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Digitalisiert sich die M&A-Beratung?

Ist die Digitalisierung von Prozessen eher eine Chance oder eine Bedrohung für M&A-Berater?
Adobe Stock/Marko

Der Gedanke, dass Online-Plattformen den M&A-Berater ersetzen, ist über zwanzig Jahre alt. Die ersten Versuche sind krachend gescheitert. In den vergangenen Jahren sind in Deutschland Plattformen auf den Markt gekommen, die einen anderen Ansatz verfolgen: Sie suchen den Erfolg nicht gegen, sondern gemeinsam mit den M&A-Beratern. Diese Entwicklung steht sinnbildlich für das Verhältnis von M&A-Beratung und Digitalisierung.

Die Kernleistung des M&A-Beraters ist nicht digitalisierbar. Auch wenn sie im Markt mitunter immer noch als Makler tituliert werden, sind die Berater doch in Wirklichkeit Strukturierer eines anspruchsvollen Prozesses, in dem nicht nur Interessenten identifiziert und angesprochen werden, sondern auch unterschiedliche Interessen in Einklang gebracht und häufig auch starke Emotionen kanalisiert werden müssen, damit es am Ende zu einem Abschluss kommen kann. Digitalisierung kann diese Kernleistung nicht ersetzen, den M&A-Prozess wohl aber an verschiedenen Stellen unterstützen und dem Berater die Zeit schenken, die seine Dienstleistung noch wertvoller macht.

Wo M&A-Plattformen helfen

Bislang finden die meisten Deals noch ohne Einbindung einer Online-Plattform statt. Doch es gibt gute Gründe, an ihre Zukunft zu glauben, wenn auch nicht in allen Größenklassen. Für Large-Cap-Transaktionen braucht es keine Plattform, weil die potenziellen Käufer alle bekannt sind. Im Micro-Segment haben Plattformen aber eine Chance, die M&A-Berater auszuklammern.

Ihren Sweet Spot haben Plattformen, die mit M&A-Beratern kooperieren, im Mid- und im Smallcap-Segment. Bereits im Pitch können sie helfen, die Long List mit den richtigen Kandidaten zu befüllen. Im Midmarket haben die guten Berater zwar ein tiefes Verständnis von Märkten und Playern. Sie wollen den Deal aber nicht verbrennen, indem sie alle potenziellen Kandidaten ansprechen. Die Plattformen sammeln viel mehr Datenpunkte als einzelne Berater – sie können darum besser einschätzen, welche Kaufkandidaten positiv reagieren werden. In der Praxis nutzen Berater die Plattformen vor allem für die schwierigen Deals.

Im Markt der kleineren Unternehmen ist das Käuferuniversum kaum überschaubar. Viele M&A-Berater in diesem Segment sind sehr schlank aufgestellt und können wegen der geringen Vergütung nur wenig Aufwand betreiben. Plattformen können einen großen Teil der Recherche und der Ansprache abnehmen. Der Effizienzvorteil des digitalen Ansatzes kommt hier und im Distressed-M&A-Bereich, wo es vor allem auf Zeit ankommt, am besten zur Geltung.

„Im Distressed-M&A-Bereich, wo es vor allem auf Zeit ankommt, kommt der Effizienzvorteil des digitalen Ansatzes am besten zur Geltung.“

Keine Illusionen sollte man sich über den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) machen. Die Erkennung von Mustern und die Übertragung auf den nächsten Deal steckt noch in den Kinderschuhen, weil die Zahl der relevanten Datenpunkte auf absehbare Zeit nicht ausreichen wird.

Im Datenraum wird’s immer digitaler

Zahllose digitale Ansätze bietet der Datenraum. Von fensterlosen, mit Akten vollgestopften Räumen hat die Zunft sich zwar schon lange verabschiedet. Doch in den virtuellen Räumen wartet auf die Berater nach wie vor viel händische Arbeit. Nicht nur die Vorbereitung, vor allem die Interaktion mit dem Verkäufer und den Kaufinteressenten nimmt viel Zeit in Anspruch. Etliche Teile dieser Kommunikation sind organisatorischer Natur oder repetitiv – und eignen sich damit grundsätzlich gut für digitale Lösungen.

Einfache Anfragen wie die nach einem Jahresabschluss können von Systemen mittlerweile komplett automatisiert abgewickelt werden. Auch typische Orientierungsfragen („Wo finde ich …?“) erfordern keine händische Arbeit mehr. Anders sieht es bei komplexeren Fragen aus. Nachfragen beispielsweise zu bestimmten Bilanzposten sind nicht abbildbar und werden das ohne aufwendige vorherige Programmierung auch nicht sein. Auch hier sind wir von echter KI noch weit entfernt, trotzdem ist die Zeitersparnis für die M&A-Berater deutlich spürbar.

