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Wie Corona das Recruiting verändert

Trotz Corona: Qualifiziertes Personal im Finanzbereich wird nach wie vor gesucht
metamorworksiStockGettyImages

Anfang des Jahres war der Kandidatenmarkt noch eng, die Auftragsbücher der Headhunter waren gut gefüllt – bis zum Lockdown im März. Auch den Personaldienstleister Robert Half, dessen Geschäft nach eigenen Angaben zu 50 bis 60 Prozent aus der Vermittlung von Finanzstellen besteht, traf das Coronavirus mit voller Wucht: „Der Zeitraum April bis Mai war für uns alle eine Herausforderung, auch emotional“, erinnert sich Robert-Half-Manager Sven Hennige.

Der erfahrene Manager, der beim Unternehmen die Geschäfte in der DACH-Region und Frankreich verantwortet und seit 21 Jahren im Unternehmen ist, erlebte im Lauf seiner Karriere auch andere Krisen wie den 11. September 2001 oder die Finanzkrise 2008. Mit diesem Wissen im Hintergrund gibt er sich trotz der schwierigen Lage optimistisch: „Wie in jeder Herausforderungen gibt es auch jetzt Chancen.“

Viele seiner Kunden hätten nach einem anfänglichen Schock die zwischenzeitliche Handlungsunfähigkeit überwunden und seien auf dem Weg in die Normalisierungsphase. „Auch wenn wir den Normalzustand noch nicht erreicht haben, lernt jeder derzeit, wie er die Situation für sich am besten meistert“ – und vielleicht auch schon Rekrutierungsgelegenheiten nutzen kann.

Qualifizierte Finanzer weiterhin gesucht

Über das eigene Geschäft, das sich in Zeitarbeit, Interim-Management und die Personalvermittlung aufteilt, gibt Hennige bereitwillig Auskunft. „In der Personalvermittlung merken wir so gut wie keine Rückgänge.“ Was leide, sei hingegen die Nachfrage nach Zeitarbeitern.

Im Finanzbereich ist der Arbeitsmarkt aber eingebrochen, die Stellenanzeigen für Finanzjobs sind laut „Index-Anzeiger“ im Zeitraum von Januar bis Mai von 472.000 im Vorjahr auf 360.000 zurückgegangen – ein Einbruch um 24 Prozent.

Der „War of Talents“ dürfte damit zumindest vorerst beendet sein. Trotzdem stellt Hennige fest, dass qualifiziertes Personal im Finanzbereich nach wie vor gesucht wird. Besonders Mittelständler seien im Moment aktiv. Sie versuchen Kandidaten zu gewinnen, die vorher wenig Interesse an Jobs bei nicht ganz so großen Unternehmen zeigten. „Heute stehen mehr Kandidaten zur Verfügung als noch vor sechs Monaten“, verrät der Personalexperte.

Welche Branchen derzeit Personal suchen

Die Wechselbereitschaft der Kandidaten sei abhängig von ihrem Karriere-Level. Während etwa bei Kreditoren- und Debitorenbuchhaltern die Wechselbereitschaft „in keinster Weise gestört“ sei, werde auf den höheren Posten die Coronakrise eher ausgesessen. Hennige: „Obwohl er nicht glücklich ist, zweifelt der eine oder andere, ob er jetzt seinen sicheren Arbeitgeber verlassen soll.“ Er geht aber davon aus, dass sich dies im Laufe der nächsten Monate wieder ändern wird, sobald die Gewöhnung an die neue Realität eingesetzt hat: „Spätestens wenn der Wunsch nach Sicherheit wieder in den Hintergrund rückt und die Themen Herausforderung und Zufriedenheit wieder die Oberhand gewinnen, wird sich die Situation wieder ändern.“

Auch Kurzarbeit könnte bei manchem potenziellen Kandidaten aus der Finanzabteilung den Wunsch nach einem Jobwechsel auslösen. Allerdings bremst das enorme Ausmaß an Kurzarbeit auch den Stellenmarkt, da Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben, nicht so ohne Weiteres einstellen dürfen. „Man muss nachweisen, dass es unter den Kurzarbeitern im Unternehmen kein vergleichbares Qualifikationsprofil gibt“, erklärt Hennige.

Auch branchenseitig gibt es ganz unterschiedliche Trends: Während in Krisenbranchen wie Automotive, Maschinenbau und Exportwirtschaft kaum ein Unternehmen rekrutiert, ist das in weiteren Segmenten komplett anders: „IT, Telekommunikation, E-Commerce boomen, auch der Immobilien- und Pharmasektor. Zudem haben wir unglaubliche Zuwächse bei Behörden, bei Krankenhäusern und im öffentlichen Sektor“, berichtet Hennige – völlig neue Konkurrenz für Großkonzerne auf Spezialistensuche. 

Coronakrise setzt Trends im Personalbereich

Für die Zukunft sieht der Experte einige interessante Trends: So sei durch die Homeoffice-Möglichkeit der Standortfaktor nicht mehr so entscheidend. „Wir haben Positionen besetzt, bei denen der Kunde in Hamburg ansässig ist und der Kandidat von Frankfurt aus arbeiten wird.“ Er rechnet damit, dass es auch nach der Pandemie weiter hybride Teams geben wird, die halb im Büro, halb im Homeoffice arbeiten werden. 

Dies stellt aber auch höhere Anforderungen an die Mitarbeiter, was selbstständiges Arbeiten angeht. „Jemand, der eigenständig seine Leistung bringt, egal ob im Büro oder zu Hause, hat in Zukunft größere Chancen als jemand, der ständig jemanden braucht, der ihm Anweisungen gibt.“

martin.barwitzki[at]finance-magazin.de