Fünf Jahre danach: Was hat das FISG gebracht?

In den Jahren 2016 und 2021 wurde die bis dahin wohlgeordnete deutsche Wirtschaftsprüferwelt kräftig durchgeschüttelt. Zuerst trat 2016 das Abschlussprüferreformgesetz in Kraft, das eine entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzte. Das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG), als Reaktion auf den Wirecard-Skandal erlassen, kam fünf Jahre später dazu. Mit den beiden Gesetzen sollten unter anderem die Qualität der Abschlussprüfung verbessert, die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer erhöht und die Marktmacht der Big Four aufgebrochen werden. Hierzu legte der Gesetzgeber eine verpflichtende Prüferrotation nach spätestens zehn Jahren fest und reduzierte die Zahl der Nicht-Prüfungsleistungen, die ein Abschlussprüfer erbringen darf, deutlich. Zudem mussten die WP-Gesellschaften ihre internen Qualitätskontroll- und Risikomanagementsysteme ausbauen und verbessern. Des Weiteren wurde die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) gegründet, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bekam mehr Befugnisse und die Haftung der WP-Gesellschaften sowie der unterzeichnenden Abschlussprüfer wurde deutlich verschärft. Dass die Zügel derart angezogen wurden, fand nicht überall Anklang. So prophezeite das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) 2021, dass etwa die Rotationspflicht nach zehn Jahren die Prüfqualität verschlechtern würde, da „mandantenspezifisches Know-how nicht kurzfristig auf den neu bestellten Abschlussprüfer transferiert werden“ könne. Unabhängigkeit stärkt Prüfqualität Die Apas kann diese Befürchtung aus ihrer bisherigen Arbeit nicht bestätigen. Sie vermutet, dass die stärkere Regulierung der Unabhängigkeit sogar zu „mehr Prüfungsqualität beigetragen“ habe. „Die kritische Grundhaltung des Abschlussprüfers ist elementar für die Durchführung einer Abschlussprüfung“, sagt Apas-Leiter Naif-Raffael Kanwan. Eine zu enge Vertrautheit mit dem Mandanten könne diese kritische Grundhaltung schwächen. Naif-Raffel Kanwan leitet die Apas. Er sieht noch Verbesserungsbedarf bei der Prüfungsqualität. Foto: Thomas Ecke „Dem wirken unter anderem die Vorschriften zur externen und internen Rotation entgegen“, so Kanwan. Eine kritische Grundhaltung könne zudem von einer zu großen Abhängigkeit vom Mandanten unterminiert werden. Hier würden die Regeln zur Umsatzabhängigkeit sowie zur quantitativen und qualitativen Begrenzung der Nichtprüfungsleistungen helfen, ist der Apas-Leiter überzeugt. Der von Kanwan angesprochene „Fee Cap“ begrenzt das Honorar für Nichtprüfungsleistungen auf 70 Prozent des in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich kassierten Honorars für die Abschlussprüfung. Bis zum FISG konnten Wirtschaftsprüfer eine Ausnahme bei der Apas beantragen, die es erlaubte, den „Fee Cap“ für ein Geschäftsjahr auf bis zu 140 Prozent zu erhöhen. Keine Ausnahmen beim Fee Cap mehr Melanie Sack, Vorstandssprecherin des IDW, ist indes wenig begeistert, dass die Möglichkeit zur Abweichung für den „Fee Cap“ gestrichen wurde. „Diese Ausnahme ist häufig bei der Erstellung von sogenannten Comfort Letters zum Einsatz gekommen“, so Sack. In diesen bestätigt ein Wirtschaftsprüfer zum Beispiel, dass die Finanzinformationen in einem Wertpapierprospekt korrekt sind. Vor dem FISG hatte diesen der Abschlussprüfer geprüft, jetzt würde diese zusätzliche Leistung den „Fee Cap“ sprengen. „Nun muss ein externer Wirtschaftsprüfer beauftragt werden, der sich erst einmal in das Unternehmen einarbeiten muss, was der Abschlussprüfer nicht müsste. Das sorgt bei den Unternehmen für zusätzliche und in unseren Augen unnötige Kosten“, sagt Sack. »Die kritischeGrundhaltung istelementar.