten- und Zeitaufwand durch ESEF

Was viele aufbringt, ist der enorme Umstellungsaufwand. Die Geschäftsberichte, die derzeit auf die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen angepasst sind, müssten in eine Schablone gepresst, außerdem Kennzahlen neu gedacht und umdefiniert werden. „Es ist davon ausgehen, dass es zu Abweichungen zwischen dem Geschäftsbericht und dem elektronischen Archiv kommen wird. Unternehmen wären verpflichtet, die Differenzen zu erklären“, sagt Wirtschaftsprüfer Freiberg.

Die Sorge: Auf Dauer könnte der doppelte Aufwand den Emittenten zu viel werden. Manch ein Unternehmen könnte dann dazu übergehen, seinen Geschäftsbericht allein nach dem Muster der ESMA zu gestalten. Dies allerdings könnte zu einem Informationsverlust führen, fürchten  Kritiker.

Unternehmen droht auf jeden Fall zusätzlicher zeitlicher Aufwand, immerhin sind in der ESEF-Musterbilanz mehr als 5.600 Felder zum Ausfüllen. „Der erste Durchgang dürfte mindestens einen Monatsaufwand erzeugen, der einen mittleren sechsstelligen Betrag kostet“, rechnet Freiberg vor. Gegebenenfalls müssen auch noch Software-Lizenzen erworben werden. Indes: Würde man hingegen Anpassungen für einzelne Unternehmen oder Länder erlauben, wäre die Vergleichbarkeit hinfällig. Dies dürfte es der ESMA sehr schwer machen, in diesem Punkt Kompromissbereitschaft zu zeigen.

Deutsches Aktieninstitut-Experte Fey: „Analysten und Investoren haben ganzheitlichen Blick“

Absehbar ist, dass ESEF kleine und mittelgroße Unternehmen wohl härter treffen würde als die Großkonzerne. „Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen wäre diese Berichtspflichten ein erheblicher Zusatzaufwand, wenn sie an die Börse wollen – und das bei fragwürdigem Nutzen“, sagt Fey vom Deutschen Aktieninstitut.

Angesichts des Aufwands und der fehlenden Marktnachfrage wäre ein PDF völlig ausreichend, so Fey. Dass ein einheitlicher elektronischer Bericht im XBRL-Format die Transparenz erhöht, glaubt er nicht. „Um ein Unternehmen zu beurteilen, braucht man mehr als nur nackte Zahlen. Man muss auch die Unternehmensstory verstehen.“ Auch könne eine automatisierte Übernahme von Kennzahlen aus einem elektronischen Bericht nicht den persönlichen Kontakt zur Investor Relations ersetzen. Er ist sich sicher, dass viele Analysten und Investoren ohnehin einen ganzheitlichen Blick auf Unternehmen haben.

Das Deutsche Aktieninstitut hat seine Position bei der ESMA klar gemacht. Bis Ende Januar konnten zudem Unternehmen den Vorschlag kommentieren. 160 Rückmeldungen von Unternehmen und Verbänden hat die ESMA erhalten – nicht viel für ein Thema mit so großer Tragweite, das alle nach IFRS-bilanzierenden Unternehmen Europas betrifft. Jetzt müssen die Unternehmen abwarten. Die ESMA wertet die Rückmeldungen aus und übermittelt einen Vorschlag an die EU-Kommission. Mit einer endgültigen Entscheidung ist 2017 zu rechnen.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.