Worauf sich der künftige CFO der Lufthansa einstellen muss

Die positive Nachricht zuerst: „Die Lufthansa ist wieder zurück“, freute sich Konzernchef Carsten Spohr, als er am gestrigen Donnerstag das drittbeste Finanzergebnis in der Geschichte der Gruppe präsentierte. Im Geschäftsjahr 2023 waren erstmals alle eigenständigen Fluggesellschaften des Konzerns profitabel, die Technik-Sparte verzeichnete ein Rekordergebnis. Eingetrübt wurde die Bilanz vom Frachtgeschäft, das unter der Flaute im Welthandel leidet. Die insgesamt gute wirtschaftliche Performance ändert aber nichts an den vielen Baustellen des Konzerns, wegen der die Aussichten für das laufende Jahr auch zurückhaltender ausfallen. Lufthansa sucht einen neuen CFO Eine davon ist weit oben im Lufthansa-Organigramm zu finden: Nachdem der Aufsichtsrat der Airline Ende Februar angekündigt hat, den Vorstand in großem Stil umzubauen und in Teilen auch schon neues Personal präsentiert hat, steht weiterhin ein Fragezeichen bei den Konzern-Finanzen: Wer wird die Nachfolge von Noch-CFO Remco Steenbergen antreten und die begonnenen Projekte weiterführen? Steenbergen hatte 2021, während der schwersten Krise der Lufthansa, den Posten als CFO übernommen und entsprechend großen Anteil daran, dass sich die Airline schneller als erwartet von den Verwerfungen der Pandemie erholte. Vorstandschef Spohr hätte Steenbergen gern gehalten, aber dieser verabschiedet sich Ende Mai als erster von insgesamt vier abgängigen Vorstandsmitgliedern, um als CFO zum Schweizer Pharmaunternehmen Sandoz zu gehen. Dritte Interimslösung in Folge Für Lufthansa bedeutet Steenbergens Abgang mal wieder eine Interimslösung: Zum dritten Mal in Folge gibt es keinen hauptberuflich Verantwortlichen auf dem CFO-Posten der Kranich-Airline. Schon als die frühere CFO Simone Menne sich Ende August 2016 in Richtung Boehringer Ingelheim verabschiedet hatte, dauerte es bis zum Jahresanfang 2017, bis ihr Nachfolger Ulrik Svensson seine Stelle antrat. Und als dieser im April 2020 kurzfristig wegen gesundheitlicher Probleme ausschied, musste die Lufthansa bis 2021 überbrücken. Seitdem zeichnet Steenbergen für die Finanzen der Kranich-Airline verantwortlich. Wenn er demnächst Richtung Schweiz aufbricht, soll Personalvorstand und Arbeitsdirektor Michael Niggemann kommissarisch einspringen, bis ein neuer CFO gefunden ist. Niggemann ist neben Lufthansa-Chef Spohr das einzige Vorstandsmitglied, das seinen Posten behalten wird. FINANCE Köpfe Remco Steenbergen Sandoz Mehr lesen Personal: Tarifkonflikte und Neueinstellungen treiben Kosten Wie aktiv Niggemann seine interimistische Verantwortung für die Konzern-Finanzen operativ wahrnehmen kann, dürfte auch davon abhängen, wie schnell er eine andere Großbaustelle geschlossen bekommt: Tarifkonflikte legen derzeit immer wieder den Flugbetrieb lahm und bescheren den Kunden neue Negativ-Erfahrungen. Deren Laune ist ohnehin gedämpft durch Engpässe bei Maschinen, beim Personal und den Kapazitäten am Boden, vor allem an den wichtigen Drehkreuzen in Frankfurt und München. Bezeichnend: Während das Management zu den Jahreszahlen 2023 und dem Ausblick für 2024 referierte, streikten die 25.000 Bodenbeschäftigten der Airline. Auch die in der Gewerkschaft Ufo organisierten 19.000 Kabinenbeschäftigten haben sich in dieser Woche für Ausstände in der laufenden Tarifverhandlung ausgesprochen. Viel Gegenwind also für Spohrs „Qualität vor Wachstum“-Devise, mit der er der Zuverlässigkeit des Flugbetriebs höhere Priorität einräumt als dem schnelleren Kapazitätsaufbau. Noch-Finanzchef Steenbergen bezifferte die bisher aufgelaufenen