Nach rund 18 Jahren an der Spitze des Restrukturierungsgeschäfts der Corporate-Finance-Beratung Houlihan Lokey in Deutschland hat sich der bekannte Investmentbanker Ansgar Zwick in den frühen Ruhestand verabschiedet. Er war einer der bekanntesten Spezialisten für Finanzrestrukturierungen in Europa. Seine Nachfolger bilden eine Doppelspitze für dieses Geschäftsfeld in der DACH-Region und die nordischen Länder: Niklas Lerche und Malte Wulfetange. Wie wollen sie die großen Fußstapfen Zwicks ausfüllen, und was sind die wichtigsten Themen für die Restrukturierungsbranche in Deutschland? FINANCE hat die beiden Manager, die lange an der Seite Zwicks an prominenten Fällen arbeiteten, zum Interview getroffen.
Ansgar Zwick war lange das Aushängeschild von Houlihan Lokey in Deutschland, jetzt bilden Sie eine Doppelspitze. Zwei Köpfe können zu Reibereien führen, dafür gibt es unzählige Beispiele …
Wulfetange: Bei uns nicht, die Co-Head-Struktur ist typisch für Houlihan Lokey. Hierarchien sind bei uns nicht so wichtig. Wir wollen auch noch verzahnter mit der Corporate-Finance-Sparte zusammenarbeiten als früher. Im Ergebnis war und ist es doch immer die Teamleistung, die zum Erfolg für den Kunden führt.
Es war tatsächlich so, dass man manchmal das Gefühl hatte, in Deutschland fremdeln das Restructuring und der Bereich Corporate Finance miteinander. Lange saßen beide Teams sogar in unterschiedlichen Büros in Frankfurt. Warum?
Lerche: Das hatte zum Teil praktische Gründe, wie bereits laufende Mietverträge. Das hat sich nun aber geändert, denn wir sind im April gemeinsam in den Omnitower gezogen. Man begegnet sich auf dem Flur, wir haben Synergien und kommunizieren ganz anders als in der Vergangenheit, als die Büros noch getrennt waren.
Wulfetange: Der Markt hat sich verändert. Unsere Kunden erwarten sowohl Produkt- als auch Sektor-Know-how aus einer Hand. Das liefern wir.
Seit Februar ist mit Andreas Dombret ein prominenter Banker als Independent Chairman bei Houlihan an Bord. Welche Rolle spielt dieser Faktor?
Lerche: Wenn handelnde Personen das Unternehmen verlassen und an anderer Stelle neue dazukommen, spielt das mit Sicherheit eine Rolle. Andreas Dombret wird in seiner Funktion als Independent Chairman beide Geschäftsbereiche – Corporate Finance und Restructurierung – engagiert und kenntnisreich unterstützen und einen Beitrag dazu leisten, sie auch in der Außenwahrnehmung näher zusammen zu führen. Wir können jetzt die ganze Bandbreite der Finanzierung abbilden – vom Debt Advisory für gesunde Unternehmen über Distressed-Situationen bis hin zum wirklichen Restructuring.
Wulfetange: Außerdem können wir eine ganz andere Botschaft als vielleicht noch vor sechs Jahren verbreiten. Wir haben inzwischen in Europa rund 200 Professionals für M&A, das kam auch durch die Übernahme der M&A-Boutiquen Leonardo und McQueen im Jahr 2015. Das ist konsistent mit der Houlihan-DNA: In den USA bieten wir klassisches M&A, Debt Advisory und Financial Restructuring an.
Houlihan Lokey
Wo Houlihan Lokey Krisenpotential sieht
Das abgelaufene Geschäftsjahr war sehr von Corona geprägt. Wie hat sich das auf Ihr Geschäft ausgewirkt? Was waren die wichtigsten Deals und Mandate?
Lerche: Es gab einige Transaktionen, an denen wir beteiligt waren, nicht alle sind publik. Nennen können wir beispielsweise die Bondholder von Tui sowie Projekte bei den Cases Norwegian Airlines, Swissport und Takko.
Unternehmenskrisen wie die genannten gab es zwar einige, eine Insolvenzwelle lässt aber auf sich warten. Zudem steht demnächst die Bundestagswahl an, vor der Politiker große Pleiten mit Massenentlassungen sicher vermeiden wollen. Richtige Situationsbeschreibung?
Wulfetange: Ja, letztlich wurde viel durch staatliche Hilfen aufgefangen: KfW, WFS sowie die Überbrückungshilfen, die zuletzt noch einmal erhöht wurden. Viele Unternehmen sind deshalb nicht in der Restrukturierung gelandet.
„Wer eine Fälligkeit im Jahr 2022 hat, sollte sich vor der Bundestagswahl noch Liquidität sichern.“
Lerche: Ich glaube, beim Blick in die Zukunft muss man stark differenzieren. Es gibt Unternehmen, die sich sehr vorausschauend mit Finanzmitteln eingedeckt haben. Es gibt aber auch solche, bei denen es schlechter aussieht. Mein Rat: Wer eine Fälligkeit im Jahr 2022 hat, sollte sich vor der Bundestagswahl noch Liquidität sichern.
Welche Sektoren könnten denn in diesem oder nächsten Jahr Probleme bekommen?