Auch die Erkennung und Zuordnung von Dokumenten schreitet rasch voran. Die digitalen Lösungen können bereits heute erkennen, ob es sich bei einem Dokument zum Beispiel um einen Vertrag, eine Rechnung, ein Financial Statement oder ein Steuerdokument handelt. Außerdem ist bereits ab 50 bis 100 Dokumenten eine automatische Strukturierung von Dokumenten möglich.

„Übersetzungen können automatisiert bislang nur mit einer Trefferquote von deutlich unter 100 Prozent erledigt werden.“

Die Bearbeitung der Dokumente ist dagegen erst zum Teil in einem marktreifen Stadium angelangt. Wichtige Bearbeitungen wie Übersetzungen können automatisiert bislang nur mit einer Trefferquote von deutlich unter 100 Prozent erledigt werden. Das Schwärzen von Namen, Mail-Adressen oder Telefonnummern funktioniert dagegen schon erheblich besser.

Die digitalen Schwächen der M&A-Berater

Selbst vorantreiben müssen die M&A-Berater ihre eigene Aufstellung. In der Nutzung professioneller CRM-Tools hinkt die Branche vielen anderen Sales-Organisationen noch hinterher. Dabei liegt hier der wesentliche Hebel der Digitalisierung: Die Tools schaffen intern Transparenz und machen das Kunden- und Käuferwissen außerhalb der Köpfe der einzelnen Berater verfügbar. Damit ist nicht nur ein Zugriff aller möglich, das Wissen geht auch nicht mit dem Wechsel eines Beraters verloren.

Zugegeben: In den vergangenen Jahren ist bereits viel passiert. Alle wissen, dass eine proprietäre Datenbank mit aktuellen Informationen über Targets und Käuferinteressen ein Wettbewerbsvorteil ist. Die professionelle Nutzung von CRM-Tools ist aber nicht nur mühselig, sie demokratisiert auch Herrschaftswissen. Das ist aus Sicht der Organisation extrem wünschenswert, verringert aber den Wert und die Unersetzbarkeit des Einzelnen. Die Berater habe es also vor allem selbst in der Hand, die Chancen der Digitalisierung für ihre Arbeit zu nutzen.

bastian.frien[at]finance-thinktank.de

Bastian Frien ist Gründer und Geschäftsführer des FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance. Er steht auch hinter dem Whitepaper „Corporate Finance im Bann der Pandemie – Auswirkungen, Anforderungen, Aussichten“, das diesem Artikel zu Grunde liegt und hier heruntergeladen werden kann.

Info

Basis des White Papers ist – neben langjähriger Marktbeobachtung – eine mehrstündige Brainstorming-Session mit einer sorgfältig ausgewählten Gruppe von Vordenkern, die das Thema aus allen relevanten Perspektiven beleuchtet haben.

Die Vordenker*

Michael Bahr, Head Transaction Services, Quarton

Moritz von Bodman, Managing Director, GCA Altium

Bastian Frien, Geschäftsführer, FINANCE Think Tank Corporate Banking & Finance

Stefan Frühauf, Transformation & Technology Leader Germany and EMEA, PwC

Graig Gröbli, Managing Partner, DealCircle

Jan P. Hatje, Managing Partner, Oaklins Germany

Kai Hesselmann, Managing Partner, DealCircle

Fritz Koop, Partner, Industrie Consult International M&A

Dr. Hartmut Krause, Partner (Corporate/M&A),Allen & Overy

Holger Linn, Managing Partner, Crescat Advisory

Birgit Meyer zu Selhausen, Managing Director und Deputy-Head of Corporate Finance/M&A, DZ Bank

Moritz Freiherr Schenck, Managing Director, Corporate Finance Advisory, Deloitte

Markus Schiller, Head of DACH, CEE and CIS, Datasite

Dr. Klaus Schmitte, Managing Partner, Taurus Advisory

Philipp Sebbesse, Managing Director, Daiwa Corporate Advisory

Mark Suderow, Investment Director, DPE Deutsche Private Equity

Henrik von Wehrs, Legal Tech Engagement Manager Europe, Allen & Overy

Mathias Weidner, Senior Partner Business Development, DPE Deutsche Private Equity

* Die genannten Positionen hatten die Vordenker zum Zeitpunkt der Teilnahme an der Diskussionsrunde inne.