direkten Streikkosten auf 100 Millionen Euro. Hinzu kämen Umsatzverluste, weil Kunden wegen der drohenden Streiks gleich ganz auf Ticketkäufe verzichteten. Die Personalkosten werden mit den Tarifabschlüssen weiter steigen. Schon 2023 waren sie ein Kostentreiber: Der operative Personalaufwand legte um 15 Prozent auf 8,31 Milliarden Euro zu. Das sind 23 Prozent des Gesamtaufwands. Neben höheren Gehältern schlagen sich darin auch 13.000 Neueinstellungen nieder. Auch für 2024 ist noch einmal Personalzuwachs in gleicher Größenordnung eingeplant. Jahresbilanz: Gutes Ergebnis, aber verhaltener Ausblick Wenn man bedenkt, wie düster die Lage vor wenigen Jahren war, steht die Lufthansa finanziell ordentlich da. Im abgelaufenen Geschäftsjahr stieg der Konzernumsatz von 30,9 auf 35,4 Milliarden Euro. Der operative Gewinn, ausgewiesen als bereinigtes Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Adjusted Ebit), belief sich auf 2,7 Milliarden Euro (Vorjahr: 1,5 Milliarden Euro). Die Adjusted-Ebit-Marge lag bei 7,6 Prozent und damit recht nah am Mittelfristziel von 8 Prozent. Dieses soll so schnell wie möglich erreicht werden. Dass das 2024, wie ursprünglich anvisiert, funktioniert, davon ist die Führung aber nicht überzeugt. Das Konzernergebnis hat sich 2023 mehr als verdoppelt auf 1,7 Milliarden Euro. „Größter finanzieller Erfolg“ seit seinem Amtsantritt ist für Steenbergen aber die Entwicklung der Kapitalrendite (ROCE): Die stieg 2023 um 5,5 Prozentpunkte auf 13,1 Prozent und lag damit ein Jahr früher als geplant überm Ziel von mindestens 10 Prozent. Auch 2024 soll sie sich in ähnlicher Größenordnung bewegen. Der Free Cashflow lag bei 1,8 Milliarden Euro, die Nettokreditverschuldung sank dadurch deutlich um rund 17 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro (Vorjahr: 6,9 Milliarden Euro). Sie soll langfristig weiter abgebaut werden. Alles zum Thema Lufthansa Wie der größten deutschen Airline nach der Corona-Pandemie die Wende gelang und wie groß die Herausforderungen weiterhin sind, können Sie auf unserer Themenseite nachlesen. Mehr lesen Honoriert hat der Aktienmarkt diese Fortschritte bislang nicht: Die Resultate entsprachen im Großen und Ganzen den Erwartungen der Analysten, ebenso wie der bescheidenere Ausblick für 2024: Obwohl der Umsatz erneut signifikant steigen soll, rechnet der Lufthansa-Konzern für das laufende Jahr nur noch mit einem stabilen Betriebsergebnis und einem Adjusted Free Cashflow von „voraussichtlich mindestens 1,5 Milliarden Euro“. Auch eine Rückkehr in den Dax steht weiter aus. Analyst Guido Hoymann von der Metzler Bank gehört zu den pessimistischeren Stimmen. Er rechnet damit, dass die Flugbranche in diesem Jahr „nahe am Optimum“ sein dürfte, sprich: weniger Wachstumsimpulse zu erwarten seien. Wenig Impulse verspürte nach Veröffentlichung der Geschäftsjahreszahlen auch die Lufthansa-Aktie. Auch die Ankündigung, dass es erstmals seit 2019 wieder eine Dividende geben soll, verfing nicht. Ausgeschüttet werden sollen 0,30 Euro pro Aktie. Damit bewegt sich die Lufthansa am unteren Ende ihrer Ausschüttungsspanne von 20 bis 40 Prozent. Transformation: Investitionen in Technik-Sparte allein stemmen Die Nettoinvestitionen sollen 2024 bei 2,5 bis 3 Milliarden Euro liegen. Der Bedarf ist an vielen Stellen im Konzern groß und reicht von der überfälligen Modernisierung der Flotte bis zur Verbesserung digitaler Services. Hinzu kommt, dass der Teilverkauf von Lufthansa Technik abgeblasen wurde. Die Technik-Sparte, die sowohl Lufthansa- als auch fremde Maschinen wartet und repariert, soll jetzt doch im Alleingang fit gemacht