Lerche: Die Parameter für einige Industrien ändern sich enorm. Wo früher die Solarenergie kriselte, rücken heute fossile Energieunternehmen in den Fokus. Wie sieht die Zukunft von Kohlekraftwerken und energieintensiven Industrien aus? Wie werden sich etwa Stadtwerke als Gesellschafter verhalten, wenn ihre Beteiligungen Probleme bekommen? Ich glaube, manche werden denken: Lieber raus als den Schaden haben.
Schon heute deutet sich an, dass Umweltsünder nicht mehr bankable sein werden oder vielleicht sogar schon sind.
Lerche: Richtig. In solchen Fällen kann man sich überlegen, ob man Unternehmen in eine „Good Co“ und eine Abwicklungseinheit „Bad Co“ aufteilt. Oder man muss frisches Geld über alternative Kanäle organisieren.
Gibt es Interessenskonflikte?
Houlihan agiert häufig auf Gläubiger- beziehungsweise Bondholder-Seite, manchmal auf Unternehmensseite wie bei Schaeffler. Führt das Hin und Her nicht zwangsläufig zu Interessenkonflikten?
Lerche: Nein, das glaube ich nicht. Beratung ist letztlich ein opportunistisches Geschäft, weswegen wir mal auf der Seite von Unternehmen und manchmal auf der von Banken, Bondholdern oder Investoren stehen. In jedem Fall müssen wir die beste Leistung für unsere Kunden erbringen.
Wulfetange: Trotz guter Beziehungen zu einem Finanzinstitut muss man immer die Interessen des Klienten vertreten. Das führt zu harten Gesprächen, bleibt aber meist professionell.
Häufig steht bei Ihren Fällen die Insolvenz im Raum, es geht um alles oder nichts.
Lerche: Ja, wir bewegen uns in einem Spannungsfeld zwischen Partikularinteressen einzelner Stakeholder und einer insgesamt werterhaltenden Lösung. Dort müssen wir uns einigen und eine ungeplante Insolvenz vermeiden. Jeder Berater hat seine eigene Art, wie er dabei vorgeht. Ich finde, man sollte sich an Folgendes halten: Offenes Visier im Sinne einer klaren Kommunikation – und drohe niemals mit etwas, was Du nicht liefern kannst. Und was niemals passieren darf, ist, dass eine Strategie zur totalen Wertvernichtung für alle Seiten führt.
Houlihan Lokey
Wo die nächsten Brandherde lauern
Sind auch die TUIs und Lufthansas dieser Welt Ihre Targets, oder werden solche Konzerne bei Finanzrestrukturierungen eher von den „großen“ Investmentbanken bedient? Gegenüber Goldman, Morgan Stanley und Co. haben Sie den Nachteil, dass Sie in kritischen Situationen keine Bilanz zur Verfügung stellen oder Finanzinstrumente platzieren können.
Wulfetange: Gerade das sehe ich eher als Vorteil, gerade aus der Erfahrung als ehemaliger Investmentbanker. Wir beraten die Kunden unabhängig und haben kein Interesse, eigene Produkte zu verkaufen. Für Second Lien oder Anleihen mit Backstopp fallen teils hohe Gebühren an. Diese Situationen können wir ganz neutral von außen beurteilen und unseren besten Rat geben zur Bilanzstruktur oder zu einem konkreten Finanzierungsinstrument wie etwa dem Schuldschein.
Lerche: Die Situationen, in denen wir Mehrwert liefern können, sind beispielsweise komplexe Stakeholder-Konstellationen und Cross-Border-Deals. Darin hat unser Team Erfahrung, der Umgang mit verschiedenen Jurisdiktionen ist unser Brot-und-Butter-Geschäft. Das kann auch ein Mittelständler aus Süddeutschland sein, der syndizierte Kredite oder Schuldscheine hat. Dort muss man die Interessen moderieren und die Gläubiger auf eine Linie bekommen.
„Immobilienentwickler haben ihre Bilanzen durch Neubewertungen zum Teil extrem aufgebläht.“
Sehen Sie konkrete Unternehmen, wo es finanziell bald brennen könnte?
Wulfetange: Immobilienentwickler haben ihre Bilanzen durch Neubewertungen zum Teil extrem aufgebläht. Diese Märkte funktionieren noch bis hin zu Mezzanine-Finanzierungen. Die Bewertungen in mittelgroßen Städten sind aber sportlich. Da liegen Risiken bei Refinanzierungen, wenn sich Fälligkeiten nähern und man einen nicht unerheblichen Leverage hat. Die Banken sind nicht mehr so erpicht auf ganz aggressive Loan-to-Values. Außerdem wird die Bafin sehr viel genauer auf Finanzierer und Financial Institutions schauen.
Sie meinen Wirecard-ähnliche Unternehmen, wo Sie mit Houlihan kurz vor der Insolvenz im Juni 2020 noch involviert waren?
Wulfetange: Ja, da könnte schon das ein oder andere noch kommen.
Markus Dentz ist Chefredakteur von FINANCE und der Fachzeitschrift DerTreasurer. Seine journalistischen Schwerpunktthemen sind Unternehmensfinanzierung, Restrukturierung und Treasury. Nach dem Studium und dem Volontariat beim F.A.Z.-Institut stieß Dentz zur FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH, einer Tochter der F.A.Z.-Verlagsgruppe und Herausgeberin von DerTreasurer und FINANCE. Mehrfach wurden seine Artikel aus den Bereichen Private Equity und M&A mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.