Nach langen Verhandlungen haben ThyssenKrupp und der indische Konzern Tata eine Einigung erreicht. Sie wollen ihre europäischen Stahlaktivitäten in einem Joint Venture bündeln, an dem beide jeweils 50 Prozent halten werden. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde heute unterzeichnet. Das neue Unternehmen soll unter dem Namen ThyssenKrupp Tata Steel auftreten, der Hauptsitz wird in der Region Amsterdam liegen.
Die beiden Konzerne erhoffen, durch den Zusammenschluss ihre jeweilige Wettbewerbsposition im hart umkämpften Stahlmarkt zu verbessern. Das Gemeinschaftsunternehmen, das einen Pro-forma Umsatz von etwa 15 Milliarden Euro erzielen würde, wäre nach Angaben des Dax-Konzerns nach Arcelor-Mittal der zweitgrößte Stahlkonzern in Europa, was Größen- und Verbundvorteile mit sich bringen soll. Die Stahlsparte von ThyssenKrupp erzielte zuletzt einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro.
Thyssen und Tata beziffern Synergien auf über 400 Millionen Euro
Die erhofften Synergieeffekte beziffert der Dax-Konzern auf 400 bis 600 Millionen Euro. Sie sollen sich zunächst aus der Integration verschiedener Arbeitsbereiche wie Vertrieb, Verwaltung, Forschung und Entwicklung ergeben. Weitere Bereiche wie zum Beispiel Einkauf und Logistik sollen gemeinsam verbessert werden. Erst danach wollen die Konzerne das eigentliche heiße Eisen des Deals anpacken und das gesamte Produktionsnetzwerk überprüfen. Dies dürfte Standortschließungen beinhalten, was zusätzliche erhebliche Einsparungen erwarten lässt. Aktuell unterhalten die beiden Fusionspartner gemeinsam 34 Standorte.
Schon ohne Standortschließungen würde die Fusion die Bilanz von ThyssenKrupp deutlich entlasten. Die bilanzielle Neubewertung nach Abschluss des Deals würde das Eigenkapital verbessern und damit auch das Gearing – das Verhältnis von Eigenkapital zur Nettoverschuldung, die zentrale Steuerungsgröße von Thyssen-CFO Guido Kerkhoff beim Bilanzmanagement. Nach Berechnungen des Bankhauses Lampe könnte der Buchgewinn bis zu 3 Milliarden Euro betragen. Nach dem dritten Quartal dieses Geschäftsjahres lagen die Nettofinanzschulden bei 6,3 Milliarden Euro und das Gearing bei 281,5,Prozent.
ThyssenKrupp muss sich auf Widerstand gegen die Fusion einstellen
Einfach wird der Weg bis zum Zusammenschluss für ThyssenKrupp aber nicht werden, werden die Kosteneinsparungen doch durch einen hohen Stellenabbau erzielt werden. Bis zu 2.000 Stellen in der Verwaltung und möglicherweise 2.000 Stellen in der Produktion sollen wegfallen. Beide Konzerne sollen etwa jeweils die Hälfte der Arbeitsplätze abbauen.
Der Betriebsratschef der Stahlsparte Günter Back hat die Entscheidung des Vorstands gegenüber der Nachrichtenagentur dpa kritisiert. „Der Vorstand hat gegen alle Warnungen alles auf eine Karte gesetzt.“ Ziel müsse es jetzt sein, „das Schlimmste“ zu vermeiden. Back geht davon aus, dass letzten Endes wesentlich mehr als die nun angekündigten Arbeitsplätze wegfallen werden.
Tata und ThyssenKrupp wollen Deal Anfang 2018 unterzeichnen
Nicht nur die Arbeitnehmer fühlen sich unwohl mit dem geplanten Zusammenschluss. Während die allgemeine Reaktion des Marktes positiv ausfällt und der Kurs der Thyssen-Aktie in Erwartung des Deals auch heute wieder um mehr als 2 Prozent zulegt, regt sich offenbar auch bei einem Großaktionär Widerstand. Der Finanzinvestor Cevian, der 15 Prozent der Konzernanteile hält, soll sich laut der Nachrichtenagentur Bloomberg gegen die aktuelle Form der Fusion ausgesprochen haben. Die Synergieeffekte seien zu gering.
Auf Finanzchef Guido Kerkhoff und seine Vorstandskollegen kommen daher noch weitere harte Verhandlungen zu. Der Zeitplan dafür ist gesteckt. Bis Anfang 2018 sollen alle Details ausgehandelt, die Due Diligence abgeschlossen sein und das Signing erfolgen. Die Zustimmung des Aufsichtsrats von ThyssenKrupp steht noch aus, auch das Board of Dircectors von Tata Steel muss noch zustimmen. Hinzu kommen kommen noch die fusionsrechtlichen Freigaben der entsprechenden Behörden.
Den strategischen Vorzug dieser umstrittenen und komplexen Transaktion sehen die Analysten der Investmentbank Jefferies darin, dass durch die Abspaltung der Stahlsparte der eigentliche Wert des ThyssenKrupp-Geschäfts mit Industriegütern wie etwa Aufzügen und U-Booten klarer zum Vorschein kommen dürfte. Dessen Wert hält Jefferies für im aktuellen Börsenkurs nicht voll reflektiert. Die Restrukturierung der Stahlsparte sei daher ein wichtiger Kurstreiber.
Info
Mehr Details über ThyssenKrupp-CFO Guido Kerkhoff finden sie auf seinem Profil bei FINANCE-Köpfe.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.