Trotz positiver Konjunktur treten in Deutschland regelmäßig Unternehmenskrisen auf – in diesem Jahr etwa bei der Immobiliengesellschaft IVG, dem Solarspezialisten Solarworld oder der Werkstattkette A.T.U. Um das Menetekel der Insolvenz zu vermeiden, hat der Gesetzgeber bereits im Frühjahr 2012 das Insolvenzrecht durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) erneuert. „Das war ein großer Schritt, wir sind weit gekommen“, sagt Dr. Frank Nikolaus, Managing Partner der Investmentbank- Boutique Nikolaus & Co LLP und ehrenamtlicher Vorsitzender der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. „Doch die gesetzgeberische Absicht und die praktische Anwendung des ESUG klaffen diametral auseinander.“ Trotz Insolvenzreform führe jeder Antrag für einen Schutzschirm letztlich zur Pleite. "Kinderkrankheiten" wurden dem ESUG auch jüngst in einer Studie von Noerr und Roland Berger attestiert.
Das Insolvenzrechtsverfahren sei zwar transparenter geworden. Ein Schutzschirmverfahren wird in der Praxis allerdings – anders als vorgesehen – nicht nur als Warnschuss verstanden. Hintergrund: Das Schutzschirmverfahren kann beantragt werden, wenn das Unternehmen noch zahlungsfähig ist. Es soll dem insolvenzbedrohten Unternehmen drei Monate Zeit geben, einen Sanierungsplan zu erarbeiten. Das Problem in der Praxis sei laut TMA aber, dass häufig alle Zahlungen eingestellt würden, was durch den Vertragsbruch zu Unsicherheit führe – und letztlich den ursprünglichen Zweck der Sanierung konterkariere. Ein Beispiel hierfür sei der jüngste Schutzschirm beim Fernsehgerätehersteller Loewe.
ESUG:Verband fordert Nachjustierung
Der Verband fordert deshalb, dass das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren mit dem Ziel nachjustiert wird, die volle Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen. Eine Möglichkeit, die dazu immer wieder genutzt wird, ist der Gang in andere Jurisdiktionen. So kommt immer wieder das englische Vergleichsverfahren „Scheme of Arrangement“ zum Einsatz. Beispiele hierfür sind die Restrukturierung der CMBS-Transaktion GRAND der Deutschen Annington oder ein Verfahren beim Baustoffhersteller Monier, das in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt geworden ist.
Des Weiteren sei die Willensbildung durch die Gläubiger nicht zufriedenstellend. Was früher durch lokale Gerichte entschieden wurde (und häufig als sehr intransparent kritisiert wurde), übernehmen heute die Gläubiger. Das sei zwar grundsätzlich gut, allerdings verhindert die Einstimmigkeit häufig schnelle Entscheidungen, was wiederum die Sanierungsfähigkeit belaste. Hier fordert der TMA, eine Mehrheitsentscheidung durch zwei Drittel der Vertreter des Ausschusses einzuführen. Außerdem seien die eingesetzten Sachwalter häufig ehemalige Insolvenzverwalter, was „überwiegend negative Folgen“ habe. Deswegen sollte ein qualifizierter Turnaround-Professional eingesetzt werden, fordert die TMA. Das Ziel müsse es sein, ohne Insolvenz zu sanieren – am besten durch eine EU-weite Harmonisierung des Insolvenzrechts.
Markus Dentz ist Chefredakteur von FINANCE und der Fachzeitschrift DerTreasurer. Seine journalistischen Schwerpunktthemen sind Unternehmensfinanzierung, Restrukturierung und Treasury. Nach dem Studium und dem Volontariat beim F.A.Z.-Institut stieß Dentz zur FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH, einer Tochter der F.A.Z.-Verlagsgruppe und Herausgeberin von DerTreasurer und FINANCE. Mehrfach wurden seine Artikel aus den Bereichen Private Equity und M&A mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.