« Naif-Raffael Kanwan, Apas Auch die sogenannte Blacklist, die dem Abschlussprüfer Nicht-Prüfungsdienstleistungen wie etwa Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen untersagt, habe laut Sack nicht zu einer Steigerung der Prüfungsqualität geführt. „Die wahrgenommene Unabhängigkeit mag dadurch zugenommen haben, die tatsächliche Unabhängigkeit wird weiterhin von der Grundhaltung des Abschlussprüfers bestimmt. Außerdem bestand schon vorher das Selbstprüfungsverbot.“ Dieses besagt, dass ein Wirtschaftsprüfer nicht als Abschlussprüfer für ein Unternehmen tätig sein darf, wenn er oder eine Person, mit der er beruflich verbunden ist, an der Erstellung des Jahresabschlusses oder der Führung der Bücher dieses Unternehmens mitgewirkt hat. Haftung ruft Widerspruch hervor IDW-Chefin Melanie Sack hält die unbegrenzte Haftung für kontraproduktiv. Foto: Susanne Werding/IDW Und es gibt noch einen weiteren Punkt, den die IDW-Vorstandssprecherin kritisch sieht: die verschärfte Haftung. Bis zum FISG hafteten WP-Gesellschaften bei Fehlern in der Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (PIE-Unternehmen) mit bis zu 4 Millionen Euro, bei Nicht-PIE-Unternehmen mit bis zu 1 Million Euro. Nur bei Vorsatz war die Haftung unbegrenzt. Mit dem FISG wurde die Haftungssumme bei kapitalmarktorientierten Unternehmen auf 16 Millionen Euro sowie bei Banken und Versicherern auf 4 Millionen Euro erhöht. Bei Nicht-PIE-Unternehmen beträgt die Haftung nun 1,5 Millionen Euro. Doch damit nicht genug: WP-Gesellschaften haften nun schon bei „grober Fahrlässigkeit“ unbegrenzt. Das hatte das IDW auch in der Vergangenheit schon scharf kritisiert. „Eine deutliche Verschärfung der Haftung des Wirtschaftsprüfers wird die Qualität der Abschlussprüfung nicht erhöhen“, war der IDW-Vorstand bei der Einführung des FISG überzeugt. Wo beginnt ‚grobe Fahrlässigkeit‘? Sack teilt diese Meinung. „Der Unterschied zwischen ‚Fahrlässigkeit‘ und ‚grober Fahrlässigkeit‘ ist hauchdünn und schwer kalkulierbar“, erklärt die Sprecherin des IDW-Vorstands. „Die verschärfte Haftung hat nicht nur keinen Einfluss auf die Prüfqualität gehabt, sondern die Zahl der WP-Gesellschaften reduziert, die kapitalmarktorientierte Unternehmen prüfen“, stellt Sack fest. Vor allem mittelgroße und kleinere Gesellschaften hätten sich deshalb zurückgezogen. Darüber hinaus würde die verschärfte Haftung den Fachkräftemangel erhöhen, sagt Sack: „Gleichzeitig wollen weniger Wirtschaftsprüfer PIE-Unternehmen prüfen, da die persönlichen Haftungsgrenzen angehoben wurden.“ Christoph Schenk, Managing Partner Audit & Assurance bei Deloitte, pflichtet der IDW-Sprecherin bei: „Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels muss das Berufsfeld des Abschlussprüfers für Nachwuchstalente attraktiver werden. Gesetzliche Regelungen wie das verschärfte Bilanzstrafrecht tragen dazu nicht bei.