Herr Kasten, seit Anfang der Woche ist Christian Sewing neuer Vorstandschef der Deutschen Bank. Was halten Sie von der Wahl, und was hat den Aufsichtsrat Ihrer Meinung nach dazu bewogen, sich ausgerechnet für Sewing zu entscheiden?
Sewing ist eine grundsolide Wahl. Der Aufsichtsrat hat sich in diesem Fall für die sichere Variante entschieden. Eines der Hauptargumente, das für Sewing gesprochen haben dürfte, ist wohl sein extrem gutes Netzwerk innerhalb der Deutschen Bank. Allen Beteiligten ist klar, dass man sich keinen weiteren Flop in der Führungsspitze leisten kann, und Sewing kann zumindest vorweisen, dass er die Bank von der Pike auf kennt.
Und das reicht heutzutage, um Chef der Deutschen Bank zu werden?
Dass Sewing keine schillernde Wahl ist, ist klar. Ich glaube aber schon, dass er eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit besitzt. Für Aufsichtsratschef Paul Achleitner dürfte dies angesichts der Herausforderungen, vor denen die Deutsche Bank steht, ein wichtiger Faktor gewesen sein, der für Sewing sprach.
Was haben Sie bisher im Markt wahrgenommen? Wie wird die Wahl Sewings aufgenommen?
Es war für viele schon eine gewisse Überraschung, dass der Privatbanker Sewing neuer CEO geworden ist und nicht der Investmentbanker Schenck. Der Aufsichtsrat hat damit ein klares Signal an den Markt gesandt, wohin die Reise künftig geht – nämlich weg vom Investmentbanking. Die großen Visionen sind nicht mehr angesagt.
Christian Sewing und die „Jäger-Mentalität“
Was hat es Ihrer Meinung nach mit der von Herrn Sewing angesprochenen „Jäger-Mentalität“ auf sich, die er der Bank verordnen will?
Sewing muss als erstes wieder Vertrauen in die Deutsche Bank schaffen und ein klares Signal an den Markt senden, dass die Bank ihre Hausaufgaben gemacht hat. Ich glaube, dass er mit der „Jäger-Mentalität“ sagen wollte, dass aus seiner Sicht die Selbstbeschau der Deutschen Bank ein Ende hat und die Bank wieder mit mehr Biss agieren muss. Nebeneffekt: Mit dieser drastischen Wortwahl hat Sewing gleichzeitig auch seinem Image des soliden und nüchternen Managers entgegengewirkt. Für dieses Image wurde Sewing bislang eher belächelt. Ich bin aber der Ansicht, dass solide genau das ist, was die Deutsche Bank jetzt braucht.
Was sprach gegen einen Investmentbanker wie Marcus Schenck oder Garth Ritchie? Und wie beurteilen Sie den Abgang Schencks?
Ich glaube, dass Achleitner sich bei der Besetzung des Chefpostens mit Sewing durchgesetzt hat. Mit dem neu besetzten Aufsichtsrat kann er wieder eine Art Gegenpol zu dem Privatkundenmann Sewing bilden – mit einem Investmentbanker wie Schenck an der Spitze wäre das schwierig geworden. Und die Deutsche Bank muss beide Flügel abbilden. Warum Schenck am Ende gegangen ist? Angeblich soll er sich in seinem Gestaltungsfreiraum eingeschränkt gefühlt haben. Das kann sein. Ich sehe das aber einfacher: Wenn es zwei Kronprinzen gibt, dann ist es nur ehrenhaft, wenn der Unterlegene geht.
andreas.mehring[at]finance-magazin.de
Info
Jörg Kasten ist Managing Partner bei der Personalberatung Boyden am Standort Frankfurt am Main. Der Headhunter hat über 20 Jahre Berufserfahrung und ist auf die Suche von Führungskräften spezialisiert.