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Evonik gibt Startschuss für Radikalumbau

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Evoniks Slogan aus 2007 ist wieder Programm. Der Konzern läutet eine Blaupause ein und startet nach wiederkehrenden Gewinnverlusten einen Konzernumbau. Foto: Tobias Arhelger - stock.adobe.com
Evoniks Slogan aus 2007 ist wieder Programm. Der Konzern läutet eine Blaupause ein und startet nach wiederkehrenden Gewinnverlusten einen Konzernumbau. Foto: Tobias Arhelger - stock.adobe.com

Schlanker, schneller und internationaler soll der Spezialchemiekonzern aus Essen laut CEO Christian Kullmann werden. Das gab er gegenüber dem „Handelsblatt“ bekannt. Für dieses Transformationsvorhaben sollen bis Ende 2025 etwa drei Standorte in Europa umgewandelt werden, deren Geschäft künftig von Dienstleistungsunternehmen übernommen werden soll. Evonik will drei eigenständige Betreibergesellschaften für die Bereiche Logistik, Energieerzeugung, technischer Service, Werkstätten und Werkschutz gründen und 4.000 Mitarbeiter umplatzieren.

Ein internes Team arbeitet darüber hinaus an einem neuen Verwaltungsmodell für den Konzern, das bis zum Frühjahr 2024 vollendet sein soll. „Für Evonik ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, in dem wir uns von der internen Bürokratie lösen“, sagt Kullmann. Zu Recht: 8.600 Organisationseinheiten beheimatet der Konzern aktuell, acht Hierarchiestufen liegen zwischen Produktion und Vorstand und auf vier Mitarbeitende kommt eine Führungskraft.

Innerhalb von drei Jahren sollen alle Umbaupläne umgesetzt werden, die tausende Mitarbeiter betreffen. Wie hoch die Einsparungen sein werden, will Konzernchef Kullmann allerdings noch nicht festlegen. Sicher ist: Bis 2032 sind die deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Evonik vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Insbesondere die Führungsebenen sollen verschlankt werden.

Evonik musste zuletzt Umsatzrückgänge verzeichnen

Mit seinem Umsatz von 18,5 Milliarden Euro im vergangenen Geschäftsjahr ist Evonik hinter BASF auf Rang zwei der deutschen Chemieindustrie. Jedoch musste der Chemieriese, wie auch viele Wettbewerber, im zweiten Quartal 2023 einen Gewinnrückgang verkraften: Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) fiel verglichen mit dem Vorjahr um 38 Prozent auf 450 Millionen Euro. Dennoch ist dieses Ergebnis eine Verbesserung zum ersten Quartal (409 Millionen Euro), die aus strikten Sparmaßnahmen hervorgeht.

Unter dem Strich stand im zweiten Quartal ein negatives Konzernergebnis von 270 Millionen Euro. Den Wert führt Evonik auf Wertminderungen zurück. Den vorläufigen Jahresumsatz 2023 schätzt Evonik derzeit auf 14 bis 16 Milliarden Euro. Im schlimmsten Fall stünde unter dem Strich ein Umsatzeinbruch von mehr als 24 Prozent.

Kullmann gab sich nüchtern bei Bekanntgabe der Quartalszahlen Mitte August: „Deutschland ist in einer Rezession, Europa ebenfalls, und die Konjunktur in China zieht nicht so an wie zuvor erhofft. Das zweite Quartal zeigte leider keine nennenswerte Belebung für unsere Geschäfte.“ Ein Grund mehr, einen fundamentalen Konzernumbau anzugehen. Dieser startete schon Ende 2022 mit der Nicht-Nachbesetzung freiwerdender Stellen, einem Verzicht auf externe Dienstleister und Einschränkungen bei Dienstreisen.

Neu-CFO Schuh nimmt Evoniks Cash in den Fokus

Auch Investitionen will Evonik weiter einschränken: Das Budget liegt in diesem Jahr bei 850 Millionen Euro, nachdem das ursprüngliche Budget bereits von 975 Millionen Euro auf 900 Millionen Euro reduziert wurde. Alle ausstehenden Projekte werden individuell geprüft. Eine Ausnahme ist das Thema Nachhaltigkeit: Investitionen in grüne Technologien und sicherheitsrelevante Wartungskosten werden weiterhin getätigt.

In den vergangenen Jahren hat der Spezialchemiekonzern besonders in die wachstumsstärkere Spezialchemie investiert, vor allem in den USA und Asien. Von den Massenchemieprodukten trennt sich der Konzern.

„Wir fahren das Unternehmen jetzt auf Cash“, so Finanzvorstand Maike Schuh. „Wir halten das Geld zusammen, damit wir finanziell handlungsfähig bleiben.“ Im zweiten Quartal lag der Free Cashflow saisonal bedingt mit 203 Millionen Euro im Minus, im Vergleich zum Minus von 239 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum. Damit erreicht Evonik den zur Halbzeit 2023 angepeilten absolut höhere Free Cashflow mit dem erwarteten niedrigeren operativen Ergebnis nicht mehr. Dennoch beabsichtigt Evonik, die Cash Conversion Rate im laufenden Jahr in Richtung des angestrebten Wertes von 40 Prozent zu steigern, wobei die Kennzahl im Jahr 2022 bei 32 Prozent lag.

Ratingagenturen haben gemischte Gefühle bei Evonik

Finanziell ist Evonik jedoch solide aufgestellt, bescheinigen etwa die Ratingagenturen Moody’s und S&P. Sie bewerten den Chemiekonzern mit Baa2 beziehungsweise BBB+, was im unteren Investmentgrade-Bereich liegt. Doch es ist nicht alles rosig: Die jüngste Gewinnwarnung verringert den bislang ausreichenden Headroom, schreibt etwa S&P in einem Report aus dem Juli. Immerhin: Die Kreditkennzahlen seien weiterhin mit dem Rating vereinbar.

Moody’s hingegen stören unter anderem die hohen Dividendenzahlungen im Jahr 2023 in Höhe von 545 Millionen Euro sowie die Investitionsausgaben in Höhe von 1 Milliarden Euro. Beides wirke sich negativ auf den ohnehin niedrigen Free Cashflow aus, heißt es in dem Bericht. Als positiv bewertet Moody‘s allerdings neben der Liquidität auch die Divestment-Pläne von Randbereichen sowie die Nutzung der Verkaufserlöse zum Aufbau des Spezialchemieportfolios.

Auf Evonik warten also stramme Jahre: Bis 2027 ist CEO Kullmann mindestens noch im Amt und will bis dato einen zusätzlichen Umsatz von 1 Milliarde Euro erzielen – vor allem durch organisches Wachstum. Parallel muss der Konzernumbau gestemmt werden. Um die Ziele zu erreichen, hat Kullmann seit April 2023 die neue Finanzchefin Maike Schuh an seiner Seite. Sie ist seit 2020 im Unternehmen und hat die Rolle der Finanzvorständin im April 2023 von Ute Wolf übernommen.

Esra Laubach ist Redakteurin bei FINANCE und widmet sich schwerpunktmäßig den Themen Transformation, Restrukturierung und Recht. Sie ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin. Vor FINANCE war sie rund fünf Jahre als Legal-Journalistin für den Juve Verlag in Köln tätig, wo sie auch ihr journalistisches Volontariat absolvierte. Esra Laubach arbeitete während ihres Studiums multimedial u.a. für das ARD-Morgenmagazin, mehrere Zeitungen und moderierte beim Hochschulradio Kölncampus.