“ Die Big Four dominieren weiterhin Als bislang gescheitert kann auch der Versuch angesehen werden, die Marktmacht der Big Four aufzubrechen. Das zeigt sich bei der Mandatsverteilung innerhalb des Dax, in dem Deloitte, EY, KPMG und PwC 38 der 40 Unternehmen prüfen, aber auch insgesamt. Mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes des WP-Markts in Höhe von 21,3 Milliarden Euro entfällt auf die Big Four, der Rest auf alle anderen WP-Gesellschaften. Dietmar Prümm ist Mitglied der Geschäftsführung und Leiter des Geschäftsbereichs Assurance bei PwC Deutschland. Foto: PwC Solange der Markt funktioniere, stelle Marktkonzentration kein Problem dar, sagt Sack. Dietmar Prümm, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter des Geschäftsbereichs Assurance bei PwC Deutschland, ist davon ebenfalls überzeugt: „Wir sehen aktuell einen gesunden WP-Markt mit einem kompetitiven, funktionierenden Wettbewerb. Als PwC sind wir bei Ausschreibungen immer in einer Wettbewerbssituation mit einer Vielzahl an Gesellschaften. Dies begrüßen wir ausdrücklich.“ Positiv hebt Sack hervor, dass mit dem FISG die Corporate-Governance-Strukturen in den Unternehmen gestärkt worden seien, zu denen unter anderem die Installierung eines Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat zählt, „auch wenn es natürlich schwierig ist, hier eine Kausalität zur Prüfqualität zu ziehen“. »Weniger Wirtschaftsprüfer wollen PIE-Unternehmen prüfen.« Melanie Sack, IDW Deloitte-Partner Schenk bestätigt diese Einschätzung: „Für die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer sowie für die Überwachung der Steuerungs- und Kontrollsysteme durch den Aufsichtsrat ist dies ein wesentlicher Schritt.“ Eine weitere positive Änderung sei die in bestimmten Fällen akzeptierte Lockerung der Verschwiegenheitspflicht, erklärt IDW-Sprecherin Sack. „Durch das FISG kann der Abschlussprüfer nun die Bafin informieren, wenn ihm Unregelmäßigkeiten auffallen. Vorher durfte er nur den Aufsichtsrat informieren.“ Zum Teil schädlich In der Gesamtschau fällt das Fazit zur Abschlussprüferreform und dem FISG geteilt aus. Auch die sogenannte Blacklist, die dem Abschlussprüfer Nicht-Prüfungsdienstleistungen wie etwa Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen untersagt, habe laut Sack nicht zu einer Steigerung der Prüfungsqualität geführt. Christoph Schenk ist Managing Partner Audit & Assurance bei Deloitte. Foto: Deloitte Deloitte-Partner Schenk sieht trotz der Reformen der vergangenen Jahre noch Potentiale bei der integrierten Betrachtung von Prüfungsfokus, -umfang und -ansatz. „Das betrifft unter anderem die Erweiterung der Prüfungsinhalte, beispielsweise auf die Prüfung der internen Kontrollsysteme und des Risikomanagements der Mandanten.“ Apas-Chef Kanwan betont indes, dass seinem Eindruck nach die überwiegende Anzahl der Prüferpraxen tendenziell mehr investiert habe, um die Prüfungsqualität zu steigern und die Berufspflichtverletzungen zu vermeiden. Doch: Für den PIE-Bereich zeige der „im Verlauf der Jahre zwischen 32 und 52 Prozent schwankende Anteil der Prüfungsmandate mit mindestens einer Fehlerfeststellung, dass noch Verbesserungspotential in Bezug auf die Prüfungsqualität vorhanden ist“. IDW-Sprecherin Sack ist überzeugt, dass das FISG Wirecard nicht verhindert hätte und die verschärfte Haftung sogar schädlich ist. Mit den anderen Regelungen habe sich die Branche arrangiert. Generell findet sie: „Markteingriffe sollten nur vorgenommen werden, wenn ein Markt nicht funktioniert.“

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