werden. Die „umfassenden Investitionen“ des Programms „Ambition 2030“ sollen unter anderem in die Erweiterung und Modernisierung von Standorten, den Aufbau eines weiteren europäischen Werks sowie in potenzielle Zukäufe fließen. Auch Investitionen in die Digitalisierung werden fällig, vor allem in die Datenanalyse-Plattform Aviatar. Immerhin dürften sich die Bedingungen für die Fremdkapitalbeschaffung verbessern: Seit Januar wird die Lufthansa von allen vier führenden Ratingagenturen wieder mit Investmentgrade bewertet. M&A: Hängepartie um ITA-Einstieg Geduld ist bei der Lufthansa in ihrem M&A-Geschäft gefragt. Der geplante Einstieg bei der italienischen Fluglinie ITA Airways erweist sich als Hängepartie. Anstatt den Deal wie erhofft zum Jahresbeginn abzuschließen und direkt mit in die operative Führung einzusteigen, müssen sich die Lufthanseaten mit den EU-Wettbewerbshütern auseinandersetzen. Die haben größere Marktmacht-Bedenken und im Januar ein eingehendes Prüfverfahren eingeleitet. Lufthansa und ITA sollen bislang erfolglos Zugeständnisse angeboten haben, um die Bedenken der EU-Kommission auszuräumen. Zuletzt soll die Lufthansa dann den Verhandlungsdruck erhöht und sogar damit gedroht haben, den Einstieg bei ITA abzublasen, sollten die Auflagen zu streng ausfallen, berichtet die Zeitung „La Repubblica“ mit Verweis auf italienische Regierungskreise. Spohr sprach von „intensiven Gesprächen“ mit der EU-Kommission. Auch wenn für ITA die Zeit dränge, nehme er lieber etwas mehr Zeit in Kauf, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Was ihn zuversichtlich stimmt: Die Politik verstehe zunehmend, dass die europäische Luftfahrt auch anorganisch wachsen können müsse, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Auch beim Übernahmekandidaten TAP stockt es Spätestens am 6. Juni – also dann, wenn auch der Vorstandswechsel ansteht – entscheidet sich, ob die Lufthansa bei ITA einsteigen darf. In jedem Fall erweist sich die Beteiligung als komplizierter als erwartet: Sie dürfte nicht nur mit mehr Zugeständnissen verbunden sein, auch die Zeitachse verschiebt sich um viele Monate. Gleiches gilt für den weiteren M&A-Kandidaten TAP. Die Privatisierung der portugiesischen Fluglinie liegt durch die Regierungskrise in Portugal auf Eis. Wenn wieder Bewegung in die Sache kommt, will Spohr aber mit dabei sein. Das Ziel ist das gleiche wie bei ITA: Den Konzern stärker als globale Airline aufstellen – mit Hubs in verschiedenen Ländern, die über Zubringer-Strecken mit den Langstrecken-Drehkreuzen in Frankfurt und München verbunden sind. Vorstand: Findet das neue Lufthansa-Management zusammen? Zu diesen „gewaltigen Herausforderungen“, so Aufsichtsratsvorsitzender Karl-Ludwig Kley, kommt jetzt auch noch der Umbau an der Lufthansa-Konzernspitze. Zwar sind die Abgänge von Harry Hohmeister und Detlef Kayser mit ihren auslaufenden Verträgen erklärbar, und CFO Steenbergen hatte offenbar ein besseres Angebot. Hinter vorgehaltener Hand werden aber auch Uneinigkeit und fehlender Teamgeist als Grund für die Rochade genannt. Der Neustart mit künftig nur noch fünf Vorständen, überwiegend frischem Personal und teilweise neuer Ressort-Zuschnitte ist eine Chance, die Baustellen im Konzern mit neuer Kraft anzugehen. Allerdings erhöht das Ausmaß der Veränderungen auch das Risiko, dass es an der Konzernspitze zunächst ruckeln wird. Zumal das neue Quintett – vorerst noch mit einer Lücke bei den Konzern-Finanzen – zusammenfinden muss. Nicht zufällig hat Kley ihm „ausgeprägtes Teamverständnis“ ins Aufgabenheft geschrieben.

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